Siegen. Beleidigungen, Hass und Hetze nehmen zu, auch gegen Siegener Kommunalpolitik: Fraktionen fordern Rückkehr zu Vernunft und Sachlichkeit. Manche zumindest.

Ton und Wortwahl, die sonst aus eher unschönen Kommentarspalten der sogenannten „sozialen“ Netzwerke bekannt sind, hatten zuletzt Einzug gehalten in die Kommunalpolitik. Seit Langem macht online vielerorts wütender Populismus die „Musik“ – Debatten dieser Art waren zuletzt auch zunehmend in der realen Siegener Kommunalpolitik geführt worden; jenseits vom inhaltlichen Streit, von dem die Demokratie lebt. Vorwürfe, Unterstellungen, das beliebte „Grünen-Bashing“ – die Phrase „links-grüne aufofeindliche Ideologie“ fällt auch in der Sondersitzung zum Haushalt. Natürlich beim Thema Umweltspur. Von einer Partei, die nicht unter dem Verdacht des Rechtsextremismus steht. Genutzt hat‘s nicht nur ihr bei der Europawahl wenig. Unter dem Eindruck dieses Wahlergebnisses steht auch diese Debatte.

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In ihren Haushaltsreden bemühen sich in der Sitzung zumindest viele Fraktionsvertreter auch darum, die Wogen wieder etwas zu glätten, werben für eine Rückkehr zu vernünftiger Sachlichkeit. Die Politik vor Ort, so drückt es CDU-Fraktionschef Marc Klein aus, bekomme die allgemeine Verunsicherung der Menschen eben unmittelbar zu spüren. Auch wenn sie weder für multiple Krisen, Kriege, marode Autobahnen oder Preissteigerungen etwas kann. Da kann man zur Europawahl noch so sehr mit der Umweltspur plakatieren: Die wird nicht in Brüssel entschieden.

Sicherheitsgefühl - CDU fordert: Strategische Fahndung in Innenstadt Siegen unbedingt verlängern

Man müsse in der Tat anerkennen, dass national längst nicht mehr alles Gold sei, „was einst so stolz glänzte“, sagt Klein. Zuwanderung bringe Gesellschaft und Kommunen „an den Rand des Zumutbaren“, Gewaltdelikte nehmen zu, auch der weiter um sich greifende politische Islamismus beeinträchtige „massiv das Sicherheitsgefühl“ der Bevölkerung. Das gelte es sehr ernst zu nehmen - die Bundesregierung trage da wenig zu bei. Die strategische Fahndung der Polizei in der Innenstadt sei ebenso ein gutes Signal - und gehöre unbedingt verlängert - wie die geplante „Anlaufstelle Sicherheit“ am Siegener ZOB.

„Kommunale Themen sind eher das Ventil als die wirkliche Ursache für die Unzufriedenheit.“

Marc Klein
CDU

Kommunale Themen, so Kleins Einschätzung, seien „eher das Ventil als die wirkliche Ursache für die Unzufriedenheit“. Also gelte es, mit den Menschen zu reden, sich ihre Sorgen und Ängste anzuhören, das tun die Parteien auch. „Die Menschen haben Redebedarf!“ Konstruktive Kritik helfe allen weiter. „Anfeindungen, persönliche Beleidigungen, Hass und Hetze insbesondere in den Sozialen Medien gegen den Bürgermeister, die Verwaltung oder einzelne Stadtverordnete und Ausschussmitglieder gehen zu weit!“ Es gelte als Politik gemeinsam darauf zu achten, eine sachliche Ebene der politschen Auseinandersetzung beizubehalten.

