Mülheim. Beate Maues Schwester Claudia Diemer starb beim Absturz im Jahr 2015. Nun plant sie mit Freunden einen Ort der Erinnerung an der Freilichtbühne.

Wenn an diesem Mittwoch die 16. Zivilkammer des Landgerichts über die Höhe des Schmerzensgeldes für die Hinterbliebenen der Germanwings-Katastrophe tagt, verfolgt Beate Maue den Prozess ganz genau. Wie alles, was mit dem Absturz der Maschine über den französischen Alpen zu tun hat - ihre Schwester Claudia und ihr Schwager Jürgen Diemer verloren dabei am 24. März 2015 ihr Leben.


Am Essener Landgericht werden die Klagen von 18 Hinterbliebenen gegen die Lufthansa und gegen eine Lufthansa-Flugschule in den USA verhandelt. Die Angehörigen fordern höhere Schmerzensgeldzahlungen als bisher geleistet wurden. Am Mittwoch, 1. Juli, entscheidet das Gericht jedoch zunächst, ob die Lufthansa überhaupt der richtige Adressat der Klagen ist. Denn die medizinische Überwachungspflicht könne auch Aufgabe des Staates sein, hieß es bereits am ersten Prozesstag im Mai. "Wir neigen nach derzeitigem Stand dazu, die Tauglichkeitszeugnisse dem Luftfahrtbundesamt zuzuschreiben", sagte Richter Lars Theissen. 

Ein Ort der Erinnerung an einem Ort der Freude

An der Klage beteiligt hat sich die Mülheimerin Beate Maue bewusst nicht. "Die Frage nach einer finanziellen Entschädigung ist für mich nicht relevant", sagt sie, zumal die Aussichten nicht erfolgsversprechend seien. Ein Prozess wühle darüber hinaus sehr auf, "davor muss ich mich schützen". Dennoch sei es für sie wichtig, dass dieses unfassbare Unglück im Gespräch bleibe. "Damit so etwas nicht noch einmal passiert. Und unsere Lieben nicht in Vergessenheit geraten."

Daher plant Beate Maue einen neuen Erinnerungsort. Und zwar dort, wo ihre Schwester Claudia und ihr Schwager Jürgen so viele glückliche Stunden verbracht haben: An der Freilichtbühne. Hier hatte Beate Maue zusammen mit ihrer Mutter Christine bereits vor zwei Jahren den kompletten Neubau der Kleinen Bühne unterstützt, mit Mitteln aus dem Lufthansa-Hilfsfonds. Dieser gibt nun auch für das aktuelle Projekt Gelder frei, die Beate Maue im Namen ihrer Schwester beantragt hat.

Befreundetes Künstlerpaar gestaltet Erinnerungsprojekt

Das Künstlerpaar Corinna Kuhn und Detlef Kelbassa, enge Freunde von Claudia und Jürgen, hat das "Refugium" entworfen: Ein Platz zum Innehalten, für Gedanken und Erinnerungen. Oberhalb der Kleinen Bühne an der Dimbeck entsteht vor der Holzbank ein 2,50 mal 3 Meter kleiner Platz mit besonderen Pflastersteinen. Jeder dieser Keramik-Steine ist handgefertigt und mit Naturabdrücken gestaltet: Blüten, Blätter, Ranken. Die meisten sind tiefschwarz, einige dazwischen leuchtend bunt.

"Zudem sind die Steine mit Text versehen und sollen an alle Menschen erinnern, die mit im Flugzeug saßen", erklärt Künstlerin Corinna Kuhn, die mit ihrem Mann Detlev Kelbassa ein Atelier in Oberhausen betreibt. "Die Menschen kamen aus 21 Nationen. Es gibt für jedes Land einen Stein, zudem jeweils einen für Düsseldorf, Barcelona, Le Vernet und Mülheim", erklärt Corinna Kuhn. "So holen wir die Welt nach Mülheim."

"Kein Fingerzeig, sondern etwas Wunderschönes"

Auf dem "Refugium-Plateau" sitzt der Betrachter etwas oberhalb der Bühne und blickt aus dem umgebenen Grün heraus auf einen Ort, der bei Veranstaltungen voller Leben ist - mit Künstlern und Publikum aus aller Welt. "Der ehemalige Steinbruch hat zudem eine historische Dimension", sagt Kuhn. "Genau wie der Absturz." 

Die Gedanken der Menschen können schweifen und Assoziationsketten in Gang setzen. "Wir haben es bewusst offen gehalten", sagt Corinna Kuhn. Denn: "Es soll kein Fingerzeig sein, sondern etwas Wunderschönes an einem wunderschönen Ort", ergänzt Beate Maue. Dieser friedliche und zugleich lebendige Ort hilft der 57-Jährigen, ihrer Schwester nahe zu sein. 

Mit ihrer jüngeren Schwester fühlte sich Beate eng verbunden, "wir haben jeden Tag miteinander gesprochen, sie war ein Teil von mir", erzählt sie. "Als Claudia starb, fühlte ich mich wie amputiert." In den Jahren danach musste Beate Maue das Stehen neu erlernen, das Leben mit einer Leere, die nie wieder ganz gefüllt werden kann.

Neue Berufung in der Arbeit als Trauerrednerin gefunden

Im Oktober 2018 musste Beate Maue einen weiteren Schicksalsschlag verkraften - Mutter Christine starb unerwartet. Doch aus dem Unglück heraus fand sie eine neue Berufung: "Im vergangenen Jahr habe ich meine Stelle als Teamleitung in der Essener Uniklinik aufgegeben und arbeite seitdem als Trauerrednerin." Zunächst angestellt in einem Bestattungsunternehmen, seit diesem Jahr auch selbstständig als freie Trauerrednerin - mit Erfolg. "Ich liebe den Beruf, gestalte ihn mit meiner Seele und meinem Herzen. Ich bekomme viel positives Feedback - dafür bin ich sehr dankbar."

Der Job habe ihr zudem in der eigenen Trauerarbeit weitergeholfen, auch wenn diese nie abgeschlossen sein wird. Aber sie habe gelernt, von der Trauer zu profitieren. Menschen in ihrer Not zuhören, die richtigen Worte finden und Trost spenden zu können - das gibt auch ihr Kraft. Beate Maue drückt das so aus: "Aus dem Sinnlosen ist ein Sinn geworden."

AUCH SCHÜLER STARBEN BEI DEM ABSTURZ

Bei dem Absturz des Germanwings-Flugs 4U9525 am 24. März 2015 kamen sechs Besatzungsmitglieder und 144 Passagiere ums Leben, darunter neben Claudia und Jürgen Diemer auch 16 Schüler und zwei Lehrerinnen eines Haltener Gymnasiums.

Den Hilfsfonds 4U9525 haben Germanwings und Lufthansa für die Hinterbliebenen eingerichtet. Dieser unterstützt Organisationen, Familien und andere private Initiatoren, die soziale und kulturelle Projekte im Sinne der Opfer verwirklichen wollen.

Das "Refugium" ist derzeit bei den Künstlern Kuhn/Kelbassa in Arbeit und soll im Herbst an der Freilichtbühne offiziell eingeweiht werden. Weitere Info: beatemaue.trauerreden@googlemail.com, www.kelbassas-panoptikum.de.