Mülheim. Nach dem Tod eines Flüchtlings nach einem Polizeieinsatz in Mülheim haben Ermittlungen erste Ergebnisse gebracht. Wir waren am Unglücksort.

Zum Tod eines jungen Guineers nach einem Polizeieinsatz im Flüchtlingsdorf Mülheim-Saarn am vergangenen Samstagabend hat die Staatsanwaltschaft Duisburg jetzt erste Ermittlungsergebnisse präsentiert.

Die aus Neutralitätsgründen eingeschaltete Polizei Bochum bestätigt demnach, dass der Sicherheitsdienst der Einrichtung die örtliche Polizei alarmiert habe, weil der Guineer in der Unterkunft randaliert haben soll. Da sich der junge Guineer auch gegenüber den Polizeibeamten aggressiv gezeigt habe und übergriffig geworden sei, hätten Polizeibeamte „mindestens zweimal“ einen Taser zum Einsatz gebracht. Schließlich sei der Mann, der sich weiter zur Wehr gesetzt habe, unter Kontrolle gebracht worden. Im weiteren Verlauf seien bei ihm gesundheitliche Probleme aufgetaucht, die eine Reanimation nötig gemacht hätten. Im Krankenhaus war der Bewohner der Flüchtlingsunterkunft verstorben.

Tod des Flüchtlings in Mülheim: Ermittler warten auf weitere Untersuchungsergebnisse

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Eine Obduktion am Montag ergab laut Staatsanwaltschaft „keine genauen Hinweise auf die Todesursache“. Es sei jedoch festgestellt worden, dass der Verstorbene „erheblich vorerkrankt“ gewesen sei. Eine erste toxikologische Untersuchung des Blutes habe ergeben, dass er unter dem Einfluss von Kokain stand. Weitere medizinische Untersuchungen seien in Auftrag gegeben. Die eingesetzten Taser habe die Ermittlungskommission sichergestellt, hieß es. Diese würden nun vollständig ausgelesen und untersucht. Ferner sollten die gesicherten Bodycam-Aufnahmen der Einsatzkräfte ausgewertet werden.

Das Alter des Verstorbenen war zunächst mit 26 angegeben, später auf 23 korrigiert worden. Aber auch da herrscht noch keine Klarheit. Eine erkennungsdienstliche Behandlung des mehrfach polizeilich in Erscheinung getretenen Mannes ergab laut Staatsanwaltschaft, dass dieser in der Vergangenheit unter verschiedenen Alias-Namen und mit unterschiedlichen Geburtsdaten aufgefallen sei. Weitere rechtsmedizinische Untersuchungen sollen helfen, das Alter abschließend zu bestimmen. Die Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei dauern an.

Kälte und Stille liegen über dem Mülheimer Flüchtlingsdorf

Montagmorgen, ein Besuch vor Ort in Saarn. „Nichts gesehen“, winkt ein älteres Pärchen kurz ab, das am Montagmittag vom Einkauf in das Mülheimer Flüchtlingsdorf an der Mintarder Straße zurückkehrt. Nachdem hier ein Polizeieinsatz am Samstagabend mit dem Tod des Guineers geendet ist, liegen eisige Kälte und Stille über dem Saarner Heim. Eine flatternde blaue Mülltüte kaschiert das kaputte Fenster einer Unterkunft. Doch kaum jemand ist vor der Tür, drei Männer unterhalten sich an einem Treppenaufstieg - einer in Uniform eines Sicherheitsdienstes.

Ein Mann bleibt auf dem Weg zu den Häusern schließlich doch stehen. Er wohne nicht dort, sondern besuche nur einen Freund. Über den Verstorbenen könne er nichts sagen, außer, dass dieser als einziger Guineer dort gewohnt haben soll. Gewissermaßen isoliert. Vielleicht aber habe sein Freund etwas gesehen, stellt er in Aussicht. Doch der kommt am Ende nicht vor die Tür.