„Was man sich privat und öffentlich anhören muss, wenn man eine aus jeder Perspektive verantwortungsbewusste Entscheidung in der Schwimmbadfrage trifft, geht auf keine Kuhhaut.“

Samuel Wittenburg
Volt

Die Grünen sind besonders oft das Ziel von Attacken, auch aus dem demokratischen Parteienspektrum. Dabei habe sich bei allem Dissens die Zusammenarbeit „zwischen den meisten Fraktionen“ in den vergangenen Jahren deutlich verbessert und versachlicht, findet Bernd Mäckeler. Ausreißer seien wohl dem Vorwahlkampf geschuldet, „hoffen wir, dass das eine Ausnahme ist und bleibt“. Beim Thema Wohngebiet Wellersberg hatten sich insbesondere CDU und Grüne beharkt. Mäckeler: „Nur gemeinsam können wir unsere Demokratie gegenüber den Parteien schützen, die schon heute vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Nur gemeinsam können wir das Beste für die Menschen in Siegen erreichen.“ Rechtsextremismus, Diskriminierung, Antisemitismus und Homophobie verbreiteten sich, „auch in unseren städtischen Gremien und im Rat versuchen Verfassungsfeinde, ihre gefährlichen Ideologien zu platzieren.“ Es sei parteiübergreifende Pflicht der Demokraten, Rechtsextremisten in Siegen laut und deutlich gegenüberzutreten. So wie es Steffen Mues tut, „der immer wieder deutliche Worte gegen rechtsextreme Inhalte findet. Gemeinsam sind wir mehr, vielen Dank, Herr Bürgermeister!“

Mit AfD und Ex-AfD wollen manche in der Politik gar nicht erst über den Siegener Haushalt reden

AfD und LKB – ehemals AfD–  schmollen, dass sie an den fraktionsübergreifenden Haushaltsberatungen nicht beteiligt waren. „Wir sind nicht bekannt für die Formulierung extremistischer Positionen“, sagt Michael M. Schwarzer, einst Pressesprecher der AfD-Landtagsfraktion NRW. Dies scheine das „einzige Argument“ „einiger Weniger“ zu sein, die das Liberal-Konservative-Bündnis, das „ganz anders als die AfD“ sei, nicht bei den Beratungen dabei haben wollten. Dem Vernehmen nach waren das mehrere Mitglieder von SPD und Grünen - unter anderem. Die Linke hatte während der Wortbeiträge Roland Steffes (AfD) und Michael M. Schwarzers (LKB) geschlossen den Ratssaal verlassen. „Ich kann jeden verstehen, der die AfD-Fraktion nicht mit am Tisch haben möchte“, so Schwarzer, „die Siegener AfD gilt mit ihrer enthusiastischen Höcke-Verehrung und ihrer Verachtung allen Andersdenkenden gegenüber ja selbst im Landesverband NRW als ‚failed state‘.“

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Besonders deutliche Worte Richtung rechtsaußen fand Samuel Wittenburg. Der Volt-Fraktionschef berichtete zunächst ebenfalls von Anfeindungen wegen politischer Positionen – die Partei lehnte den Erhalt des Eiserfelder Hallenbads wegen der hohen Kosten ab. „Was man sich privat und öffentlich anhören muss, wenn man eine aus jeder Perspektive verantwortungsbewusste Entscheidung in der Schwimmbadfrage trifft, geht auf keine Kuhhaut.“ In Richtung AfD, die ebenfalls einen verantwortungsbewussten Umgang mit Finanzen angemahnt hatte (Steffe: „Es ist den Bürgern nicht mehr vermittelbar, dass sie immer mehr und mehr belastet werden, während andere munter ihre schwer erarbeiteten Steuergelder ausgeben und dabei keine Zurückhaltung üben“), fragte Wittenburg, ob sie es denn damit selber auch so genau nehme: „Mit Sicherheit darf ich davon ausgehen, dass sie keine Steuergelder für teure Werbetafeln verschwenden? Und mit Sicherheit würden sie niemals private Räume an die eigene Fraktion vermieten und die Rechnung dann der Stadt überreichen?“ Die Partei habe ein Problem: Ob Petr Bystron oder Maximilian Krah - „die AfD ist von oben bis unten korrupt. Waschen Sie erstmal Ihre eigene dreckige Wäsche, bevor sie mit Dreck schmeißen.“