Tokio/Seoul. Das Renten-Drama in Südkorea spitzt sich zu. Nun präsentiert Präsident Yoon Vorschläge – mit Zündstoff für die Gesellschaft.

  • Weltweit ist die Geburtenrate nirgends so niedrig wie in Südkorea
  • Für das Rentensystem bedeutet das: Eine Katastrophe bahnt sich an
  • Die Regierung will nun mit rigorosen Ideen dagegenhalten


Der Präsident stand mit ernster Miene da. Mal fuchtelte er mit den Händen, dann gab er wieder den abgeklärten Staatsmann. Welche Bilder er in diesem Moment senden wollte, ob die eines energischen Umkremplers oder jene des durchdachten Analytikers, schien er selbst nicht ganz zu wissen. Immerhin war klar: Das, was er sagen würde, könnte nach hinten losgehen. So sagte er zuerst, was viele denken: „Ein Rentensystem, das die Alten arm lässt und die Jungen misstrauisch macht, muss gründlich reformiert werden!“

Über diese Reformankündigung, die Yoon Suk-yeol Ende August auf einer Pressekonferenz machte, diskutiert seither fast ganz Südkorea. „Ein schwieriger Weg voraus“, ordnet die Nachrichtenagentur Yonhap ein. „Yoon steht zu seinen zusehends unpopulären Maßnahmen“, befindet die linksliberale Zeitung Hankyoreh. Die konservative Zeitung Joongang Ilbo befand dagegen schon im Mai: „Im Bereich der Rentenreform ist die Regierung von Yoon Suk-yeol gescheitert.“

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Was für eine Reform das alternde Südkorea bräuchte, ist seit langem Gegenstand hitziger Diskussionen. Aber jede und jeder im ostasiatischen Land weiß: So wie es jetzt läuft, kann es nicht weitergehen. Südkorea steht vor einem Rentenkollaps. Mit einem Volumen von umgerechnet rund 860 Milliarden US-Dollar verfügt das 52-Millionenland Südkorea zwar über einen der weltweit größten Rentenfonds. 

Düstere Prognose: Ohne Reform sind die Rentenkassen in Südkorea im Jahr 2055 leer

Doch sofern das System von Ein- und Auszahlungen nicht reformiert wird, dürfte laut derzeitigen Prognosen im Jahr 2055 nichts mehr davon übrig sein. Inmitten demografischer Alterung wird das neueingezahlte Geld schon ab dem Jahr 2041 niedriger sein als die Renten, die aus der Kasse an Rentnerinnen und Rentner ausgezahlt werden. Und dann ist es eine Frage der Zeit, bis der letzte Won verbraucht ist. 

Südkorea
Kaum ein Land der Welt altert in derart hohem Tempo wie Südkorea: Die Lebenserwartung (83,5 Jahre) zählt zu den höchsten der Welt – die Fertilitätsrate dagegen ist mit 0,72 die niedrigste der Welt. © AFP | Anthony Wallace

Yoon will nun das Ruder rumreißen. Eine knappe Woche nach der bloßen Ankündigung, dass seine Reform nun unmittelbar bevorstehe, lieferte er am Mittwoch Details. Der Anteil des Lohns, der an die Rentenkasse abgeführt werden muss, soll von bisher neun auf künftig 13 Prozent angehoben werden. Gemessen am bisherigen Abgabenniveau eine Erhöhung von fast der Hälfte. Im Vergleich mit dem Durchschnitt von 15,4 Prozent in der Industriestaatenorganisation OECD wäre aber auch der neue Wert eher niedrig. 

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Ein weiteres Detail des Reformvorhabens: Die Geschwindigkeit, mit der die Abgaben angehoben werden, soll sich je nach Alter unterscheiden. Für Personen in ihren 50ern soll die Abgabe ab 2025 pro Jahr um einen Prozentpunkt erhöht werden. Wer unter 50, aber über 39 Jahre alt ist, soll pro Jahr 0,5 Prozentpunkte mehr abgeben, Personen unter 40 jährlich 0,25 Prozentpunkte mehr. 

Langsame Mehrbelastung: Anhebung der Rentenabgaben je nach Lebensalter

Der Gedanke dahinter: Die jüngeren Jahrgänge sind es, die durch die demografische Alterung und das austrocknende Pensionssystem ohnehin benachteiligt sind, weil ihre Kohorten schlicht kleiner sind als jene vor ihnen. So soll ihre Mehrbelastung nun langsamer voranschreiten. 

Kaum ein Land der Welt altert in derart hohem Tempo wie Südkorea. Die Lebenserwartung von derzeit 83,5 Jahren zählt zu den höchsten der Welt und ist allein im vergangenen Jahrzehnt um zehn Jahre angestiegen. Die Fertilitätsrate, also die Zahl der im Leben einer Frau durchschnittlich zur Welt gebrachten Kinder, ist dagegen mit 0,72 die niedrigste der Welt. Zum Vergleich: Im ebenfalls alternden Deutschland liegt die Fertilitätsrate bei 1,35, was im internationalen Vergleich auch schon niedrig ist.

