Hagen/Arnsberg/Siegen. Die stark beanspruchten Staatsanwaltschaften Hagen, Arnsberg und Siegen ächzen unter einem Gesetz, das noch gar nicht in Kraft ist.

Das neue Cannabis-Gesetz beschert den Staatsanwaltschaften in der Region noch vor seinem möglichen Inkrafttreten im April eine Flut an Mehrarbeit. „So etwas habe ich in dem Ausmaß noch nicht erlebt“, sagt Thomas Poggel, Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Arnsberg. Seit 1994 macht er seinen Job. Allein am Standort Arnsberg müssen die Akten von 3700 Fällen von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz gewälzt und geprüft werden. Konkret geht es darum festzustellen, inwieweit die womöglich gelockerte Gesetzgebung etwas am bestehenden Strafmaß verändert. Problem für die Staatsanwaltschaften: Sie müssen schon jetzt vorsorglich tätig werden – sonst machen sie sich selbst strafbar.

Flut an Mehrarbeit: „Der eine oder andere ist derzeit etwas gereizt“

Am kommenden Freitag (22. März) diskutiert der Bundesrat über das neue Gesetz, das laut Plan schon am 1. April Gültigkeit haben soll. „Die Kurzfristigkeit ist das Problem. Die voraussichtlich endgültige Fassung des Gesetzes liegt erst seit Ende Februar vor. Seit zwei Wochen filtern wir die Verfahren heraus, bei denen nach möglicher neuer Gesetzeslage Sofortmaßnahmen nötig sind“, sagt Thomas Poggel. Etwa die Hälfte der Verfahren sei bislang geprüft worden. Zusätzliche Arbeit, die in kürzester Zeit erledigt sein muss. „Das neue Gesetz trifft auf Staatsanwaltschaften, die ohnehin zu mehr als 100 Prozent belastet sind“, sagt Poggel: „Das ist viel zusätzliche Arbeit. Der eine oder andere ist derzeit etwas gereizt.“

„Vor dem Hintergrund, dass nach wie vor nicht absehbar ist, ob und in welcher Form das Cannabis-Gesetz tatsächlich in Kraft tritt, ist das den Betroffenen nur schwer vermittelbar.“
Dr. Gerhard Pauli, Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Hagen

Paradox an der Sache: Handeln die Staatsanwaltschaften nicht rechtzeitig, droht ihnen selbst Ungemach. „Es gibt den Straftatbestand der Vollstreckung gegen Unschuldige“, erklärt Thomas Poggel. Hat also eine Strafe für eine Tat Bestand, die laut Gesetz keine Straftat mehr ist, machen sich Amtsträger strafbar. „Zum Stichtag 1. April muss alles erledigt sein, weil manche Strafen dann kraft Gesetzes erlassen sind.“

Serien von Delikten sind schwer zu beurteilen

In den allermeisten Fällen seien zwar keine Anpassungen nötig, sagt Poggel, dennoch müsse jedes Verfahren geprüft werden. Schätzungsweise in zehn oder fünfzehn Prozent seien Maßnahmen nötig. Manche Fälle seien sehr schnell zu bearbeiten, wenn zum Beispiel mit Amphetaminen gehandelt werde oder Rauschmittel an Minderjährige abgegeben würden. Andere Fälle seien weitaus schwieriger zu beurteilen, wenn es sich um eine Serie von Delikten handele.

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Die Staatsanwaltschaft Hagen ist ebenfalls derzeit „in besonderer Weise belastet“, wie Oberstaatsanwalt Dr. Gerhard Pauli formuliert. Aufgrund des Zeitdrucks mussten die Überprüfungen „priorisiert werden“, was dazu führe, dass die sonstige Arbeit leide und „in erheblichem Umfang Mehrarbeit zu leisten“ sei. Dies „ist vor dem Hintergrund, dass nach wie vor nicht absehbar ist, ob und in welcher Form das Cannabis-Gesetz tatsächlich in Kraft tritt, den Betroffenen nur schwer vermittelbar“, kritisiert Pauli.

Riesiger Arbeitsaufwand auch bei der Staatsanwaltschaft Siegen

Pro Jahr würden in Hagen 10.000 Vollstreckungsverfahren eingeleitet. Aus diesem Bestand sei seit Mitte Februar – erst von Hand, dann mit Hilfe von Datenbankabfragen – „eine mittlere vierstellige Anzahl von Verfahren herausgefiltert“ worden, die seither händisch überprüft würde.

Mehrarbeit wartet laut Pauli auch auf Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger. Sollte das Gesetz am 1. April in Kraft treten, sind sie dafür verantwortlich, Maßnahmen rechtzeitig umzusetzen. Das beträfe, sagt Pauli, die Woche vor Ostern, in der es viele Urlaube und nur vier Arbeitstage gebe.

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Oberstaatsanwalt Fabian Glöckner koordiniert als Leiter der Abteilung Betäubungsmittelverstöße die Prüfungen bei der Staatsanwaltschaft Siegen, einer vergleichsweise kleinen Behörde. 1500 Verfahren seien „mit einem riesigen Arbeitsaufwand“ ausgewertet worden, in etwa 250 Verfahren seien Anpassungen nötig. „Wir haben den Großteil abgearbeitet. Allerdings hat das den normalen Arbeitsablauf massiv verlangsamt, weil viele Aufgaben zurückgestellt werden mussten, die nun mühsam wieder aufgeholt werden müssen“, berichtet Glöckner. Die „außergewöhnliche Belastung“ beträfe die gesamte Behörde, weil die Akten händisch herausgesucht und im Haus verteilt werden müssten. Auch Fahndungssachen müssten derzeit geprüft werden, „damit nicht am Ende jemand festgenommen wird, dessen Handlung nach neuem Gesetz straflos ist“, sagt Glöckner.

Er gehe davon aus, dass sich Bundesrat und Bundestag am Freitag nicht über das Gesetz einig würden und der Vermittlungsausschuss angerufen werde. Dann wäre zumindest das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. April ausgeschlossen.