Mülheim. Die afrikanische und guineische Community in Mülheim und ganz Deutschland ist über den Fall Ibrahima B. entsetzt. Was sie fordern: Aufklärung.

Auf der langen, hölzernen Tafel liegt ein Kranz aus Tannenzweigen, er ist von mehreren bunten Blüten durchsetzt. Daneben liegt ein Bund weißer Rosen mit etwas Schleierkraut. Stumme Zeugen der Trauer, die an diesem Mittwochnachmittag im Raum hängt. Rund 20 Männer haben sich in einem Besprechungsraum des Jugendzentrums Stadtmitte an der Georgstraße versammelt, auf Einladung der Vereine Axatin e.V. und Amam, um über Ibrahima B. zu sprechen, der am vergangenen Samstag nach einem Polizeieinsatz in der Saarner Flüchtlingsunterkunft gestorben ist. „Wir wollen zeigen, dass wir nicht schweigen“, sagt Gilberte Raymonde Mandel-Driesen.

Die 1. Vorsitzende von Axatin will denen eine Stimme geben, die bislang nicht gehört wurden. „Die lokale Community ist sehr betroffen. Nicht nur Guineer, auch andere Afrikaner in Deutschland sind fassungslos.“ Einer von ihnen ist Alpha Sow. „Wie konnte das passieren“, fragt er in die Runde. Sichtlich gerührt verliest er eine Rede, die er verfasst hat. „Wir drücken unsere tiefe Trauer aus und fordern Gerechtigkeit für Ibrahima.“ Einen Tag vor dessen Tod noch habe er ihn angetroffen. An der Aktienstraße, wo Ibrahima B., wie wohl so oft, mit dem Fahrrad unterwegs war. „Er war gut drauf, wirkte gesund.“

Mülheimer Todesfall weckt Erinnerung an andere Verstorbene

Für das, was sich am Abend des 6. Januars ereignet hat, gibt es keinen Grund – sind sich die Anwesenden einig. Dass ihr Bekannter und Freund massiv krank gewesen sein soll und deshalb infolge der Taser-Stromschläge erst kollabiert und dann nach einem Reanimationsversuch verstorben ist, ist für sie nicht zu greifen. Die meisten der Männer möchten ihre Namen nicht öffentlich nennen, die negativen Kommentare zu den Berichten über B.s Tod haben viele erschrocken. „Dieser Fall ist einer von vielen. Das ist ein multidimensionales Problem“, sagt ein Mann aus Dortmund. „Es erinnert mich sehr an Mouhamed Dramé.“ Der 16-Jährige war im August 2022 von einem Polizisten in einem Jugendzentrum in der Dortmunder Nordstadt mit einer Maschinenpistole erschossen worden.

„Das ist innerhalb kurzer Zeit der zweite Tod eines jungen Afrikaners im Zusammenhang mit der Polizei. Zu viel“, zieht Aïssatou Chérif Baldé eine bittere Bilanz. Sie ist 1. Vorsitzende der Guinée-Solidaire-Organisation mit Sitz in Hamburg. „Das ist untragbar, unfassbar.“ Als nach eigenen Aussagen größte Vereinigung von Guineern in Deutschland habe der Verein einen Anwalt eingeschaltet, stehe zudem im täglichen Austausch mit der Familie von Ibrahima B.

Hamburger Verein schaltet sich in Mülheimer Fall ein

„Wir sind vorsichtig mit den Informationen, die bislang bekannt sind. Aber wir vertrauen auch auf das Rechtssystem und müssen uns nun gedulden“, sagt Baldé. „Gleichzeitig verlangen wir eine gründliche Aufklärung.“ Zu erfahren, was mit Ibrahima geschehen ist, so die Vereinsvorsitzende, sei neben der Bestattung ihres Sohnes in der Heimat der sehnlichste Wunsch der Eltern. „Wir werden versuchen, die Rückführung zu organisieren und sie auch bezahlen.“ Schätzungsweise, sagt Baldé, rechne sie mit Kosten in Höhe von 4000 Euro.

