Mülheim. Mülheims Stadtverwaltung hat zum Tod des Guineers nach einem Polizeieinsatz aus ihren Akten berichtet. Dort ist von massiven Problemen die Rede.
Wer war Ibrahima Barry, der am 6. Januar nach einem Polizeieinsatz in der Mülheimer Flüchtlingsunterkunft an der Mintarder Straße gestorben ist? „Er war ein freundlicher, hilfsbereiter Mensch“, wiederholten jüngst Freunde während der Demonstrationen auf dem Kurt-Schumacher-Platz. Unauffällig sei der junge Mann gewesen, von psychischen und Drogenproblemen keine Spur. Nicht nur der wegen der laufenden Ermittlungen zum Todesfall noch unvollständige Einsatzbericht jenes 6. Januar zeichnet ein anderes Bild, sondern auch die Akte zu Ibrahima Barry bei der Stadt Mülheim. Details hieraus sind nun öffentlich gemacht.
Die drei großen Fraktionen im Stadtrat (CDU, Grüne, SPD) sowie drei Mitglieder des Integrationsrates um dessen Vorsitzenden Hasan Tuncer hatten von der Stadtverwaltung mehr Informationen zu dem Einsatzgeschehen am 6. Januar und zur Vorgeschichte des verstorbenen Flüchtlings eingefordert. Mit einer gebündelten Antwort kamen Ordnungsdezernentin Anja Franke und Sozialdezernentin Daniela Grobe dem nun nach.
Guineer war seit 2017 ausreisepflichtig, blieb in Mülheim wegen fehlender Pässe aber geduldet
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Fernab des Geschehens kurz vor und während des Polizeisatzes, der Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft Duisburg ist, wiesen Franke und Grobe insbesondere Mutmaßungen zurück, die Stadt habe Barry womöglich in den zurückliegenden Jahren zu wenig auf dem Radar gehabt. Franke und Grobe beriefen sich auf die Aktenlage der Stadtverwaltung und berichteten ausführlich, wenn aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes auch nicht vollumfänglich, was demnach seit August 2017, als das Mülheimer Ausländeramt zuständig für den jungen Guineer wurde, aktenkundig geworden sein soll.
Als Barry nach Mülheim gekommen sei, sei sein Asylantrag bereits abgelehnt gewesen. Ebenso sei ihm kein Flüchtlingsstatus oder eine subsidiäre Schutzbedürftigkeit anerkannt worden. Barry habe seine Mitwirkung bei der Feststellung seiner Identität über die gesamte Zeit verweigert, so sei er unmittelbar vom Ausländeramt zur Ausreise aufgefordert worden. Aufgrund fehlender Reisedokumente sei Barry Anfang 2018 zunächst eine Duldung erteilt worden, im April 2018 sei er zur Passbeschaffung aufgefordert worden. Die guineische Botschaft habe im Juni 2018 dann bestätigt, dass Barry nichts vorgebracht habe, das rechtfertige, ihm Personaldokumente auszustellen. So habe das Ausländeramt erneut eine Duldung ausgesprochen und den jungen Mann nochmals aufgefordert, bei der Identitätsfeststellung mitzuwirken.
Mehrere Jahre in Arrest: Junger Guineer aus Mülheim soll drei Haftstrafen verbüßt haben
Anfang 2019 habe Barry den Wunsch geäußert, eine Arbeitserlaubnis für Deutschland zu bekommen. Das habe man ihm wegen der fehlenden Mitwirkungsbereitschaft verwehrt und ihn gleichzeitig aufgefordert, bei der guineischen Botschaft ein Reisedokument zur Rückführung zu beantragen. „Hier gab er an, dass er das nicht tun werde“, heißt es in der Stellungnahme der Ausländerbehörde.
Es folgte laut Stadtverwaltung eine erste Haftstrafe für Barry über die Dauer von einem Jahr und vier Monaten; die Straftat blieb unerwähnt. „Im November 2020 wurde Herr B. der guineischen Delegation vorgeführt und durch diese angehört. Herr B. verweigerte die Kooperation und sprach nur in Deutsch und nicht in Französisch, was aufgrund des Dialektes Hinweise auf das Herkunftsland geben sollte“, heißt es. So sei wieder kein Passierschein für eine Ausreise ausgestellt worden. Nur einen Monat später trat Barry laut Akten der Stadtverwaltung eine weitere Haftstrafe an, für Mitte 2021 sei eine dritte Verurteilung zu zwei Jahren Jugendstrafe dokumentiert. Eine Identitätsfeststellung via Sprachgutachten in den haftfreien Monaten dazwischen sei an der Maskenpflicht (Corona) gescheitert. Auch später sei dies trotz weiterer Versuche nicht gelungen.
