Altena. Der Mittelstand im Sauerland muss wissen, ob er in Zukunft mit Wasserstoff rechnen kann. Firmen wie Lüling Draht wollen Millionen investieren.
Die nationale Wasserstoffstrategie soll die Versorgung mit grünem Wasserstoff für die Industrie in Deutschland sichern. In Nordrhein-Westfalen sollen die „Hauptadern“ der Wasserstoffpipelines die Ballungsräume an Rhein und Ruhr versorgen. Viele Mittelständler in Südwestfalen hoffen nicht nur, dass die Strategie weiter bis zu ihnen gedacht wird – sie sind darauf angewiesen.
Das Unternehmen Lüling Draht aus Altena hat die Pläne für eine klimaneutrale Produktion längst in der Schublade. Das Stahl verarbeitende Unternehmen würde sie auch gerne herausziehen, weiß aber nicht, welcher Plan das Traditionsunternehmen mit 136 Beschäftigten sicher in die Zukunft führt. Eine Umstellung der mit Erdgas betriebenen Haubenglühen auf Strom? Oder doch lieber auf grünen Wasserstoff, wenn der denn jemals im Lennetal und am Lüling-Standort in Iserlohn ankommen sollte?
Deutschland wird Wasserstoff-Importland
Lüling-Geschäftsführer Christian von der Crone und Stefan Pelka, Projektingenieur für Nachhaltigkeitsthemen beim Drahthersteller im Lennetal, hoffen auf „H2ercules“, ein Projekt zum Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur in Deutschland, das vom Energieversorger RWE und dem Netzbetreiber Open Grid Europe (OGE) gemeinsam betrieben wird. Deutschland, so viel scheint sicher, wird Wasserstoff-Importland sein, nur etwa ein Drittel des Bedarfs mit Elektrolyseuren selbst erzeugen können.
Die H2ercules-Aufgabe: Ein Netzwerk an Versorgungsleitungen soll von den Norden in Zukunft grünen Wasserstoff aus Norwegen nach NRW transportieren, von Westen sollen Wasserstoffimporte über die Häfen in Niederlanden und Belgien den Bedarf sicherstellen und von Süden grüne Energie aus Frankreich und Tschechien fließen. Gedacht ist H2ercules ohne Südwestfalen, aber mit der Option, auch angrenzende Gebiete wie das Sauerland und den Märkischen Kreis mitzuversorgen. Ein regionales Projekt ist dabei „RuH2r“, das Schwerte, Hagen und das Lennetal bis Hohenlimburg anschließen soll.
Die Strukturen dafür müssten heute geschaffen werden, wünscht sich von der Crone: „Wir können nicht erst 2030 beginnen.“ Kürzlich wurde im Lennetal die Erdgasversorgung von L- auf H-Gas umgestellt. Lüling hat in diesem Zuge die notwendigen Umbauten bereits so ausführen lassen, dass ein Anschluss an eine Wasserstoff-Pipeline sofort möglich wäre. „Wir haben in den vier Wochen Umbaupause direkt in Wasserstofftechnik investiert“, sagt Projektingenieur Pelka. Wollte Lüling heute bereits auf Befeuerung mit Wasserstoff umstellen, müssten täglich zwei Tanklastzüge allein das Werk in Altena ansteuern.
Am Tag mit einer Glühe so viel Verbrauch wie eine Familie im ganzen Jahr
Der Energiebedarf des Unternehmens mit gut 130 Beschäftigten an den beiden Standorten Altena und Iserlohn ist enorm. Eine einzige Haubenglühe hat eine Erdgasverbrauch von umgerechnet 12.000 Kilowattstunden – etwa so viel, wie eine kleinere Familie zum Heizen der vier Wände im Jahr verbraucht (wenn sie etwas sparsam ist).
Fünf Hauben sollen endlich für die Zukunft umgerüstet werden, aber erst, wenn die Richtung klar ist. Strom oder Wasserstoff? „Die beste Lösung ist die, wo wir eine Lösung bekommen. Das, was man uns anbieten kann, würden wir nehmen“, sagt Pelka, der sich mit dem Thema CO2-Bilanzierung und Energieeffizienz seit zehn Jahren beschäftigt. Langsam läuft die Zeit davon. „Wir fühlen uns wie mit Handschellen und können uns nicht nach rechts und links bewegen“, beschreibt Geschäftsführer von der Crone die Lage.
Für den Übergang der Brückenstrompreis
Die Entscheidung, in die eine oder andere Richtung, muss stimmen. Die Umrüstung auf klimaneutrale Produktion bedeutet einen Kostenaufwand, der so hoch ist wie der Bau neuer Anlagen. Ein mehrstelliger Millionen Eurobetrag.
Der CO2-Fußabdruck der Lüling-Produkte wird heute im Wesentlichen vom gelieferten Stahl bestimmt. „Unser Eigenanteil am Fußabdruck beträgt lediglich acht Prozent“, erklärt Pelka. Um bei Angeboten wettbewerbsfähig zu sein, ist Klimaneutralität auch für Mittelständler das Ziel.
An der Verteilung der CO2-Belastung wird deutlich, wie wichtig die Umstellung der Stahlproduktion bei Herstellern wie Thyssenkrupp, Salzgitter und Arcelor Mittal für die gesamte Wertschöpfungskette wirklich ist. Andererseits dürfe der Mittelstand, der den in Zukunft grünen deutschen Stahl weiterverarbeitet, nicht aus den Augen verloren werden. Weder bei der Transformation in Richtung Klimaneutralität noch in der aktuellen Lage: „Wir sind als Mittelständler nicht angetreten, um Subventionen abzugreifen. Wir benötigen aber eine Chance im internationalen Wettbewerb, damit es wieder Spaß macht“, sagt Christian von der Crone.
Der Geschäftsführer meint das Thema Brückenstrompreis für die Übergangsphase, bis die Energiekosten wieder auf vertretbarem Niveau gelandet sind. Derzeit sind auch die Preise für H2 in die Höhe geschnellt: „Wasserstoff ist aktuell vier Mal so teuer wie Erdgas, wenn man überhaupt grünen Wasserstoff bekommt.“ Mit der Umsetzung der nationalen Wasserstoffstrategie und der Anbindung an Pipelines aus dem Ausland soll sich dies in ein paar Jahren geändert haben, spätestens 2030. Es ist es eine „H2ercules-Aufgabe“ – die nicht mit dem Anschluss der Rheinschiene und des Ruhrgebiets beendet ist.
Ausbau der Infrastruktur für Wasserstoff
Open Grid Europe (OGE) und RWE wollen bis 2030 ein Leitungsnetz für Wasserstoff in Deutschland namens „H2ercules“ errichten, über das aus dem Ausland in Zukunft grüner Wasserstoff zu den Industrien in Deutschland transportiert werden kann. Erste Teilstrecken sollen bereits 2026 für den Wasserstofftransport umgerüstet bzw. gebaut sein. In weiten Teilen sollen die rund 35.000 km Erdgasfernleitungen in Deutschland genutzt werden. Dazu kommen hunderttausende Kilometer Verteilnetz. Tatsächlich sind zum heutigen Zeitpunkt allerdings erst 417 Kilometer reine H2-Leitungen in Deutschland realisiert. Ein schneller Ausbau bzw. Umbau ist also notwendig.