Mülheim. Die Familie versorgen, arbeiten gehen – das ist sein Lebensinhalt. Doch schlagartig ist das vorbei, als der Mülheimer an Depressionen erkrankt.

Er will für seine Familie da sein, seiner Frau und den drei Kindern ein gutes Leben ermöglichen. Deshalb reißt er sich über Jahre zusammen, sagt sich, er habe zu funktionieren, dürfe sich als Mann nicht eingestehen, dass er am Ende seiner Kräfte ist – bis er weinend an seinem Arbeitsplatz zusammenbricht. Die Diagnose: Depressionen. Arbeiten wie bisher kann der 46-Jährige nicht mehr. Doch wie soll er seine Familie ernähren?

„In meinem Job, da war ich wer“, sagt Tobias Maibach. Doch heute, da fühle er sich als Versager, als Schlappschwanz. Harte, schonungslose Worte gebraucht der 46-Jährige, wenn er über sich selbst spricht. Und doch wirkt er sehr reflektiert, beleuchtetet seine persönliche Situation bis ins Kleinste. „Ich will wissen, wo das herkommt“, sagt der Vater zweier Söhne und einer Tochter, wenn er sich mit seiner Diagnose – Depressionen – beschäftigt. Eine leise Ahnung hat er indes, was ihm psychisch immer mehr zu schaffen macht: „Ich hatte eine schwierige, bewegte Kindheit. Das habe ich lange verdrängt, jetzt kommt das hoch.“ Viel mehr mag der Mülheimer zu seiner Vergangenheit nicht sagen. Es geht um eine andere Kultur, mit Bräuchen, hinter denen er nie stehen konnte, einem anderen Ehrverständnis, das er nicht teilt. „Ich bin meinen eigenen Weg gegangen, habe es geliebt, meinen Willen zu leben.“

Familienvater, 46 Jahre alt, Diagnose Depressionen – so lebt er damit

Dazu gehörte für ihn als jungen Mann auch, einen Beruf zu wählen, der ihm gefällt. 22 Jahre lang war Tobias Maibach, der eigentlich anders heißt und anonym bleiben möchte, im Großraum Ruhrgebiet als Bus- und Straßenbahnfahrer angestellt. Bis er eines Tages hinterm Steuer seines Busses saß und nicht mehr weiterfahren konnte – die Tränen flossen unaufhörlich. „Da haben die Fahrgäste Angst bekommen“, meint Tobias Maibach.

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An dem Tag holen ihn Kollegen aus dem Bus, regeln alles Weitere. „Ich habe mich bei meinem Arbeitgeber selbst aus dem Verkehr gezogen, denn ich war nicht mehr tragbar.“ Nicht mehr tragbar – damit meint der 46-Jährige auch, dass er mitunter zu einer Gefahr hätte werden können. „Teils bin ich auf Hindernisse zugefahren, hab im letzten Moment noch reagiert.“ Er schüttelt den Kopf, wenn er darüber nachdenkt, dass er kurz davor war, nicht nur sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Was in ihm vorging, beschreibt Maibach so: „Ich hab mit dem Gedanken gespielt, es so zu machen wie der Pilot.“ Gemeint ist der Germanwings-Pilot, der 2015 sein Flugzeug absichtlich gegen einen Berg gesteuert hatte, alle 150 Insassen kamen ums Leben.

An Depressionen erkrankt: Mülheimer sehnt sich nach einer Perspektive

Figuren aus Modelliermasse fertigt der an Depressionen erkrankte Mülheimer an – eine Art der Bewältigung, die er in der Reha kennengelernt hat.
Figuren aus Modelliermasse fertigt der an Depressionen erkrankte Mülheimer an – eine Art der Bewältigung, die er in der Reha kennengelernt hat. © Maibach

Nicht mehr leben zu wollen, dieses Gefühl kennt der Mülheimer: „Aus einem Gedanken wird schnell ein Plan – und dann folgt die Umsetzung.“ Ganz ruhig erzählt Maibach das, wählt seine Worte bewusst. Was ihn im Leben hält, ist seine Familie: Die kleine Tochter, die bald sieben wird, der Zwölfjährige und der Große, der schon 20 ist. Sie bilden, was er braucht: das Licht am Ende des Tunnels, wie er es umschreibt, den Grund, um weiterzumachen. In seinem Job weitermachen, das kann er vorerst nicht mehr. Doch er hätte eigentlich gerne noch gearbeitet, hat seinen Arbeitgeber gefragt, ob es nicht eine andere Aufgabe im Unternehmen für ihn gebe – nach 22 Jahren Zugehörigkeit – vielleicht als Pförtner statt als Fahrer.

Einen anderen Job gab es nicht für ihn, er solle erst mal weiter krankfeiern, hieß es. „Da habe ich mich allein gelassen gefühlt.“ So wie im Behördendschungel, durch den er sich schlagen muss, um Unterstützung zu bekommen. „Dass man sich als Mensch mit Depressionen seine Strukturen selbst zusammensuchen muss, wo man ja schon mit sich selbst nicht klarkommt“, das lässt den 46-Jährigen fast verzweifeln. Als er kürzliche beim Arbeitsamt saß und sich mit einer Flut von Papieren konfrontiert sah, „da bin ich laut geworden – und habe ein weiteres Mal gemerkt, dass ich nicht gesund bin.“ Er steckt in einer Therapie, hat eine Reha durchlaufen. „Mich mit anderen auszutauschen, denen es ähnlich geht, das war eine richtig gute Erfahrung für mich.“

Eloquent schildert der schlanke Mann mit den raspelkurzen Haaren und dem gepflegten Drei-Tage-Bart seine Situation, spricht von fürchterlichen Albträumen, davon, dass er zu Hause in ein anderes Zimmer geht, wenn die Tränen wieder in ihm aufsteigen: „Ich ziehe mich oft zurück.“ Modisch gekleidet ist er, in schwarzer Bikerjacke, dunkler Jeans und schwarzen Converse-Turnschuhen. „Das gehört mit zum Problem – man sieht mir ja nicht an, dass ich krank bin. Aber soll ich mich jetzt nicht mehr rasieren und verschlissene Klamotten anziehen, damit die Leute mir das abnehmen?“

Depressionen: 46-jähriger Familienvater fühlt sich nicht ernstgenommen

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Nicht ernstgenommen zu werden mit seiner Erkrankung, das hat der 46-Jährige schon mehrfach erlebt, schildert er. „Selbst wenn ich ganz offen damit umgehe und den Leuten erkläre, was ich habe.“ Seit Monaten ist er krankgeschrieben, erhielt neben dem Krankengeld noch Beträge aus einer Zusatzversicherung – doch die läuft nun aus. Der erste finanzielle Einschnitt, der die Haushaltskasse belasten wird.

Ob es der einzige sein wird, ist derzeit offen. Ob und wann er wieder arbeiten gehen kann – und in welchem Bereich – das ist für Tobias Maibach derzeit nicht zu kalkulieren. Sein erstes Ziel: „Zeit für mich finden, auch wenn ich mir dabei egoistisch vorkomme.“ Denn schließlich bedrücken ihn auch Existenzängste: „Ich muss doch meine Familie finanzieren.“ Seine Frau arbeitet auf Abruf als Friseurin, auf 450-Euro-Basis. Um sich finanziell abzusichern, beantragt der 46-Jährige mit Unterstützung des Mülheimer Arbeitslosenzentrums (Malz) jetzt Erwerbsminderungsrente.

Benefiz-Aktion Jolanthe hilft dem an Depressionen erkrankten Mülheimer

Dass sich seine Lieben künftig werden einschränken müssen, scheint unumgänglich. Statt seiner bisher 2700 Euro netto hat Maibach künftig etwa nur die Hälfte. Allein 720 Euro gehen für die Miete weg, zudem wollen fünf Menschen ernährt werden. Gabi Spitmann, die Beraterin des Malz, lotet aktuell mit Tobias Maibach aus, ob er Leistungen wie Kinderzuschlag und Wohngeld beantragen kann. Denn die Beraterin weiß aus vielen Gesprächen mit ihren Klienten und Klientinnen: „Aus Krankheit resultiert oft Armut.“

Hier will Jolanthe helfen: Mit unserer Benefiz-Aktion, für die Mülheimerinnen und Mülheimer ausgesprochen großzügig gespendet haben, werden Menschen unterstützt, die beim Malz in der Beratung sind. So soll auch Familie Maibach eine finanzielle Unterstützung aus dem Spendentopf erhalten – um wenigstens einen Druck zu lindern.

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