Mülheim. Nach dem Tod eines 23-jährigen Guineers in einer Mülheimer Flüchtlingsunterkunft läuft die Obduktion. Woran starb der Mann?
Im Falle des Todes eines 23-jährigen Guineers aus einem Mülheimer Flüchtlingsheim in der Nacht zum Sonntag läuft derzeit die Obduktion des Leichnams. Staatsanwaltschaft Duisburg und Polizei in Bochum, die aus Neutralitätsgründen die Ermittlungen übernommen hat, erwarten erste Ergebnisse am frühen Nachmittag. Korrigiert wurde inzwischen das Alter des jungen Afrikaners, der nach einem Polizeieinsatz wegen Randalierens im Krankenhaus starb: Laut Polizei ist er nicht 26, wie zunächst gemeldet, sondern drei Jahre jünger.
In der kommenden Woche wird der Fall ein parlamentarisches Nachspiel haben. Die SPD-Opposition im Landtag erwartet spätestens in der nächsten Sitzung des Innenausschusses einen Einsatzbericht von NRW-Innenminister Hebert Reul (CDU). „Ich gehe davon aus, dass Innenminister Reul den Landtag umgehend über die Erkenntnisse informieren wird. Einen entsprechenden Bericht werden wir dazu anfordern“, sagte SPD-Innenexpertin Christina Kampmann unserer Redaktion am Sonntag. Der Innenausschuss kommt regulär am 18. Januar zum ersten Mal nach dem Jahreswechsel wieder zusammen.
Polizeipräsidium Bochum hat die Ermittlungen übernommen
Kampmann forderte Besonnenheit bei der Aufklärung und zugleich Entschiedenheit in der Sache: „Der Vorfall ist dramatisch und muss selbstverständlich minutiös aufgeklärt werden. Noch wissen wir viel zu wenig, was Ursache war und zu diesem schrecklichen Ausgang geführt hat.“ Die Ermittlungen hat aus Gründen der Neutralität das Polizeipräsidium Bochum übernommen.
Der junge Westafrikaner soll am Samstagabend in der Erstaufnahmeeinrichtung an der Mintarder Straße in Mülheim-Saarn randaliert und Mitarbeiter angegriffen haben. Die vom Sicherheitsdienst zur Hilfe gerufenen Polizeibeamten seien im Zimmer des Mannes angegriffenen worden. Laut Polizeibericht habe sich das „dynamische Geschehen“ auf den Flur und in den Innenhof der Einrichtung verlagert. Zwei Beamte wurden den Angaben zufolge durch Bisse und eine Polizistin durch einen Tritt gegen den Kopf verletzt. Die Polizei setzte gegen den Flüchtling zweimal einen Taser ein, „ohne dass eine Wirkung zu erkennen war“, wie es im Einsatzbericht heißt. Im Rettungswagen verlor der Guineer jedoch das Bewusstsein und verstarb im Krankenhaus.
Umstrittener Taser: Schwarz-Grün in NRW wartet auf Evaluationsbericht
Der Taser als Einsatzmittel der Polizei ist schon länger umstritten. CDU und Grüne haben sich vor anderthalb Jahren in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, bereits gekaufte Geräte noch an weitere Polizeidienststellen auszuliefern, zugleich aber bis 2024 wissenschaftlich Bilanz ziehen zu lassen. In einer vertraulichen Dienstanweisung für die Polizei wird ausdrücklich vor dem Einsatz der Elektropistolen „zur Bewältigung von dynamischen Lagen“ gewarnt. Die sogenannten Distanzelektroimpulsgeräte (DEIG) sollen eigentlich durch den Abschuss von zwei Elektroden einen Angreifer durch einen Stromstoß nur kurzzeitig außer Gefecht setzen. Teile der Grünen stufen die Gesundheitsrisiken als zu hoch ein.
Polizei verteidigt den Taser: Oft reicht im Einsatz schon die Drohung
Die Polizei verteidigte den Taser bislang stets als milderes Einsatzmittel als die Schusswaffe. Im vergangenen Jahr hatten die Beamten nach einer ersten Bilanz bis Anfang Dezember 1245 Mal den Taser gezogen. Im Jahr 2022 gab es im gleichen Zeitraum nur 734 Einsätze der Elektroschockpistole. Wie das Innenministerium betonte, reichte in den allermeisten Fällen die Drohung, den Taser auszulösen. Wirklich geschossen wurde demnach nur in jedem fünften Fall.
Im Sommer 2022 war der Taser zuletzt in die Kritik geraten, als im Zuge eines missglückten Polizeieinsatzes in Dortmund ein 16-jähriger Flüchtling getötet wurde. Der Elektroschocker hatte offenkundig seine Wirkung verfehlt, kurz darauf fielen damals tödliche Schüsse aus einer Polizei-Maschinenpistole. Der Fall hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. Mehrere Beamte müssen sich zurzeit vor dem Landgericht Dortmund verantworten.
Bewohnern des Mülheimer Flüchtlingsdorfs wird angeboten, mit Notfallseelsorgern zu sprechen
In der Mülheimer Flüchtlingsunterkunft herrsche am Tag nach dem Vorfall eine „sehr ruhige Stimmung“, berichtet Stefanie Spielhagen vom Deutschen Roten Kreuz, die das Flüchtlingsdorf an der Mintarder Straße in Saarn leitet. Um das Erlebte verarbeiten zu können, werde allen Bewohnern angeboten, Gespräche mit Notfallseelsorgern zu führen.
Mülheims Sozialdezernentin Daniela Grobe ist noch in der Nacht von dem tödlichen Ausgang des Polizeieinsatzes an der Einrichtung informiert worden. „So etwas wühlt die Menschen in der Unterkunft natürlich auf“, sagte Grobe und verwies auf die Maßnahmen des Notfallmanagements, etwa die angebotene Seelsorge. „Wir wollen bestmöglich Ruhe in der Einrichtung gewähren und die Menschen damit nicht alleine lassen.“
Im Saarner Flüchtlingsdorf, das die größte städtische Unterkunft für Geflüchtete in Mülheim ist, wohnen überwiegend Menschen aus der Ukraine. Mit Stand vom Freitag, 5. Januar, waren nach Auskunft der Stadt dort 133 Geflüchtete untergebracht. Veranlasst worden sei nach dem Vorfall seitens der Stadt, berichtet Mülheims Sozialdezernentin, dass „alle Informationen, die uns über den Verstorbenen vorliegen, zusammengetragen werden“. Weiteres müssten die Ermittlungen der Bochumer Polizei klären. mit kb/AFi