Duisburger Verein sucht vor Ort nach Antworten auf offene Fragen

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So bleiben Fragen offen, auch für Lena Wiese vom Duisburger Verein „Solidarische Gesellschaft der Vielen“ (SGDV). Die Vorsitzende ist am Montag in Saarn, um den Namen des Verstorbenen herauszufinden, um dann Kontakt zur Familie aufnehmen zu können. Dann würde der Verein dabei helfen, den Verstorbenen in das Heimatland zu überführen, um ihn dort zu beerdigen. „Viele Familien wollen das“, sagt Wiese. Grundsätzlich aber sei der SGDV gegründet worden, um marginalisierten Gruppen, eben auch Zugewanderten, eine Stimme zu geben.

Doch auch das Ereignis selbst beschäftigt den Verein: Warum waren zwei Taserschüsse durch die Polizei notwendig, obwohl der Mann - so steht es im Polizeibericht - in seinem Zimmer angetroffen wurde? Warum habe der Mann Widerstand geleistet? Oft sei es so, schildert Wiese, dass Geflüchtete aufgewühlt seien, wenn Polizei im Spiel ist, vor allem, wenn sie womöglich schon vorbelastet sind. Dann verdränge die Angst vor Abschiebung alles. Zeigte der Taser deswegen zunächst keine Wirkung?

Mülheimer Bundestagsabgeordneter: Debatte zu Taser-Einsatz ist übereilt

Und: Wie gut ist die Polizei im Umgang mit dem Taser geschult? Junge Afrikaner würden von der Polizei oftmals als körperlich stark eingeschätzt. Überschätzte man die Verfassung des Mannes und drückte deshalb gleich mehrfach ab? Zu wenig sei zu dem Fall bekannt, bemängelt Wiese, vor allem eine unabhängige Schilderung des Geschehens. Auch darum hofft der Verein, am Montagmittag mit Augenzeugen sprechen zu können.

Direkt nach dem tragischen Vorfall in Mülheim-Saarn die Taser-Debatte neu zu entfachen, hält Sebastian Fiedler, für Mülheims SPD im Bundestag und ehemals Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter, für übereilt. Es gelte zunächst die Ergebnisse von Obduktion und Ermittlungen abzuwarten. Wenn der von der Polizei veröffentlichte Sachverhalt stimme, dass der Guineer nach zweimaligem Schießen mit dem Taser keinerlei Reaktion gezeigt habe, sei daraus eigentlich nur der Schluss zu ziehen, dass der 23-Jährige gar nicht getroffen worden sei. Wenn ein Taser treffe, falle ein Getroffener wegen der hohen Stromspannung unkontrolliert zu Boden, sei fünf Sekunden außer Gefecht gesetzt.

Landtagsabgeordneter Bakum (SPD) sieht auch Stadt Mülheim in der Pflicht zur Aufklärung

Grundsätzlich, so Fiedler, habe der Einsatz von Tasern - losgelöst von dem Mülheimer Fall - „schon seine Berechtigung“. Er kenne viele Berichte, unter anderem vom ehemaligen Essener Polizeipräsidenten Frank Richter, dass in brenzligen Einsätzen der Polizei allein die Androhung der Taser-Aktivierung zur Deeskalation beigetragen habe.

Mülheims SPD-Landtagsabgeordneter Rodion Baum forderte am Montag vom NRW-Innenministerium „eine schnelle Aufklärung“ der Umstände, die zum Tod des 23-Jährigen geführt haben. Da es sich beim Flüchtlingsdorf in Saarn um eine kommunale Einrichtung handele, sei auch Mülheims Stadtverwaltung aufgefordert, zu größtmöglicher Transparenz beizutragen. Diese blieb am Montag mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen stumm.

Insbesondere interessiere ihn auch, ob es bei der Ankunft von geflüchteten Menschen ein systematisches Gesundheitsscreening, eine psychosoziale Erstberatung und Betreuung gebe, so Bakum mit dem Hinweis darauf, dass ihm aus der Nachbarschaft der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) des Landes in Raadt jüngst auch Hinweise erreicht hätten, dass im Ortsteil ein offenbar psychisch kranker Bewohner herumlaufe.

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