Essen. Die Kitas im Ruhrgebiet stecken in einer tiefen Krise. Kann die Vier-Tage-Woche die Lösung sein – oder ist Modell für Erzieherinnen undenkbar?

Die Kitas in Nordrhein-Westfalen stecken seit Jahren in einer tiefen Krise. Eine der größten Herausforderungen ist der enorme Personalmangel. Mit der Einführung einer Vier-Tage-Woche versuchen zwei Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Monheim am Rhein nun, neue Erzieherinnen und Erzieher anzulocken. Als wohl erste Kitas im Land führen die „Kita Grünauer Straße“ und die „Tagesstätte Kunterbunt“ das Arbeitszeitmodell ein. Kann die Vier-Tage-Woche auch für Einrichtungen im Ruhrgebiet ein Weg aus der Krise sein?

„Der Bedarf an Kita-Plätzen ist so sehr gestiegen, dass er kaum noch erfüllt werden kann“, sagt Andreas Wiemers, Sprecher des AWO Bezirksverbandes am Niederrhein. Gleichzeitig seien Fachkräfte nur schwer zu finden. Die Folge: In der Kita Grünauer Straße, die eigentlich für 110 Kinder ausgelegt ist, können aufgrund des fehlenden Personals zurzeit nur 78 Kinder betreut werden.

10 Stunden Arbeit pro Tag: Vier-Tage-Woche in der NRW-Kita

Die Vier-Tage-Woche soll nun neue Erzieherinnen und Erzieher anlocken. Diese können sich zwar über einen zusätzlichen freien Tag in der Woche freuen, müssen dafür aber an den restlichen vier Tagen jeweils zehn Stunden arbeiten. Schließlich solle sich ihre Wochenarbeitszeit mit der Vier-Tage-Woche nicht reduzieren, sagt Wiemers: „Das war keine Option, weil eben auch die Gehaltsreduzierung keine Option war.“

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Die Erzieherinnen und Erzieher, die bereits in den Kitas arbeiten, würden die Mehrarbeit an den restlichen Tagen gerne in Kauf nehmen, um dafür einen freien Tag mehr in der Woche zu haben – sei es, um zu entspannen, sich um pflegebedürftige Angehörige zu kümmern oder Zeit mit ihren Kindern zu verbringen.

Für Anne Berger, Geschäftsführerin des Kita-Zweckverbandes in Essen, ist die Vier-Tage-Woche eine Möglichkeit, um den Personalmangel zu überwinden.
Für Anne Berger, Geschäftsführerin des Kita-Zweckverbandes in Essen, ist die Vier-Tage-Woche eine Möglichkeit, um den Personalmangel zu überwinden. © Kita-Zweckverband | Achim Pohl

Vier-Tage-Woche für Erzieherinnen: Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Die Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf wird vielen Menschen immer wichtiger. Diese Erfahrung macht auch Anne Berger, Geschäftsführerin des Kita-Zweckverbands in Essen, zu dem rund 250 Einrichtungen zählen.

Personalmangel ist ein großes Problem, aktuell sind rund 190 Stellen im pädagogischen Bereich nicht besetzt. „Wir haben eigentlich immer Stellen offen“, sagt Berger. Daher wurde mittlerweile eine Task-Force gegründet, die sich damit beschäftigt, wie die Kita als Arbeitgeber attraktiver werden kann. Ein wichtiger Punkt: flexible Arbeitszeitmodelle wie die Vier-Tage-Woche.

Welche Rahmenbedingungen müssen beachtet werden? Wie kann sichergestellt werden, dass auch die Randzeiten in der Betreuung abgedeckt sind? Was passiert bei Krankheitsfällen? Das seien nur einige der Punkte, die bei der möglichen Einführung einer Vier-Tage-Woche bedacht werden müssen.

„Personalgewinnung steht für uns absolut im Fokus“

Nach Monheim blickt Berger daher mit großem Interesse. „Aber wir warten nicht, bis dort Ergebnisse präsentiert werden, und prüfen derzeit schon unsere Optionen“, sagt Berger. Die Vier-Tage-Woche sei dabei nur ein Ansatz von vielen.

Unterschiedliche Arbeitszeitmodelle gehörten bereits zum Alltag, selbst die Kitaleitung arbeite in mehreren Einrichtungen bereits in Teilzeit. „Wir erproben auch Führungspositionen in Tandem, haben multiprofessionelle Teams im Einsatz oder bereiten aktuell den Einsatz ausländischer Fachkräfte vor“, sagt Berger. „Das Thema Personal steht für uns absolut im Fokus“, betont sie.

Uni Duisburg-Essen untersucht Vier-Tage-Woche in der Kita

Dass die AWO in Monheim bereits den Schritt in die Praxis wagt und die Vier-Tage-Woche einführt, hält Daniela Heimann, Vorsitzende des Landeselternbeirat in NRW, für einen „interessanten Vorstoß“. Sie denkt, dass so neues Personal gewonnen werden könnte.

Gleichzeitig befürchtet Heimann allerdings, dass das Personal dann wiederum in anderen Kitas fehlen könnte. „Und was auf keinen Fall passieren darf, ist, dass es darin mündet, dass der fünfte Betreuungstag in der Woche infrage gestellt wird. Klar ist, dass weiterhin an jedem Wochentag die Betreuung sichergestellt sein muss“, fordert Heimann.

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Darum müssen sich die Eltern der beiden Monheimer Kitas keine Sorgen machen. Dass die Vier-Tage-Woche ein Baustein sein kann, um die Krise zu überwinden, davon sei die AWO zwar überzeugt. Aber es sei auch klar, dass damit längst nicht alle Probleme gelöst werden könnten.

Wie erfolgreich das Modellprojekt tatsächlich ist, soll wissenschaftlich ausgewertet werden. Der Versuch wird von der Universität Duisburg-Essen begleitet. Eine erste Prognose könnte bereits im November gestellt werden: Dann werden in Monheim neue Stellen für Erzieherinnen und Erzieher ausgeschrieben.

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