Aachen/Essen. Aachen will Menschen ohne pädagogische Ausbildung in Kitas mithelfen lassen. Warum das neue Modell in NRW auf Zustimmung aber auch Skepsis stößt.

Können Verkäuferinnen, IT-Experten oder Verwaltungsangestellte bald bei der Kinderbetreuung in Kitas helfen? Die Stadt Aachen hat die Weichen dafür gestellt. Um dem massiven Fachkräftemangel entgegenzuwirken, hat der Kinder- und Jugendausschuss unlängst in einem einstimmigen Votum dem sogenannten Aachener Modell zugestimmt. Das sieht vor, dass Menschen, die keine pädagogische Ausbildung haben, kurzfristig in den Kitas eingesetzt werden können.

„Die Not in den Kitas ist groß, es muss endlich gehandelt werden“, sagt Heinz Zohren, Geschäftsführer des freien Aachener Trägers Pro Futura. Zohren ist Mitglied der Arbeitsgruppe, die das Konzept für das Modell erarbeitet hat.

AWO in NRW: Aachener Modell ist „erster Lösungsansatz“

„Menschen, von denen wir überzeugt sind, dass sie einen guten Zugang zu den Kindern haben“, können laut Zohren etwa beim Zähneputzen helfen, mit den Kindern spielen oder draußen die Aufsicht übernehmen. Die Aufgaben bewegten sich im Bereich zwischen einer Kinderpflegeperson und einem Alltagshelfer oder einer Alltagshelferin. Das Land muss dem Modell allerdings noch zustimmen. Heinz Zohren ist sich sicher, dass das Konzept flächendeckend in den NRW-Kitas funktionieren kann.

Die AWO NRW begrüßt das Aachener Modell als „einen ersten Lösungsansatz“, sagt Geschäftsführer Michael Mommer auf Anfrage. Der Verband vertritt derzeit rund 750 Kitas. „Die Träger der Kindertageseinrichtungen haben keinen personellen Puffer, durch den Ausfallzeiten aufgrund von Krankheit, Schwangerschaften oder gar Kündigungen abgefedert werden können“, betont Mommer. So werde kein neues Personal gefunden, das den gesetzlichen Vorgaben der Personalverordnung entspreche.

Essener Kita-Verband: Kita-Personal bei Verwaltungsaufgaben entlasten

Daher arbeitet der AWO Bezirksverband Mittelrhein ebenfalls an einem Konzeptpapier, das „fachfremde“ Personengruppen in die Kita-Arbeit miteinbeziehen soll, um die Fachkräfte vor Ort zu entlasten. Eine Gefahr, die Berufsgruppe könnte durch die ungelernten Kräfte abgewertet werden, sieht Mommer dabei nicht. Vielmehr wachse die Chance, wieder eine qualitativ hochwertige Bildung durch verlässliche Betreuung zu gewährleisten.

„Die Träger der Kindertageseinrichtungen haben keinen personellen Puffer, durch den Ausfallzeiten aufgrund von Krankheit, Schwangerschaften oder gar Kündigungen abgefedert werden können“, sagt Michael Mommer, Geschäftsführer der AWO in NRW. (Symbolbild)
„Die Träger der Kindertageseinrichtungen haben keinen personellen Puffer, durch den Ausfallzeiten aufgrund von Krankheit, Schwangerschaften oder gar Kündigungen abgefedert werden können“, sagt Michael Mommer, Geschäftsführer der AWO in NRW. (Symbolbild) © dpa | Waltraud Grubitzsch

Der Kita-Zweckverband des Bistums Essen hält den Einsatz von ungelernten Hilfskräften mit Blick auf die Qualitätssicherung in Kitas für „nicht zielführend“. Der Verband ist mit rund 251 Einrichtungen einer der deutschlandweit größten freien Kita-Träger. Der hohe Fachkräftebedarf könne auch durch den Einsatz von Hilfskräften nicht gedeckt werden, sagt Lina Strafer, Sprecherin des Kita-Zweckverbands. Als ein Baustein im Kampf gegen den Fachkräftemangel sei es allerdings sinnvoll, wenn Hilfskräfte das pädagogische Personal beispielsweise bei Verwaltungsaufgaben entlasteten.

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Zudem biete der Verband eine Schulung an, in der sich Hilfskräfte, die bereits Berufserfahrung mitbringen, in 160 Stunden zur Fachkraft qualifizieren könnten. Um das Problem langfristig in den Griff zu bekommen, sei die Politik gefordert, dem Arbeitsfeld der frühkindlichen Bildung mehr Wertschätzung zu geben, in die Ausbildung zu investieren und die Kapazitäten der Fachschulen auszuweiten, so Strafer.

Verdi sieht einen Rückschritt

Auch die Gewerkschaft Verdi fordert von der Landesregierung kurzfristiges nicht-pädagogisches Personal für hauswirtschaftliche- oder verwaltende Tätigkeiten über das nordrhein-westfälische Kinderbildungsgesetz (KiBiZ) zu refinanzieren – um damit die Erzieherinnen und Erzieher zu unterstützen. Das Konzept aus Aachen ist laut Verdi allerdings „ein Rückschritt in der Qualitätsentwicklung des Systems der frühkindlichen Bildung in NRW“, kritisiert Tjark Sauer, Gewerkschaftssekretär von Verdi-NRW. Zudem werfe das Aachener Modell rechtliche und tarifrechtliche Fragen und Probleme auf.

Heinz Zohren selbst sieht das Aachener Modell ebenfalls nicht als die „perfekte Lösung“ im Kampf gegen den Fachkräftemangel an. Aber in der Not müssten nun mal Kompromisse gemacht werden, das Aachener Modell sei daher ein wichtiger Baustein. Zohren denkt das Konzept weiter: „Ein weiteres Ziel ist es, dass sich Menschen, die Interesse an der pädagogischen Arbeit haben und bestimmte Voraussetzungen erfüllen, berufsbegleitend weiterbilden können“, um dann langfristig in der Kita pädagogisch mitzuarbeiten.