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Für Südkorea kommt hinzu, dass die Migrationspolitik äußerst streng ist, die rückläufige Geburtenzahl also kaum durch Einwanderung aufgefangen wird. Für ein umlagefinanziertes Rentensystem ist dies ein Problem: Wie auch in Deutschland sinkt so bis auf Weiteres die jährlich eingezahlte Summe, während inmitten zunehmender Zahlen von Rentnerinnen und Rentner mehr ausgezahlt werden muss. 

Yoons Rentenreform: Längst nicht alle im Land sind wohlhabend

Die Lage wird noch komplizierter, wenn man bedenkt, dass es schon im bisherigen System viele Verlierer gibt. Nach dem Koreakrieg (1950-53) hatte Südkorea noch zu den ärmsten Flecken Erde dieses Planeten gehört, schaffte es dann binnen drei Jahrzehnten vom Agrarland zum Industriestaat. Südkorea ist heute die Heimat weltweit erfolgreicher Konzerne wie Samsung oder Hyundai, hat eine hohe Smartphonedichte und mit das schnellste Internet weltweit. Aber wohlhabend sind längst nicht alle geworden. 

Knapp 40 Prozent der Personen ab 65 Jahren leben heute unterhalb der Armutsgrenze, haben also Einnahmen, die weniger als die Hälfte des mittleren Einkommens betragen. Andererseits hat sich der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren zusehends prekarisiert, worunter vor allem junge Menschen leiden. 37 Prozent haben keine Festanstellung und verdienen damit meist deutlich weniger als diejenigen mit einem unbefristeten Vollzeitjob. 

Im Zuge der geplanten Reform sollen Personen mit niedrigen Einkommen künftig eine Grundrente von 400.000 Won (rund 270 Euro) statt bisher 300.000 Won erhalten. Wer Kinder zur Welt bringt oder im Militär dient, könnte Boni erhalten. Mit diesen Mitteln soll das Rentensystem vorerst bis ins Jahr 2072 flüssig bleiben. Ein automatischer Anpassungsmechanismus ist auch geplant.

Südkorea
Janggi-Spiel in Südkorea: Die Renten-Ideen des südkoreanischen Präsidenten bergen gesellschaftlichen Zündstoff. © AFP | Anthony Wallace

Weltweites Problem: Jüngere Jahrgänge als Verlierer eines umlagefinanzierten Rentensystem

Als Yoon Suk-yeol 2022 zu Südkoreas Präsident gewählt wurde, versprach er Reformen. Nur hatte der Rechtspopulist, den Kritiker als „Südkoreas Trump“ bezeichnen, den Menschen so einiges angekündigt: Kim Jong-un, Diktator im verfeindeten Bruderstaat Nordkorea, wollte Yoon „Manieren beibringen“ – bisher ist davon wenig zu sehen. Das Ministerium für Geschlechtergleichheit, das Yoon für vermeintliche Bevorzugung von Frauen kritisiert, wollte er abschaffen. Es besteht bis heute.

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Schon seit Anfang seiner Amtszeit ist Yoon höchstens mäßig beliebt gewesen: Seine Gegner lehnen den Mann, der auch die Presse drangsaliert, grundsätzlich ab. Und die überwiegend jüngeren Männer, die ihn vor zweieinhalb Jahren wählten, hadern mit der Umsetzung seiner Ankündigungen. Nur rund 30 Prozent im Land sind mit Yoons Arbeit derzeit noch zufrieden. 

Mit seiner Rentenreform will Yoon jetzt also nicht nur die Pensionskasse retten, sondern auch sich selbst. Dabei könnte das Rezept, eine Anhebung der Rentenabgaben je nach Lebensalter zu differenzieren, prinzipiell Schule machen und auch in anderen alternden Gesellschaften Anwendung finden. Denn das Problem, dass jüngere Jahrgänge an der Zahl kleiner sind und deshalb tendenziell zu den Verlierern eines umlagefinanzierten Rentensystems werden, kennt man in vielen Industriestaaten.

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Kritik der Opposition: Yoon spiele ältere gegen jüngere Menschen aus

Aber wird Konzept von Yoon funktionieren? „Dies ist die beste Lösung, um das System nachhaltiger zu machen“, urteilte diese Tage Hur Joon-young, Ökonomieprofessor an der Sogang Universität in Seoul, gegenüber dem Sender Arirang. Wobei er auch sagt: „Für die Nachhaltigkeit eines Systems ist auch Fairness von zentraler Bedeutung. Und viele junge Menschen sehen derzeit benachteiligt. “Andererseits: Unter den älteren Jahrgängen fühlen sich Geringverdienerinnen benachteiligt. 

Die Demokratische Partei, die linksliberale Oppositionsführerin, hat die Pläne des Präsidenten schon auf dieser Grundlage kritisiert: Yoon spiele die älteren gegen die jüngeren Menschen im Land aus. Statt Antagonismen zu schaffen, solle ein Präsident bei so wichtigen Reformen lieber die Solidarität zwischen den Generationen fördern. Gut möglich, dass es am Ende zu einem Kompromiss kommen wird. Im Parlament hält seit April die Demokratische Partei eine klare Mehrheit. Yoon braucht ihre Unterstützung.