Netphen. Es ist ein Pilotprojekt auf einer landwirtschaftlichen Fläche im Siegerland: Welche Erfahrungen mit Nutzhanf Sebastian Schmeck gesammelt hat.

Es ist der erste Kontakt mit einer Hanfpflanze, hier in Netphen-Beienbach im Siegerland, dem laut Eigenbeschreibung „sympathischen Dorf im ländlichen Grün“. Passiert man den Ort und steuert den Wagen noch einige hundert Meter über sanft ansteigende Feldwege, erreicht man das einen halben Hektar große Versuchsfeld von Sebastian Schmeck: Hanfpflanzen mit ihren charakteristischen gefingerten und gesägten grünen Blättern, wohin das Auge reicht.

Und die erste Klarstellung, bevor man überhaupt die Frage gestellt hat: „Sie müssten schon 15 Kilo von diesem Nutzhanf essen, bevor sie eine berauschende Wirkung spüren.“

Pilotprojekt startete im Frühjahr 2022

Schmeck kennt seine Pappenheimer, seitdem er im Frühjahr 2022 am Rande des Naturparks Rothaargebirge mit dem Anbau von Nutzhanf ein behördlich genehmigtes Pilotprojekt startete. Der 40 Jahre alte Siegerländer ist so etwas wie ein neuzeitlicher Pionier für Anzucht, Ernte und Verarbeitung einer der ältesten Nutzpflanzen der Welt.

Die Pflanzen der Sorte, die Sebastian Schmeck in diesem Frühjahr gesät hat, werden nach seinen Angaben maximal 1,80 Meter hoch.
Die Pflanzen der Sorte, die Sebastian Schmeck in diesem Frühjahr gesät hat, werden nach seinen Angaben maximal 1,80 Meter hoch. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Seit 25 Jahren, so sagt er, sei er mit der Pflanze unterwegs – „im Sinne der Forschung als Heil- und Arzneipflanze zum Beispiel“, wie er betont. „Ich habe mich früh für Alternativen interessiert. Wussten Sie, dass der erste Ford-Motor mit Hanf-Öl betrieben wurde? Wussten Sie, dass Hanf als Anbaupflanze älter ist als die Kartoffel? Und wussten Sie, dass zuletzt vor 70 Jahren Nutzhanf in der Region angebaut wurde?“

Sebastian Schmeck ist ein wandelndes Lexikon, was den landwirtschaftlichen und medizinischen Gebrauch sowie Konsum von Hanf angeht. Er sagt: „Hanf ist mehr als ein Rauschmittel.“

Fast fünf Meter hoch gewachsen

Mit dem Anbau betreibt Schmeck – in Zusammenarbeit mit dem Netphener Landwirt und Verbandsfunktionär Henner Braach – einen Testpiloten, der manche Überraschung mit sich bringt. Als er im vergangenen August die Ernte einfahren wollte, waren die tiefwurzelnden Pflanzen auf dem fruchtbaren und lehmigen Siegerländer Boden in leichter Hanglage bis zu 4,60 Meter hoch gewachsen.

Er hatte wahrlich alle Hände voll zu tun, die Ernteerzeugnisse beispielsweise mit Fuchsschwanz, Hecken- oder Rosenschere in luftiger Höhe zu kappen. An einen Einsatz von Erntemaschinen war nicht zu denken, der Ertrag am Ende entsprechend ausbaufähig.

Der lehmige Siegerländer Boden scheint für Hanfpflanzen fruchtbar zu sein.
Der lehmige Siegerländer Boden scheint für Hanfpflanzen fruchtbar zu sein. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Es sei ein Prozess des Ausprobierens und Lernens, sagt Schmeck. In diesem Jahr hat er „eine andere Genetik“ gewählt und eine Sorte nach den Eisheiligen gesät, deren Pflanzen maximal 1,80 Meter hoch würden und besser zu ernten seien. Natürlich gedeihen auf Schmecks Feld nur zertifizierte Nutzhanfsorten. In der EU ist deren Anbau seit zehn Jahren erlaubt.

„Kein Paradies für Kiffer“

Oder die Sache mit der Sorge vor ungebetenem Besuch. „Polizeibeamte mussten anfangs am Feld so etwas wie Objektschutz betreiben“, erzählt Schmeck und ergänzt: „War überhaupt nicht nötig. Das hier ist kein Paradies für Kiffer.“

Und doch: Dass rund um Hanf nicht alles so normal ist, zeigen die langen Diskussionen in der Politik um die Legalisierung von Cannabis, dem Hanfgewächs mit dem psychoaktiven, einen Rauschzustand verursachenden Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC).

