Hagen. Ein 16-Jähriger plant an Jom Kippur einen Terroranschlag auf die Synagoge in Hagen. Im Anschluss gibt es viele Zeichen, die Hoffnung machen.
Es gibt Ereignisse, über die möchte man lieber gar nicht berichten. Ganz einfach, weil man viel lieber hätte, es würde oder hätte sie gar nicht geben. Die Corona-Pandemie, die diese Stadt so fest im Würgegriff hat, ist so ein Ereignis. Die Jahrhundertflut, die so vielen in Hagen die Existenz unter den Füßen weggespült hat auch. Und der geplante Anschlag am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, auf die jüdische Synagoge an Potthofstraße, der Hagen bundesweit in die Schlagzeilen gebracht hat, ebenso.
Fangen wir einmal von hinten an, weil es zuletzt deutliche Zeichen der Hoffnung gab, die auf diese so erschütternden Tage Mitte September folgten. Da war zu einem Hagay Feldheim, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde. Ein bescheidener, ein zurückhaltender Mann. Ein Mann mit stillem Humor, der keinerlei Wert darauf legt, dass er oder seine Gemeinde stets im Lichte der Öffentlichkeit stehen. Jemand, der einfach nur möchte, dass die Gemeinde mitten in Hagen in Ruhe bestehen kann. Dass Menschen die Synagoge besuchen. Dass sie sie hier gemeinsam feiern, dass sie gemeinsam beten.
Klaren Position der Jüdischen Gemeinde Hagen
Dieser Mann nun bezog erstaunlich klar Stellung: Die Zeit, den Antisemitismus, mit dem er und seine Glaubensgeschwister immer wieder konfrontiert würden, einfach nur hinzunehmen, einfach nur zu erdulden, sei nun vorbei. Es sei an der Zeit, laut zu werden.
Aus diesem Ansinnen, aus dem Kampf gegen den Antisemitismus, ist noch vor dem geplanten Anschlag ein Projekt erwachsen, das nach dem geplanten Anschlag ein noch stärkeres Gewicht bekommen sollte: Jüdische Gemeinde, das Jugendkulturzentrum Kultopia und das Junge Theater Lutz am Stadttheater Hagen haben gemeinsam mit anderen Partnern eine Woche gegen Antisemitismus rund um den 11. November auf die Beine gestellt. „Aus dem Dunkeln ein Licht“ war diese Woche mit Theateraufführungen, Diskussionsveranstaltungen und Konzerten überschrieben.
Aktionswoche hat mehr Anerkennung verdient
Neben all den wichtigen Solidaritätsbekundungen ein besonderes, ein großartiges Zeichen angesichts der Tristesse – eines, das auch unsere Redaktion als einer von vielen Partnern mit gesetzt hat. Eines aber auch, das in der Öffentlichkeit noch mehr Anerkennung verdient gehabt hätte.
Es soll fortleben, wachsen – weil es niemanden nutzt, wenn sich Menschen einmalige Empörung und dann wieder zum Alltag übergehen. Ein Alltag, der auch für Juden in Hagen immer wieder geprägt ist durch Ablehnung und Hass. Da macht es Hoffnung, dass auch Dechant Dieter Aufenanger und der neue Superintendent Henning Waskönig zu Beginn der Adventszeit in einem intensiven, in einem selbstkritischen Interview ein Zeichen ausgesendet haben: Bei diesem Aufbruch, bei diesem Kampf gegen den Antisemitismus sind wir dabei.
Schwerbewaffnete Polizisten umstellen Synagoge in Hagen
Ein Rückblick auf den 15. September muss dennoch sein: Schwerbewaffnete Polizisten in Schutzwesten und Helm umstellen wie aus dem Nichts die Synagoge an der Potthofstraße. Eine Hundertschaft war angerückt, um das Gotteshaus in unmittelbarer Nähe der Redaktion zu schützen. Das bleibt allein aufgrund der Nähe nicht lange unbemerkt. Und trotzdem: Antwort auf die Frage nach dem „Warum“ erhalten wir zunächst nicht. Der Einsatz wird – wie bei solchen Lagen üblich – von der Polizei Dortmund koordiniert. Deren Sprecher tun alles – nur nicht sprechen. Die Verunsicherung ist groß.
Es ist ein zähes Arbeiten angesichts einer bizarren Situation, die mitten in der Innenstadt vielen Hagenern nicht verborgen bleibt. Die Sorge angesichts dessen, was sich am und neben dem Ferdinand-David-Park abspielt, ist riesig. Informationen allerdings sickern nur zögerlich durch. Das journalistische Arbeiten in hochdramatischer Lage gleicht einem Puzzle mit hunderten von Teilen. Zwei Reporter sind direkt vor Ort, wo sich über Stunden am Bild nichts ändert. Ich recherchiere in der Redaktion – telefoniere, bemühe Kontakte, halte Kontakt zu Kollegen.
16-Jähriger soll sich Pläne für Sprengstoffanschlag besorgt haben
Erst nach und nach ergibt sich ein Ganzes. Noch nicht an diesem Abend. Aber in den nächsten Tagen. Die Ereignisse nehmen eine Dimension und gleichzeitig eine Perversion an, wie ich sie mir nicht hätte ausmalen wollen.
Ein 16-jähriger, ein Junge im Alter meiner eigenen Kinder, wird vor seiner Schule in Vorhalle überwältigt und verhaftet. Einem amerikanischen Geheimdienst ist der Junge im Internet aufgefallen. Er soll sich per Messangerdienst bei einem mutmaßlichen IS-Terroristen mehrfach danach erkundigt haben, wie man eine Bombe baut und eine genaue Anleitung erhalten. Als Ziel eines Anschlags soll der die Synagoge in Hagen benannt haben. Die Agenten informierten den Bundesnachrichtendienst. In Hagen schlug die Polizei zu. So wurde ein Sprengstoff-Anschlag verhindert. Bauteile oder Sprengstoff werden bei Durchsuchungen allerdings nicht gefunden.
Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat
Am 17. September ordnet ein Hagener Richter Haft gegen den 16-Jährigen an. Damit folgt er einem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf. In einer Mitteilung heißt es: „Der strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getretene Beschuldigte ist der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat dringend verdächtig.“
Was bleibt ist die Hoffnung, das aus einem vereitelten Terroranschlag in dieser Stadt etwas erwachsen kann – wir werden weiter berichten. Und wir wollen daran mitwirken.