Berlin. Tokio ist die Welthauptstadt der Singles. Der Regierung will das ändern – mit einer KI-basierten App. Aber nicht alle dürfen mitmachen.
Diese Dating-Plattform will es genau wissen: Wer über „Tokyo Futari Story“ die große Liebe sucht, muss zuerst seinen Ausweis hinterlegen. Es folgen 112 Fragen und ein Videointerview mit einem Beamten. Einem Beamten? Ja, denn nur der öffentliche Sektor könne versichern, dass es sich bei einem neuen Mitglied dieser App auch um eine echte, authentische Person handelt. Und nur wo dies gewährleistet sei, könne Vertrauen in die Plattform entstehen. Dies ist jedenfalls der Ansatz der Tokioter Metropolregierung, die hinter der Mitte September gestarteten Dating-App steckt.
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Sie will es besser machen als die auf dem Markt dominanten Anbieter von Tinder über Bumble bis zu OKCupid. Diese zählten zwar Abermillionen Mitglieder, viele Menschen würden aber über die Apps klagen, da sie von Misstrauen und Frust übersät seien. Denn, so Tokios Regierung: Es gebe einfach zu viele Fakeprofile und zu wenige echte User. Der Wunsch nach Zweisamkeit ist häufig, erfüllt werde er selten.
Enttäuschende Dating-Erfahrung: Regierung entwickelt eigene App
Die japanische Hauptstadt will die Sache nun in die Hand nehmen. Jenseits von Ausweisdaten und persönlicher Verifizierung müssen die Mitglieder in der neuen staatlichen Dating-App auch Informationen wie Körpergröße, Job, Heimatort und Bildungshintergrund angeben. Auf dieser Basis soll eine Künstliche Intelligenz den Mitgliedern – die übrigens 11.000 Yen für ein Zwei-Jahres-Abo zahlen (rund 67 Euro) – potenzielle Ehepartnerinnen oder -partner vorschlagen.
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Und wenn das Ganze nicht gleich funktioniert, auch kein Problem: „Unsere erfahrenen Mitarbeiter beantworten gerne alle Fragen oder Bedenken, die Sie zur Online-Heiratssuche haben“, heißt es in der Einführung der App. „Bitte zögern Sie nicht, uns anzusprechen.“ Man könne sich etwa beraten lassen, wie man jemanden am klügsten anschreibe, was man lieber nicht gleich preisgebe oder wie man ins erste Date gehen könnte.
Immer mehr Menschen in Japan sind Single
Ist dies eine Sache, die den öffentlichen Sektor etwas angeht? Bestimmt nicht überall. Aber in Japan hat das Alleinsein eben auch eine politische Dimension erreicht. 2022 ergaben Daten der Regierung, dass zwei Drittel der Männer und gut die Hälfte der Frauen in ihren Zwanzigern „keinen Ehepartner oder Partner“ hatten. Unter den Befragten in den Dreißigern traf dies auf 36 Prozent der Männer und 27 Prozent der Frauen zu.
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Als Gründe geben Befragte häufig an, dass Kinderkriegen zu teuer sei, da Erziehung viel Geld kostet, der Staat kaum unterstützt und der Arbeitsmarkt prekär ist. Wobei viele Menschen das Alleinsein auch genießen. Gerade in Städten hat sich eine Ökonomie aufgebaut, die sich mit allen möglichen Angeboten an Singles ausrichtet. Tokio ist so etwas wie die Welthauptstadt der Singles. Rund die Hälfte der Haushalte bestehen hier heute aus nur einer Person, Tendenz steigend. Nur: Der Regierung gefällt das nicht.
Wie auch in Europa liegt die Fertilitätsrate – also die Anzahl Kinder, die eine Frau im Laufe ihres Lebens im Durchschnitt zur Welt bringt – in Japan so niedrig, dass die Bevölkerung bis auf Weiteres schrumpft. Für eine konstante Einwohnerinnenzahl wären um die 2,1 Kinder pro Frau nötig. In Japan liegt die Rate seit Jahrzehnten deutlich darunter, erreichte zuletzt rund 1,3. Auch in Deutschland liegt sie nur bei 1,58, wobei die Bevölkerung durch Immigration – im Gegensatz zu Japan – dennoch gestiegen ist.
Angst vor den wirtschaftlichen Folgen wächst
Schrumpft eine Bevölkerung, wird es schwieriger, weiterhin für positives Wirtschaftswachstum zu sorgen. Die Zahl der Produzentinnen und Konsumenten sinkt, sodass Absatzmärkte schrumpfen. In der Wirtschaftswissenschaft ist umstritten, ob dies grundsätzlich ein ökonomisches Problem darstellen muss. Aber praktisch jede Regierung der Welt wünscht sich Wachstum. So bemüht man sich um Nachwuchs. Warum dann nicht auch mit Staats-Dating?
Dass sich der öffentliche Sektor darin versucht, die Menschen des eigenen Verwaltungsgebiets zusammenzubringen, ist grundsätzlich nichts Neues mehr. Vor allem in ostasiatischen Ländern, wo die Fertilitätsraten die niedrigsten überhaupt sind, haben sich nationale und auch lokale Regierungen schon einiges einfallen lassen, damit die Menschen nicht länger Single bleiben.
In Südkorea, wo die Fertilitätsrate von 0,78 die weltweit niedrigste ist, veranstalten Behörden seit Jahren Kuppelevents in angemieteten Sälen, garniert mit rosa Ballons und mit Weinflaschen auf den Tischen. Es gibt auch verschiedene Mottos, wie etwa Blind-Dating. Shin Sang-jin, Bürgermeister der Stadt Seongnam südlich von Seoul, erklärte im vergangenen Jahr hierzu: „Es ist die Verantwortung der lokalen Regierung, Bedingungen zu erfüllen, damit Menschen, die heiraten wollen, ihre Partner finden.“
Dating-App in Japan: Nicht alle dürfen mitmachen
So sieht man es eben auch in Tokio. Wobei die Regierungs-Dating-App der japanischen Hauptstadt nicht offen für alle ist. Nicht-heterosexuelle Orientierungen sind nicht vorgesehen. Japan ist das einzige G7-Land, in dem gleichgeschlechtliche Ehen noch nicht legalisiert sind. Zudem sind Personen, die nach offenen Beziehungen suchen, oder sich noch nicht gleich binden wollen, auf der App ebenfalls falsch.
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Wer sich nämlich entschlossen hat, eine der durch die KI vorgeschlagene Person offline zu treffen und diese auch regelmäßig wiedersehen zu wollen, verliert die Mitgliedschaft. Wie effektiv das Ganze ist, wird sich erst in Zukunft herausstellen. Die Tokioter Regierung plant Exit-Interviews, in denen diejenigen befragt werden, die fündig geworden sind und die App nicht mehr brauchen. Inwieweit auch die Stimmen derer interessieren, die niemanden finden, ist bisher nicht bekannt.