Seoul. Ein Schamane soll in Südkorea die Strippen ziehen – weil der Präsident auf ihn hört. Nun geht die Sorge um, wohin der Aberglaube führt.
„Das ist sehr peinlich“, sagt Yoon Mee-hyang, wenn sie auf ein Phänomen angesprochen wird, über das Südkorea heftig debattiert. Die liberale Oppositionspolitikerin im Parlament von Seoul spricht vom Einfluss, den religiöse Führer auf die Politik nehmen, genau genommen: Auf den rechtskonservativen Präsidenten Yoon Suk-yeol. Steht der „koreanische Trump“, wie der Präsident wegen seiner zahlreichen Eskapaden auch genannt wird, unter dem Einfluss eines Schamanen?
Yoon Mee-hyang fällt da zuerst folgender Fall ein: „Als der Präsident kurz nach seinem Amtsantritt bekanntgab, dass er seinen Amtssitz vom großzügigen Blauen Haus in ein kleineres Gebäude im Seouler Viertel Yongsan verlegen würde, konnte das zuerst niemand verstehen.“ Südkoreanische Regierungsoberhäupter haben bisher stets in er höchst repräsentativen Anlage des Blauen Hauses im Stadtzentrum von Seoul gewohnt und gearbeitet.
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Allerdings soll Yoon Suk-yeol, der Anfang 2022 mit knappem Vorsprung zum Präsidenten gewählt worden war, von einem Schamanen gewarnt worden sein. Diverse südkoreanische Medien berichteten, ein Heiler in Yoons Einflusskreis halte das Blaue Haus für verflucht. Deshalb habe Yoon Suk-yeol dann tatsächlich den Umzug veranlasst. „Wenn dieser Mann eine Bemerkung macht, wird das offenbar gleich in Politik umgesetzt“, sagt die Oppositionschefin.
Präsident bestreitet jegliche Einflussnahme eines Schamanen
Zudem gebe es viele weitere Beispiele. „Er hat auch gesagt, dass ranghohe Beamte ersetzt werden sollen. Und das wurde dann so gemacht“, erzählt Yoon Mee-hyang. „Er hat wohl auch Bewertungen zur Außenpolitik gemacht, die nun Widerhall finden.“ Dieser Mann, den die Oppositionspolitikerin immer wieder erwähnt, ist eine Reizfigur in Südkorea. Bekannt ist er unter seinem Pseudonym Chun-gong, unter dem er unter anderem auf Youtube als schamanischer Heiler auftritt.
Präsident Yoon Suk-yeol hat wiederholt verneint, dass Chun-gong Einfluss auf seine Amtsgeschäfte nimmt. Aber viele Journalistinnen und Journalisten glauben ihm nicht. Ließe sich beweisen, dass Yoon unter politischem Einfluss eines Heilers steht, wäre es ein Riesenskandal, sagt Cho Il-joon, Journalist der Tageszeitung Hankyoreh: „Ich halte Chun-gong für einen koreanischen Rasputin“ – und er stehe damit nicht allein. Aber: „Wir wissen nicht, ob der Einfluss auf den Präsidenten direkt ist.“
Nichtsdestotrotz gebe es Auffälligkeiten. „Chun-gong nimmt auf seinem Youtube-Kanal oft politisch Stellung, und dabei zeigt sich große Ähnlichkeit zu Positionen des Präsidenten. Meistens sagt Chun-gong etwas zuerst und dann sieht man, wie Yoon dem folgt.“ Auch Cho Il-joon nennt ein Beispiel: „Chun-gongs Haltungen werden als sehr weit rechts beschrieben, auch als zeitlich überholt. Und Präsident Yoon lenkt Südkorea gerade in diese Richtung: Er macht eine sehr konservative Geschlechter-, Familien- und Bildungspolitik.“
Schamanismus hat in Südkorea jahrtausendealte Wurzeln
Die heftigen Debatten um den Heiler Chun-gong und mögliche schamanistische Einflüsse treffen in Korea einen besonders wunden Punkt. Schamanismus hat in dem Land jahrtausendealte Wurzeln, wobei heute weniger als zwei Prozent angeben, ihm als Religion zu folgen. Das liege aber auch daran, dass man sich mit Schamanismus in der modernen Welt nicht mehr schmücken könne, sagt Yang Jong-sung.
Er ist Gründer und Direktor des Museums für Schamanismus in Seoul. „Die Menschen in Korea sind kulturell eng verbunden mit der schamanischen, spirituellen Kraft“, so der Experte. „Alle haben schamanische Ideale in sich. Man lässt sich in Ritualen den Weg in die Zukunft ebnen.“ Viele Koreaner bitten bei schamanischen Heilern um Energie für ihr Leben – das sei in dem ostasiatischen Land so üblich.
„Wie alle anderen suchen auch Politiker Schamane auf. Aber sie geben es dann ungern zu“, meint Yang Jong-sung. Denn Südkorea, das ab den 1950er Jahren einen rasanten Aufstieg von einem Agrarland zu einer Industrienation machte, hat starke kulturelle Umwälzungen durchlebt. Schamanismus gilt heute nur noch als Aberglauben.
Bewahrheiten sich die Gerüchte, wäre ein Rücktritt unausweichlich
Yang Jong-sung aber hält das für unehrlich, denn die schamanistischen Ideen seien überall zu finden, selbst im koreanischen Christentum: „Christliche Priester sind zum Beispiel keine Mediziner oder Psychologen, verhalten sich hier aber oft so. In Predigten versprechen sie: ‚Oh! Ich kann die Kranken unter euch gesund machen!‘ Und das wird auch geglaubt!“ Auch Yang Jung-song, der einst eine Doktorarbeit über immaterielles Kulturerbe schrieb, glaubt an diese Heilkräfte.
„Ich habe solche Fälle selbst gesehen. Deswegen glaube ich auch, dass es klug ist, sich von einem guten Heiler beraten zu lassen.“ Mit Blick auf den südkoreanischen Präsidenten meint er: Yoon sei längst nicht der einzige Politiker, der sich Schamanen anvertraue. Und auch christliche Geistliche würden immer wieder Einfluss auf die Politik nehmen. Einen Skandal sieht er darin nicht.
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Vermeiden lässt sich der Einfluss nicht, meint Ji Seong-ho aus Erfahrung. Er sitzt er als Mitglied der regierenden konservativen Partei im südkoreanischen Parlament. Als junger Mann floh Ji aus Nordkorea in den Süden: „In Nordkorea ist der Schamanismus heute verboten. Die Kommunistische Partei hat alles streng reglementiert, auch Religionen. Aber Offizielle der Kommunistischen Partei suchen Heiler trotzdem auf. Das ist auch dort übliche Praxis.“.
Für den Präsidenten eines säkularen Staates müssen aber andere Regeln gelten, meint der Journalist Cho Il-joon: „Würde wirklich herauskommen, dass Yoon seine Positionen von Chun-gong hat, müsste er zurücktreten“, denn das sei „eine Schande“.