Stadt Mülheim äußert sich zur psycho-sozialen Begleitung für Ibrahima Barry
So blieb Barry laut Behörde trotz Ausreisepflicht sechseinhalb Jahre in Mülheim. Jahre, in denen es laut Stadtverwaltung „mehrfache Kontakte und Angebote durch den sozialpsychiatrischen Dienst zur Behandlung auf freiwilliger Basis“ gegeben habe, die der Guineer allerdings lange Zeit abgelehnt habe. Mit Verweis auf die ärztliche Schweigepflicht über den Tod hinaus machten Grobe und Franke keine näheren Angaben zu einer mutmaßlichen psychischen Erkrankung des jungen Mannes. Sie berichteten aber, dass Sicherheitskräfte am 6. Januar, als Barry in der Saarner Flüchtlingsunterkunft randaliert haben und verbal und körperlich „extrem aggressiv“ geworden sein soll, nicht zum ersten Mal eine Zwangseinweisung in eine Psychiatrie in die Wege geleitet hätten. Noch am Silvestertag 2023 sei dies zuletzt geschehen.
Erst mit dem städtisch veranlassten Einzug in das mit Sicherheitsdienst ausgestattete Saarner Flüchtlingsdorf im Juni 2023 „und vor dem Hintergrund einer erneut drohenden Inhaftierung“ habe Barry sich auf Hilfsangebote der Stadt für „eine intensive Begleitung“ eingelassen. An dieser seien der Kommunale Beratungsdienst, das Gesundheitsamt und die Bewährungshelferin beteiligt gewesen. Zwei Ziele seien damit verfolgt worden: dass Barry seine Bewährungsauflagen erfülle und seine Suchtproblematik (ein erstes toxikologisches Gutachten hatte Kokain-Konsum festgestellt) in den Griff bekomme.
Job beim Mülheimer Diakoniewerk, Entgiftung in einer Klinik, laut Stadt aber Rückfälle
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Dem Bericht der Stadt zufolge wurde Barry eine Integrationsgelegenheit beim Diakoniewerk vermittelt, um ihn zu stabilisieren und ihm Tagesstruktur zu geben. Mitte Dezember habe der junge Guineer in einer Klinik eine Entgiftung durchlaufen, danach sei ihm ein Platz im Psychosozialen Zentrum Düsseldorf vermittelt worden. Über einen möglichen Trauma-Therapieplatz habe man mit im Januar weiter sprechen wollen. „Leider verhinderte das alles nicht, dass Herr B. im Dezember und im Januar erneut rückfällig wurde“, so Sozialdezernentin Grobe zuletzt im Integrationsrat.
Dass es aufgrund der mutmaßlich psychischen Erkrankung jeweils nur zu temporären Zwangseinweisungen des Guineers, der in allen anderen städtischen Unterkünften und selbst in der Notschlafstelle Hausverbot gehabt haben soll, gekommen sei, erklärt Rechtsdezernentin Franke mit der Rechtslage. Ein Freiheitsentzug als massiver Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Freiheitsrecht sei „stets in Abwägung zwischen Schutzinteressen (Fremd- und Selbstgefährdung) und den Freiheitsrechten“ zu beurteilen. Gerichte hätten im Fall Barry stets dessen Freiheitsrecht höher bewertet.
Mülheims Sozialdezernentin: „Wir haben nicht nur den kriminellen Schwarzen gesehen“
All die Schilderungen aus den Akten gaben ein anderes Bild von Ibrahima Barry ab als jenes, das ein Cousin, Freunde und Bekannte jüngst etwa auf den Kundgebungen auf dem Kurt-Schumacher-Platz gezeichnet haben. „Es kann sein, dass sie jemand Anderen kennen gelernt haben, als es die Akten aussagen“, gab Sozialdezernentin Daniela Grobe zu bedenken. Sie „merke, dass viel vorgefallen ist“, sagte wiederum die stellvertretende Integrationsratsvorsitzende Raymonde Gilbert Mandel-Driesen und fragte nach der Möglichkeit einer Akteneinsicht für Barrys Familie, um dies nachvollziehen zu können. Dezernentin Franke wollte diese „komplexe“ Frage nicht ad hoc bescheiden.
Mandel-Driesen betonte „die zwei Perspektiven“, die Verwaltung und die afrikanische Community auf den Menschen Ibrahim Barry hätten. Mit Verweis auf die Vielzahl an Hilfeleistungen, die die Stadt Barry habe angeboten, war es Sozialdezernentin Grobe ein Anliegen zu betonen, „dass es bei uns tatsächlich auch den Blick auf den Menschen gegeben hat. Wir haben nicht nur den kriminellen Schwarzen gesehen.“
Im Integrationsrat blieb eine hitzige Debatte aus, Filip Fischer von der SPD lobte den „würdevollen“ Umgang mit dem schwierigen Tagesordnungspunkt. Ratsvorsitzender Hasan Tuncer kritisierte derweil, dass es seitens der Stadtspitze keinerlei öffentliche Beileidsbekundung für die Familie Barrys gegeben habe. Er dankte der Verwaltung gleichwohl für die ausführliche, wenn auch aus seiner Sicht späte Darstellung. Dies sei „wichtig, um die Dinge zu verstehen“ und daraus womöglich für die Zukunft zu lernen, so Tuncer im Einklang etwa mit Gabriele Hawig von der SPD. „Wir möchten, dass in Zukunft kein Mensch mehr ums Leben kommt.“
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