Essen. Stahlindustrie: IG Metall fordert 8,5 Prozent mehr Lohn und eine Vier-Tage-Woche. Arbeitgeber lehnen das ab. Die Argumente der Tarifparteien.

Der Kampf um die Vier-Tage-Woche in der Stahlindustrie hat begonnen: Die IG Metall NRW geht mit der Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit von 35 auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich in die kommende Tarifrunde. Das hat die Tarifkommission der Gewerkschaft am Mittwoch beschlossen. Sie will damit einerseits die Belastung der Stahlarbeiter reduzieren und gleichzeitig den zu erwartenden Stellenabbau bekämpfen, indem die gleiche Arbeit auf mehr Schulter verteilt wird. Zudem fordert die IG Metall für die 68.000 Beschäftigten der nordwestdeutschen Stahlindustrie eine Lohnerhöhung von 8,5 Prozent.

Der Arbeitgeberverband Stahl, dessen Hauptgeschäftsführer Gerhard Erdmann die im Spätherbst beginnenden Verhandlungen mit der IG Metall führt, lehnte die Forderungen „entschieden ab“. Unserer Redaktion sagt er, mit der Arbeitszeitverkürzung um 8,6 Prozent summiere sich die Lohnforderung auf über 17 Prozent. Das sei existenzgefährdend und auch mit Blick auf die Milliardenhilfen des Staates für den Umbau der Stahlindustrie das völlig falsche Signal. „In einer solchen Situation eine Debatte um mehr Work-Life-Balance anzufangen, kann nur nach hinten losgehen“, sagte Erdmann.

Knut Giesler, Verhandlungsführer und NRW-Chef der IG Metall, betonte vor Journalisten, mit der Arbeitszeitverkürzung erst in einigen Jahren beginnen zu wollen. Damit sei auch klar, dass bis dahin keine Mehrkosten durch den geforderten Lohnausgleich anfielen. In der aktuellen Lohnrunde spiele das deshalb keine Rolle. Erdmann entgegnete, der Lohnausgleich treffe dann in einigen Jahren auf ein entsprechend höheres Lohnniveau und komme doch obendrauf.

Eine lupenreine Vier-Tage-Woche ließe sich mit den 32 Stunden leicht in der Verwaltung umsetzen, erklärte Gewerkschaftschef Giesler. Das gelte für immerhin 30 bis 35 Prozent der Beschäftigten, die in administrativen Bereichen tätig seien. Für die Schichtarbeit in den Stahlwerken ist eine starre Vier-Tage-Woche nicht möglich, weil sich der Wechsel von Schichten und freien Tagen nicht an den Kalenderwochen orientiert. Hier geht es der IG Metall darum, aufs Jahr gesehen 26 bis 30 Schichten zu streichen, die Anzahl variiert je nach Schichtmodell und Länge der Schichten.

Unbeliebte Zusatzschichten für Stahlkocher sollen wegfallen

Damit sollen auch die bei den Stahlkochern sehr unbeliebten Zusatzschichten wegfallen. Da sie mit ihren regulären Schichten derzeit im Durchschnitt nur auf 33,6 Arbeitsstunden pro Woche kommen, müssen sie rund ein Dutzend Zusatzschichten im Jahr fahren, um auf die tariflich festgelegten 35 Stunden zu kommen. Im ständigen Wechsel von Früh- und Spätschichten seien die Zusatzschichten sehr belastend. In einer Umfrage der IG Metall gaben daher drei von vier Stahlbeschäftigten an, dass ihnen eine Arbeitszeitverkürzung besonders wichtig wäre. Damit ist ihnen dieses Thema genauso wichtig wie höhere Löhne.

