Mülheim. Mülheims Stadtrat soll nun die Weichen dafür stellen, dass 2025 keine ZUE in Raadt mehr gebraucht wird. Die Details zu anstehenden Beschlüssen.

Die Stadt Mülheim arbeitet im Eiltempo daran, festen Boden unter den Füßen zu bekommen in der Bewältigung der Zuwanderung. Jetzt liegen der Politik Vertragswerke vor, mit denen die Stadtspitze auch an Zutrauen gewinnen will, ihr Versprechen an Bürger in Raadt einzulösen, dass die umstrittene Landesunterkunft (ZUE) für bis zu 650 Geflüchtete im kleinen Stadtteil nicht allzu lange Bestand hat.

Im Dezember des Vorjahres hatte der Stadtrat mit großer Mehrheit, bei Gegenstimmen der AfD und Enthaltungen der MBI, ein Konzept der Verwaltung zur mittelfristigen Flüchtlingsunterbringung abgesegnet: Es soll helfen, künftig nicht mehr in die Not zu geraten, Turnhallen zweckentfremden zu müssen für die Unterbringung geflüchteter Menschen.

Stadt Mülheim und Wohnungsbaugenossenschaft vor umfangreicher Kooperation

Auch interessant

Das Konzept sieht insbesondere eine Kooperation in der Sache mit dem Mülheimer Wohnungsbau (MWB) vor. Die örtliche Genossenschaft hat mit der Stadtspitze einen Deal des Geben und Nehmens ausgemacht. Deal 1: Die Stadt überlässt der MWB ihr verwaistes, knapp 1,4 Hektar großes Grundstück der alten Stadtgärtnerei, das östlich am Hauptfriedhof in Holthausen angrenzt.

Der MWB soll dort schleunigst – innerhalb von 18 Monaten nach Erteilung einer Baugenehmigung – Geflüchteten-Unterkünfte bauen mit 135 Wohnungen sowie einen Verwaltungs-Pavillon. Elf Häuser sind geplant, die Wohnungen sollen 54 oder knapp 64 Quadratmeter groß sein und drei bis sechs Personen Platz bieten. Der Bauantrag ist bereits gestellt.

Später könnte MWB die Häuser in Mülheim-Holthausen am freien Markt platzieren

Insgesamt sollen 7756 Quadratmeter Wohnfläche geschaffen werden – mit der Zweckbindung, diese über mindestens zehn Jahre an die Stadt für die Unterbringung von Geflüchteten zu vermieten. Zweimal besteht laut Vertragsentwurf für jeweils weitere fünf Jahre eine Verlängerungsoption für die Stadt. Die Stadt verpflichtet sich zu einer monatlichen Mietzahlung in Höhe von rund 77.600 Euro (6,70 Euro/m2). Jahr um Jahr ist eine Erhöhung um 1,7 Prozent vorgesehen.

So sehen die Pläne zur Bebauung an Mülheims alter Stadtgärtnerei aus.
So sehen die Pläne zur Bebauung an Mülheims alter Stadtgärtnerei aus. © MWB/Stadt Mülheim

In voller Transparenz legen Stadt und MWB sämtliche Vereinbarungen bis hin zur Möblierung offen. Die MWB hat jährlich eine Erbpacht in Höhe von 62.000 Euro an die Stadt zu entrichten. Sollte später die Zweckbindung entfallen, Flüchtlinge dort unterzubringen, soll der Erbpachtzins anhand des dann gültigen Zeitwerts des Grundstücks neu bestimmt werden. Der Erbpachtvertrag soll eine Laufzeit von 99 Jahren haben. Heißt: Später könnte die MWB die Häuser dort am freien Markt platzieren; die Stadt will hierfür entsprechendes Baurecht schaffen. In der Laufzeit des Erbpachtvertrages ist die Stadt auch berechtigt, der MWB das Grundstück zum Kauf anzubieten.

Mülheimer Wohnungsbau will pro Jahr bis zu 150 Wohnungen bereitstellen

Auch interessant

Deal Nummer 2: Die MWB will der Stadt in den kommenden fünf Jahren jährlich bis zu 150 weitere Wohnungen aus ihrem Bestand zur Unterbringung von Geflüchteten zur Verfügung stellen. In diese Kooperationsvereinbarung (mit einem Muster- statt vieler einzelner Mietverträge) einfließen sollen 120 bereits bestehende Mietverhältnisse. Auch hierdurch erhofft sich die Stadt Entlastung – insbesondere unterstützt dies das Ziel, Menschen möglichst schnell dezentral unterzubringen, was auch ihrer Integration zugutekommen soll.

