Tokio. Lange buhlte Japan um Touristen. Doch die vielen Besucher bringen neue Konflikte mit sich – vor allem, wenn sie sich nicht benehmen.

Mitten im Abteil fällt ein Mann plötzlich zu Boden. Als eine Frau ihm ihre Hand anbietet, damit er wieder auf die Beine findet, steht er schnell selbst auf. Geschickt dreht er sich, macht eine Pose. Er lässt sich dabei filmen, wie er tanzt. Und wie die anderen Fahrgäste in einem Zug in der Präfektur Yamanashi verstört hin- und wegsehen. Weitere Tänzer machen es ihm nach. Tanzvideos aus einem stinknormalen japanischen Zug – auf Instagram und Tiktok vielleicht ein Hit, aber in dem ostasiatischen Land selbst ein mittelschwerer Skandal.

Seit dem Vorfall Mitte Oktober kursieren dort mehrere Videos der Tänzergruppe, die offenbar aus New York stammt, oft mit dem Vermerk „störende Tanzvideos“. Die Betreibergesellschaft des Zuges aus der Präfektur Yamanashi westlich von Tokio sah sich gezwungen, um Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten zu bitten. Und erwägt nun rechtliche Schritte gegen die Touristen.

Touristenboom: Urlaub in Japan wird immer beliebter

Was zunächst wie eine Überreaktion seitens der Offiziellen daherkommt, ist in Japan zuletzt mit Regelmäßigkeit zu beobachten: Man regt sich darüber auf, wie sich Besucher aus Übersee im Land verhalten. Die Luft ist mittlerweile so dick, dass nicht selten Polizei oder Justiz eingeschaltet werden. Denn anders, so empfinden es Japanerinnen und Japaner zusehends, könne man sich gegen die schlechten Manieren der Reisenden nicht wehren.

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Japan wird bei Touristen aus aller Welt immer beliebter. Doch nicht alle wissen sich zu benehmen. © imago/AFLO | IMAGO stock

Dabei ist das ostasiatische Land zumindest auf abstrakter Ebene überwiegend glücklich mit dem, was gerade geschieht: Japan ist weltweit so beliebt, dass es einen historischen Tourismusboom erlebt. In den ersten drei Quartalen des Jahres haben 26,9 Millionen Touristen aus dem Ausland das Land besucht. Dieser Rekordwert hängt auch mit der aktuell schwachen Währung Yen zusammen, der Urlaub für Gäste aus dem Ausland, die mit Euro oder Dollar zahlen, erschwinglicher macht.

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Kollektiv haben Touristinnen und Touristen aus Übersee von Januar bis September 2024 rund 5,8 Billionen Yen (etwa 34,9 Milliarden Euro) in Japan ausgegeben. Hiervon profitieren nicht nur die Hotellerie und Gastronomie, sondern auch der Handel und der Staat, indem er Mehrwertsteuer einnimmt. Die Konsumzahlen, die vor kurzem die japanische Tourismusagentur veröffentlichte, markieren einen Zuwachs von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr – Tendenz steigend.

Frust über Touristen – ein selbst verschuldetes Problem?

Vor mehr als einem Jahrzehnt hatte die Regierung beschlossen, dass der Tourismus ein neuer Motor für weiteres Wirtschaftswachstum werden solle. Denn in Japans alternder und schrumpfender Bevölkerung nimmt bis auf Weiteres die Zahl von Konsumenten und Produzentinnen ab. Für Wachstum ist man so auch auf Impulse von außen angewiesen. Daher die Idee, Japan weltweit als einzigartige Destination zu bewerben.

Bis 2020 – als eigentlich die Olympischen Spiele in Tokio starten sollten, die dann aber pandemiebedingt auf 2021 verschoben wurden – sollten 40 Millionen Menschen Japan besuchen. Es wäre eine Versechsfachung gegenüber den 6,2 Millionen Besuchern im Jahr 2011 gewesen. 2019 befand sich das Land bereits auf Kurs, wurde dann durch die Coronapandemie zurückgeworfen. Im laufenden Jahr aber dürfte Japan erstmals an der 40-Millionen-Marke kratzen. Alles läuft also nach Plan.

Oder eben auch nicht. Denn mit den fremden Menschen kommen fremde Sitten ins Land, die sich vom durch Benimmregeln geprägten Japan oft stark unterscheiden. In Japan breitet man sich nicht aus, sondern macht sich klein, auch wenn es gerade gar nicht an Platz mangelt. Die Lage könnte sich schließlich jeden Moment ändern. Man stellt seine Tasche nicht auf den Sitz neben sich. Man setzt sich auch nicht auf Plätze, die für Senioren oder Schwangere vorgesehen ist, nur weil gerade Platz ist.

Respektloses Verhalten wird in Japan nicht geduldet

Nachdem die „störenden Tanzvideos“ auf sozialen Medien viral gegangen waren, musste die Betreiberfirma des Zuges daher in einem Statement betonen: „Gefährliches oder lästiges Verhalten werden wir in unseren Zügen nicht dulden und ebenso kein Verhalten, das den sicheren Betrieb unserer Züge stört.“ Wobei der Vorfall in der Präfektur Yamanashi nur einer von vielen ist.

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Im August wurde ein Österreicher verhaftet, nachdem er Sex auf dem Gelände eines Schreins hatte, also einer heiligen Stätte der Urreligion Shinto. Anfang Oktober machte die Runde, wie eine chilenische Touristin und Turnerin Klimmzüge an einem torii gemacht hatte, also den meist roten Toren, die den Eingang zu einem Schrein markieren. Die Kritik war so heftig, dass die Touristin öffentlich um Entschuldigung bat.

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Eigentlich ist Japan für seine Gastfreundschaft bekannt. Dieser Tage wird deutlich, dass diese schnell an ihre Grenzen stößt, wenn sich die Gäste nicht an die Regeln halten. Regierung und Unternehmen arbeiten unterdessen schon an Angeboten wie Landeplätzen für Privatjets und Yachthäfen, um den Fremdenverkehr für sehr reiche Reisende zu fördern. Die geben nämlich, so der Ansatz, pro Person deutlich mehr Geld aus, wodurch man nicht so viele Fremde im Land bräuchte.