Ehe das jedoch geschehen kann, müsse die Familie nachweisen, dass es sich bei dem Verstorbenen um ihren Sohn handele. Das erklärt die Stadt auf Nachfrage. „Unterlagen, aus denen sich Hinterbliebene ergeben, liegen der Stadt nicht vor. Hinterbliebene müssen sich innerhalb der gesetzlichen Bestattungspflicht von zehn Tagen melden.“

Mülheimer Community sieht strukturelle Probleme als Auslöser

Dass es so weit überhaupt erst kommen konnte, dafür machen die Bekannten und Freunde Ibrahima B.s und die beteiligten Vereine der guineischen und afrikanischen Gemeinschaft auch strukturelle Probleme verantwortlich. „Wir als schwarze Community leiden unter Polizeigewalt“, sagt Gilberte Raymonde Mandel-Driesen. Sie spricht dieser Tage mit Menschen, denen der Fall nahe geht. „Viele sind der Meinung, dass die Polizei anders hätte reagieren können, nein: müssen.“ So etwas dürfe nie wieder passieren, umso wichtiger sei eine lückenlose Aufklärung. „Wir wollen wissen, was genau passiert ist.“ Was bislang von Staatsanwaltschaft, Polizei und der Stadt bekannt gegeben worden ist, ist laut Mandel-Driesen „einfach nur enttäuschend“.

Gilberte Raymonde Mandel-Driesen, Vorsitzende des Vereins Axatin, fordert eine lückenlose Aufklärung des Falls.
Gilberte Raymonde Mandel-Driesen, Vorsitzende des Vereins Axatin, fordert eine lückenlose Aufklärung des Falls. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Lena Wiese, Vorstandsvorsitzende vom Duisburger Verein „Solidarische Gesellschaft der Vielen“ sieht einen klaren Fall der öffentlichen Täter-Opfer-Umkehr. Sie habe sich bereits mehrfach mit Todesfällen im Zusammenhang mit Polizeigewahrsam und Polizeigewalt auseinandergesetzt. „Niemand sagt, dass Ibrahima ein Engel war und sich nur korrekt verhalten hat. Aber hier werden ganz klar Vorurteile bedient, um von der eigentlichen Frage abzulenken.“ Aus Sicht der Vorstandsvorsitzenden und Aktivistin laute die: Wieso musste Ibrahima sterben?

Stadt Mülheim weißt Framing-Vorwurf von sich

„Es wundert mich, dass so schnell die Information veröffentlicht werden konnte, dass Kokain bei ihm nachgewiesen werden konnte“, sagt Lena Wiese. Wie die Staatsanwaltschaft auf Nachfrage erklärt, sei das durch einen Urintest möglich gewesen, der sehr deutlich ausgefallen sei. „Sehr ungewöhnlich, diese Erkenntnis so früh mitzuteilen“, sagt Wiese. „Dadurch wird ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Drogenkonsum und dem Tod suggeriert.“ Mehr noch: „Es wird das Bild des schwarzen, kriminellen, drogenabhängigen Mannes gezeichnet, um den es nicht traurig ist.“

Diesen Vorwurf weist die Stadt von sich. „Der Tod des jungen Mannes ist traurig und ich verstehe, dass der Todesfall persönliche Betroffenheit auslöst. Mir liegen aber keinerlei Erkenntnisse dazu vor, dass der Tod durch Fremdeinwirkung eingetreten ist. Deswegen sind wir in unserer Haltung neutral“, sagt Ordnungsdezernentin Anja Franke. „Spekulationen helfen nicht, im Gegenteil: Unsere Einsatzkräfte müssen darauf vertrauen können, dass auch sie nicht vorverurteilt werden.“

Den Kranz aus Tannenzweigen und die weiße Rosen wollte am Mittwochabend die kleine Gruppe derer, die sich im Jugendzentrum versammelt hatten, an der Flüchtlingsunterkunft in Mülheim-Saarn ablegen. „Es können nur fünf Leute mit“, sagt Gilberte Raymonde Mandel-Driesen vorher. „Wir wollen kein Aufsehen erregen.“

Tod nach Polizeieinsatz - so berichteten wir:

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