Teilweise Legalisierung von Cannabis

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat soeben in einem Entwurf Eckpunkte für eine teilweise Legalisierung der Droge vorgelegt: Demnach sollen in Zukunft grundsätzlich Kauf und Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis für über 18-Jährige und der Eigenanbau von maximal drei Pflanzen erlaubt sein.

Der ebenfalls diskutierte freie Verkauf in Spezialgeschäften ist dagegen vom Tisch. Stattdessen soll Cannabis in Cannabis-Clubs angebaut und abgegeben werden dürfen.

Raus aus der „Schmuddelecke“

Sebastian Schmeck findet die Überlegungen der Bundesregierung „an sich gut“: „Alles, was Cannabis aus der Schmuddelecke holt, kann ich nur begrüßen“, sagt er, wichtig sei es, den Drogenschwarzmarkt einzudämmen, „der verseucht ist mit verunreinigten Stoffen“.

Der Siegerländer hat viele Jahre die Debatten um Marihuana und Haschisch verfolgt. „Da war viel Scheinheiligkeit im Spiel. Cannabis wurde sachlich falsch mit Heroin gleichgesetzt und Konsumenten für eine harmlose Sache kriminalisiert. Gleichzeitig schaut die Gesellschaft weg, wenn Jugendliche Schnaps trinken.“ Für ihn ist Cannabis „Teil unserer Gesellschaft: Konsumenten müssen endlich raus aus der Illegalität.“

„Nutzhanf ist nichts Exotisches“, sagt der Siegerländer Sebastian Schmeck.
„Nutzhanf ist nichts Exotisches“, sagt der Siegerländer Sebastian Schmeck. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Das Bundesverfassungsgericht sieht das nicht ganz so wie er. Soeben haben die Karlsruher Richter entschieden, dass es bei der privaten Lebensgestaltung kein „Recht auf Rausch“ mit Drogen gebe und daher der Gesetzgeber im Sinne des Jugendschutzes wie bisher den Konsum bestrafen dürfe.

Gericht: Nicht völlig ungefährlich

Zwar habe sich, so die Richter, der Cannabiskonsum als weit weniger gefährlich erwiesen als einst angenommen. Aber es gebe keine Belege für eine „völlige Ungefährlichkeit“.

Während sich die Hanfpflanzen im Beienbacher Wind bewegen, aber immer aufrecht bleiben, sinniert Sebastian Schmeck über das aus seiner Sicht große Manko des Lauterbachschen Hanf-Entwurfs. „Der landwirtschaftliche Anbau ist außen vor geblieben“, sagt er und spricht von einer vertanen Chance – „andere Länder sind uns da um Längen voraus“.

Denn die alte Kulturpflanze Nutzhanf sei ein Paradebeispiel für Regionalität, Nachhaltigkeit und wenn man so will ein „Zurückfinden zu den Wurzeln“. 100 Kilo seiner ersten Ernte im August 2022 habe er in einer Öl-Mühle in Olsberg-Brunskappel pressen lassen. Aus 100 Kilo Hanfnüssen (Samen) wurden am Ende 100 Flaschen Öl.

Superfood für Mensch und Tier

Wegen der vielen Proteine eigne sich Nutzhanf auch als Superfood für Mensch und Tier, ergänzt der gebürtige Siegerländer. Weitere Nutzungsmöglichkeiten: als Faserpflanze bei der Textilherstellung, als Baumaterial, als Industriewerkstoff, in der Zellstoff- und Papierindustrie.

Mit seinem Beienbacher Pilotprojekt zum Hanfanbau will Sebastian Schmeck „Impulse für eine innovative Landwirtschaft setzen, die ohne Pestizide auskommt“, wie er sagt, „die Menschen wachrütteln“ und bei aller „Kontroversität“ zeigen, dass Nutzhanf „nichts Exotisches“ sei: „Wir haben letztes Jahr am Feld eine Art Dorffest gefeiert. Die älteren Einwohner sagten mir, dass sie die Pflanze am Geruch wiedererkannt hätten.“

Dem Sohn einen grünen Fußabdruck hinterlassen

Überhaupt sei die Akzeptanz zu seinem Hanf-Feld von Seiten der Einwohner, der Stadt und der Lokalpolitik durchaus groß: „Viele haben das Pilotprojekt ideell mitgetragen.“

Bevor sich Sebastian Schmeck hauptberuflich dem Hanf zuwandte – unter anderem mit seinem Unternehmen „Hanfzwerg“ für „Entwicklung und Vertrieb von Nutzhanfprodukten für wissenschaftliche und gewerbliche Zwecke“ –, war er im Öl- und Gasvertrieb tätig. Er sagte sich davon los und entdeckte noch mehr den Hanf als nachhaltiges Naturprodukt. Und: „Ich wollte meinem Sohn einen grünen Fußabdruck hinterlassen.“