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Mehr Lohn und weniger Arbeit – der Widerspruch auch des größten Stahl-Arbeitgebers zu den zwei zentralen Forderungen der Gewerkschaft ließ nicht lange auf sich warten. Bernhard Osburg, Thyssenkrupps Stahlchef, sagte unserer Redaktion: „Eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich passt überhaupt nicht in diese Zeit. Wir befinden uns mitten in einer enorm herausfordernden Transformation. Und auf dem Weg zu grünem Stahl brauchen wir unsere Leute mit ihrer vollen Arbeitskraft. Da fällt eher mehr Arbeit an, nicht weniger.“

Arbeitgeber-Verhandlungsführer Erdmann sagte, eine Arbeitszeitverkürzung sichere keine Arbeitsplätze. Stattdessen entziehe sie den Unternehmen „dringend benötigte Arbeitskräfte“, rechnerisch etwa jede zehnte. Während der Transformation brauche die Industrie aber „hoch qualifizierte Arbeitskräfte zum Einfahren der neuen Anlagen zur klimaneutralen Stahlproduktion“. Ohne genügend Fachkräfte sehen die Arbeitgeber den grünen Umbau und damit ihre gesamte Industrie in Gefahr.

IG-Metall-Landeschef Giesler: 17.000 Jobs fallen weg

Giesler fühlt sich hier bewusst missverstanden. Er betonte vor Journalisten, dass ihm sehr bewusst sei, dass in den kommenden Jahren zunächst mehr Beschäftigte benötigt würden, um den Umbau der Stahlindustrie zu stemmen. Wenn das gelinge, fielen durch die Abschaltung der Hochöfen und Kokereien in den kommenden zehn Jahren aber bundesweit rund 17.000 Arbeitsplätze im Stahl weg, so die Hochrechnung. Knapp die Hälfte davon lasse sich mit der Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden auffangen.

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Gieslers Ziel in den Verhandlungen ist es deshalb, die Reduzierung der Arbeitszeit schrittweise, beispielsweise um eine halbe Stunde pro Jahr, ab einem bestimmten Datum zu beginnen. „2027 oder 2028 wären realistische Startpunkte“, so Giesler. Bis dahin sollen die ersten grünen Stahlwerke, so genannte Direktreduktionsanlagen, stehen.

Arbeitgeber: Das kostet uns 400 Millionen Euro

Der Arbeitgeberverband hielt dagegen: Wenn die Transformation nach ihrer Vollendung den Verlust von Arbeitsplätzen nach sich ziehe, dann werde dies durch die demografische Entwicklung kompensiert: „Bereits heute sind mehr als 30 Prozent der Beschäftigten der deutschen Stahlindustrie älter als 55 Jahre“, sagte Erdmann, der langjährige und in diesem Sommer ausgeschiedene Finanzchef der Duisburger Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM). Zu teuer sei eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich auch: Für die gesamte Stahlindustrie lägen die Mehrkosten der IG-Metall-Forderung nach einer 32-Stunden-Woche bei mehr als 400 Millionen Euro.

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Die IG Metall wirft den Arbeitgebern ihre Sorge vor einem Fachkräftemangel zurück vor die Füße: „Das ärgert mich wirklich. Sie haben in den vergangenen Jahren Tausende Stellen abgebaut und jetzt fragen sie, wo sie Personal herkriegen sollen – dieses Problem haben die Arbeitgeber nun wirklich selbst geschaffen“, sagte Giesler. Laut IG-Metall-Zahlen haben die Stahl- und die Stahlrohr-Unternehmen in Deutschland zwischen 2019 und 2022 rund 8000 Stellen abgebaut.

Thyssenkrupp Steel hat erst Stellen abgebaut, stellt jetzt wieder ein

In der Tat hat auch Thyssenkrupp Steel seinen vor drei Jahren begonnenen Abbau von 3000 Stellen inzwischen gestoppt. „Wir stellen allein in diesem Jahr 1000 neue Mitarbeitende ein“, sagte unlängst Ali Güzel, der neue Stahl-Betriebsratschef von Thyssenkrupp.

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Denn der Umstieg von kohlebasiertem Stahl zu grünem Stahl, der mit Wasserstoff hergestellt werden soll, nimmt in NRW erst jetzt Fahrt auf, nachdem Bundes- und Landesregierung die erste Anlage von Thyssenkrupp mit insgesamt zwei Milliarden Euro unterstützen. Auch HKM im Duisburger Süden hat staatliche Hilfen beantragt, will ebenfalls einen Hochofen durch eine Direktreduktionsanlage ersetzen. Dafür steht die Genehmigung aber noch aus.