Die MWB bietet jene Wohnungen für eine Grundmiete von zunächst 6,50 Euro pro Quadratmeter an. Die Staffelmiete sieht eine Erhöhung um 11 Cent pro Jahr vor. Die Wohnungsbaugenossenschaft übernimmt dabei – gegen Kostenerstattung – auch die Instandhaltung und Ausstattung der Wohnungen. Und sie lässt sich festschreiben, dass sie bei der Wohnungsvergabe weiterhin vorrangig ihre Mitglieder zu bedienen hat.

Stadt Mülheim will Grund an Blücherstraße für 800.000 Euro erwerben - als Notreserve

Von einem dritten Deal, der im Dezember seites Stadtverwaltung und Politik versprochen worden war, ist in den aktuell in der Ratssitzung am 21. September zur Entscheidung anstehenden Vertragsentwürfen nicht die Rede: das Versprechen an die MWB, möglichst zügig Baurecht zu schaffen für Wohnbebauung auf und rund um den Sportplatz am Papenbusch in Dümpten. Hier will die MWB günstigen Wohnraum auch für andere Bürgerinnen und Bürger schaffen. Die Einleitung eines Bebauungsplanverfahrens steht noch aus.

Auch interessant

Zum Unterbringungskonzept für Flüchtlinge zählt schließlich auch, an der Blücherstraße in Heißen eine unbebaute, gut 14.600 Quadratmeter große Fläche anzukaufen, die als Notreserve für die Flüchtlingsunterbringung dienen soll. Auch hier ist der Entwurf des Kaufvertrages veröffentlicht. Mit dem Eigentümer hat sich die Stadt auf einen Kaufpreis von 800.000 Euro verständigt.

Oberheidstraße: Bald Gartencenter Schley statt Flüchtlingshäuser?

Dass man volle Transparenz schaffe, sei auch als Reaktion auf den Bürgerunmut jüngst rund um die Landeseinrichtung in Raadt zu verstehen, so Sozialdezernentin Daniela Grobe. Die Stadt verfolge ein klares Ziel, wie bereits Ende 2022 bekundet: Mit den Neubauten und zusätzlichen Wohnungen soll es möglich werden, die ZUE in Raadt möglichst schon im Sommer 2025 wieder aufzugeben. Die Stadt hatte sich vom Land zusichern lassen, dass ein Betrieb dort über zwei Jahre hinaus nicht ohne Zustimmung der Stadt möglich sein soll. Sollte die ZUE schließen, muss die Stadt die Zahl der dort untergebrachten Menschen selbst stemmen – sprich: Wohnraum für 650 Menschen selbst organisieren.

Jetzt baue man dafür vor, sagt Grobe. Die Stadt hofft gar, mit dem Ausbau der eigenen Unterbringungskapazitäten möglichst auch in der Lage zu sein, die Holzhäuser an der Oberheidstraße in Dümpten schon 2024 abräumen zu können. An der Fläche hat ein Gartencenter Interesse, dem Vernehmen nach Schley.

Flüchtlingsaufnahme: 123 Prozent – Mülheim übererfüllt seine Pflicht

All diese Szenarien sind natürlich abhängig vom Fluchtgeschehen, das weiter große Ausmaße annimmt. In Mülheim kommt davon derweil wenig an – das hat seinen Grund: Stand Freitag hatte die Stadt ihre Aufnahmeverpflichtung für Flüchtlinge weit übererfüllt. Laut Bezirksregierung Arnsberg sind in Mülheim aktuell 2552 Flüchtlinge untergebracht, das entspricht einer Erfüllungsquote von 123 Prozent (das Soll liegt bei 2161 Menschen). In dieser Quote eingerechnet sind zu 50 Prozent auch die 626 Bewohner der ZUE in Raadt. Bald schon sollen jene Bewohner gar zu 100 Prozent den Städten zugerechnet werden, was Mülheims Position zusätzlich stärken würde.

Folglich gibt es aktuell keine Zuweisungen an Mülheim, auch wenn das Land laut Grobe „in maximaler Not“ sei, Ankommende vor Obdachlosigkeit zu bewahren. Nur einzelne Menschen aus der Ukraine kämen noch an, auch Menschen im Rahmen der Familienzusammenführung. Im Moment bestehe keine Unterbringungsnot, so Grobe.

Im Saarner Flüchtlingsdorf sind aktuell 180 Betten nicht belegt

Der stellvertretende Sozialamtsleiter Thomas Sprenger spricht von „Verschnaufpause“. Die Auslastung von städtischen Flüchtlingsunterkünften samt angemieteten Wohnungen liege aktuell bei rund 70 Prozent. Allein an der Mintarder Straße seien im Moment 180 Betten frei, weil es gelinge, dort untergebrachte Menschen aus der Ukraine in Wohnungen zu vermitteln.

Alles Puffer, der helfen soll, sich binnen zwei Jahren so aufzustellen, dass eine ZUE Raadt überflüssig wird.

Diskussion um die ZUE in Mülheim-Raadt – weitere Berichte: