Gelsenkirchen/Bochum. Aral-Mutter BP Europa will sich von traditionsreicher Ruhr Oel mit Raffinerie in Gelsenkirchen trennen. Mehr als 2000 Jobs betroffen.

An einem der wichtigsten Industriestandorte Nordrhein-Westfalens bahnt sich eine Zäsur an. Der Aral-Mutterkonzern BP Europa SE will sich von seiner Raffinerie in Gelsenkirchen trennen. Das Ziel sei, noch im laufenden Jahr die entsprechenden Verträge zu schließen, erklärte das Unternehmen in Bochum. In einer Mitteilung des Mineralölkonzerns heißt es, es werde nun „der Markt für einen möglichen Verkauf“ sondiert.

Formal veräußern will BP die Ruhr Oel GmbH, deren wichtigstes Geschäft die Raffinerie in Gelsenkirchen mit ihren derzeit rund 2000 Beschäftigten sowie 160 Auszubildenden ist. Zum Unternehmen Ruhr Oel gehört auch die Mülheimer Firma DHC Solvent Chemie, die Lösemittel herstellt. Bei DHC arbeiten Unternehmensangaben zufolge mehr als 75 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon ein Großteil in der Produktion und im Labor.

BP-Europachef Wendeler: „Sich rasant entwickelnder Energiemarkt“

„In einem sich rasant entwickelnden Energiemarkt wollen und müssen wir uns fokussieren“, begründet Patrick Wendeler, der Vorstandschef der BP Europa SE, die Verkaufspläne. „Nach eingehender Prüfung sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die Ruhr Oel GmbH unter einem neuen Eigentümer ihr volles Potenzial entfalten kann.“

Der Raffinerie-Komplex in Gelsenkirchen, im Hintergrund der Kraftwerksstandort: Mehr als 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind allein bei der BP-Tochter Ruhr Oel beschäftigt.
Der Raffinerie-Komplex in Gelsenkirchen, im Hintergrund der Kraftwerksstandort: Mehr als 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind allein bei der BP-Tochter Ruhr Oel beschäftigt. © FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Während des Verkaufsprozesses werde der Raffineriebetrieb in Gelsenkirchen „in gewohnter Weise fortgeführt“, betont die BP Europa SE in einer Mitteilung. Der Zeitpunkt der Übergabe des Unternehmens an einen neuen Eigentümer hänge unter anderem von behördlichen Zustimmungen ab.

Teil von Ruhr Oel: Tanklager in Bottrop und Pipelines in den Niederlanden

Die Ruhr Oel GmbH, die in früheren Jahren zum Veba-Konzern gehörte, betreibt zwei Werke in den Gelsenkirchener Stadtteilen Horst und Scholven als zusammenhängenden Raffinerie- und Petrochemie-Standort, hinzu kommt ein Tanklager in Bottrop. Die Verarbeitungskapazität der Raffinerie beträgt Unternehmensangaben zufolge derzeit etwa zwölf Millionen Tonnen Rohöl pro Jahr. Daraus entstehen neben Benzin, Diesel, Düsentreibstoff, Heizöl auch Produkte für die Chemieindustrie. In den Niederlanden verfügt die Ruhr Oel GmbH über Beteiligungen an einem Terminal sowie an Pipelines und Rohöltanks.

„In einem sich rasant entwickelnden Energiemarkt wollen und müssen wir uns fokussieren“, begründet Patrick Wendeler, der Vorstandschef der BP Europa SE, die Verkaufspläne für die Raffinerie-Firma Ruhr Oel.
„In einem sich rasant entwickelnden Energiemarkt wollen und müssen wir uns fokussieren“, begründet Patrick Wendeler, der Vorstandschef der BP Europa SE, die Verkaufspläne für die Raffinerie-Firma Ruhr Oel. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Im März vergangenen Jahres hatte BP angekündigt, fünf Anlagen in den Gelsenkirchener Stadtteilen Horst und Scholven außer Betrieb nehmen zu wollen. Dies könnte nach Einschätzung von BP zu einer Reduzierung der Produktionskapazität von rund zwölf Millionen Tonnen Rohöl auf rund acht Millionen Tonnen pro Jahr führen. Mit Blick auf die Stilllegung der fünf Anlagen sprach BP von einem ersten Schritt. „Wir stellen uns auf eine abnehmende Nachfrage bei Benzin und Diesel ein“, sagte Arno Appel, der Leiter der Raffinerie in Gelsenkirchen, im vergangenen März im Gespräch mit unserer Redaktion, und berichtete, der Raffineriestandort von BP in Gelsenkirchen sei „nicht wettbewerbsfähig“. BP ging Konzernkreisen zufolge davon aus, dass rund 230 Arbeitsplätze von den Einschnitten betroffen sein sollten.

Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin und IGBCE zeigen sich besorgt

Die Gewerkschaft IG BCE reagiert besorgt auf die Verkaufspläne des BP-Konzerns. „Mit der heutigen Ankündigung verlässt das Unternehmen den Pfad der sozialen Verantwortung. Das können wir nicht nachvollziehen“, sagt Thomas Steinberg, der Leiter des IGBCE-Bezirks Gelsenkirchen. „Für die Beschäftigten, aber auch für die Stadt und die gesamte Region, ist das keine gute Nachricht, weil damit große Unsicherheit verbunden ist.“ Die Raffinerie in Gelsenkirchen stelle wichtige Produkte für den deutschen Markt und die Versorgungssicherheit des Landes her, betont Steinberg.

Mit Blick auf die Beschäftigten fordert Steinberg: „Wir erwarten, dass es für sie auch in Zukunft bei Tarifbindung, sozialen Standards und Arbeitsbedingungen keine Verschlechterungen geben wird.“ Gelsenkirchen Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) betont, bei Verkaufsverhandlungen sollten eine langfristige Standort- und eine umfassende Beschäftigungssicherung „oberste Priorität“ haben.

Mit Tankstellenkette Aral ist BP Marktführer in Deutschland

Die BP Europa SE, die ihre Hauptverwaltung in Bochum hat und zum global agierenden britischen Mineralölriesen BP gehört, beschäftigt eigenen Angaben zufolge rund 9000 Mitarbeiter in Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Österreich, Polen, der Schweiz und in Ungarn. Seit dem Jahr 2002 ist Aral die Tankstellenmarke von BP in Deutschland. Aral ist bundesweit der Marktführer der Tankstellenketten. Mit dem Standort Gelsenkirchen und einer weiteren Raffiniere im niedersächsischen Lingen betreibt BP das zweitgrößte Raffinerie-System Deutschlands mit einer Verarbeitungskapazität von zuletzt rund 18 Millionen Tonnen Rohöl pro Jahr. Mineralölkonzerne wie BP müssen sich auf steigende Kosten für den Ausstoß des Klimagases Kohlendioxid (CO2) einstellen. Die Branche leide zudem unter hohen Energiekosten in Deutschland, heißt es im Umfeld des Konzerns.

Zur BP Europa SE mit Hauptverwaltung in Bochum gehört auch Deutschlands größte Tankstellenkette Aral.
Zur BP Europa SE mit Hauptverwaltung in Bochum gehört auch Deutschlands größte Tankstellenkette Aral. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Arno Appel, der Leiter der BP-Raffinerie in Gelsenkirchen, betonte aber auch, das Unternehmen habe mit „substanziellen Investitionen“ den Standort in den vergangenen Jahren „grundlegend modernisiert“. Im September 2023 hatte BP einen Ausblick zur künftigen Aufstellung des Unternehmens in Deutschland gegeben. Dabei ordnete das Management dem Standort Gelsenkirchen insbesondere die Produktion konventioneller Kraftstoffe zu. Auch die Nachfrage nach petrochemischen Produkten insbesondere in NRW sollte die Ruhrgebiets-Raffinerie decken.

BP plant mit Raffinerie in Lingen für die Zukunft

Den Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft treibt BP indes andernorts in Deutschland voran. So will der Konzern seine Raffinerie im niedersächsischen Lingen bis zum Jahr 2030 zu einem „integrierten Energiezentrum“ weiterentwickeln. Zukunftsthemen seien unter anderem Biokraftstoffe sowie grüner Wasserstoff, heißt es bei BP.

Zu potenziellen Käufern der Raffinerie in Gelsenkirchen macht BP keine Angaben. Klar ist, dass der Konzern einen Komplettverkauf anstrebt. Der Zeitplan für eine Vertragsunterzeichnung ist auffallend ehrgeizig.

198808_256_198808_cover.jpg

#3 Die Macht vom Hügel: Was die Eigner von Thyssenkrupp wollen

Am Abgrund – Die Thyssenkrupp-Story

In früheren Jahren war unter anderem der venezolanische Staatskonzern PDVSA an der Raffinerie beteiligt. Danach stieg für einige Jahre der staatliche russische Konzern Rosneft ein. Vor etwa zehn Jahren übernahm der britische BP-Konzern den Standort im Ruhrgebiet vollständig.

Zuletzt sind Investoren aus dem arabischen Raum in Deutschland auf Einkaufstour im Chemiesektor gegangen. Mit einer milliardenschweren Transaktion übernahm die staatliche Abu Dhabi National Oil Company (Adnoc) aus den Vereinigten Arabischen Emiraten den Leverkusener Chemiekonzern Covestro.

Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier: