Mülheim. Seit Monaten ist die Mülheimerin krankgeschrieben, ihre Krankenkasse aber zahlt kein Krankengeld. Die 43-Jährige ist längst mittellos.

Seit über einem halben Jahr kann sie nicht mehr arbeiten gehen, ist durchgängig krankgeschrieben – Depression lautet ihre Diagnose. Krankengeld von der Krankenkasse erhält sie aber trotzdem nicht, seit Monaten steckt das Verfahren fest, ihr Widerspruch blieb bislang unbeantwortet. Ohne einen Cent steht Sophia S. deshalb da. Weil sie mittellos ist, muss die 43-Jährige bei ihren Eltern leben, schläft auf der Couch und muss um Almosen bitten. Hier soll unsere Benefiz-Aktion Jolanthe helfen.

Wenn sie spricht über das, was ihr in den vergangenen Monaten widerfahren ist, wirkt Sophia S. gefasst. Sachlich schildert die 43-Jährige, wie sie krank geworden ist, sich von ihrem Mann trennte, bei ihren Eltern einzog – „da dachte ich noch, es ist ja nur vorübergehend“, sagt sie mit einem traurigen Lächeln. Innerlich, da ist die Mülheimerin mehr als aufgewühlt, „meine Gedanken sind nicht immer positiv“, umschreibt sie ihren Zustand. Eine mittelschwere Depression haben Ärzte ihr bescheinigt, seit Ende November ist sie durchgehend krankgeschrieben. Wenn sie den langen Zeitraum Revue passieren lässt, kann sie es selbst kaum glauben, dass sich bis heute nichts getan, nichts verbessert hat. Dabei habe sie vorher eigentlich ein gutes Leben gehabt, sagt sie, mit Mann, Hund und Häuschen samt Garten.

Mülheimerin bekommt Weinkrämpfe auf der Arbeit – der Chef schickt sie nach Hause

An den Tag, an dem nichts mehr ging, kann sich Sophia S., die unerkannt bleiben möchte, noch gut erinnern: „Ich hab auf der Arbeit Weinkrämpfe gekriegt. Da hat mein Chef gesagt: Geh mal besser nach Hause.“ Schon vorher sei sie immer mal von Arbeitskollegen in der Discounter-Filiale, in der sie schon Jahre lang arbeitet – „und das gerne“ – , gefragt worden: „Was ist mit dir los?“ Ihre Laune habe sich verändert, unruhiger sei sie geworden, vielleicht barscher in manchen Situationen. „Dabei war ich früher immer so lebensfroh und spontan überall dabei“, erinnert sich die 43-Jährige. Als sie im Spätherbst bei ihrer Hausärztin saß, diese einen Krankenschein ausstellte und Tabletten zum besseren Einschlafen verschrieb, dachte Sophia S. noch: „Das ist bald überwunden“.

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War es aber nicht. „Das war erst der Anfang“, schüttelt die Verkäuferin den Kopf. Ein Krankenschein folgte auf den nächsten – bis die Lohnfortzahlung nach sechs Wochen endete und das Krankengeld von der Krankenkasse einsetzen sollte. Das aber blieb aus. „Bei einem Termin bei meiner Krankenkasse wurde mir geraten, ich solle doch meine Überstunden abbummeln und könne dann eine Reha beantragen“, schildert die Betroffene. Sie sei als arbeitsfähig eingestuft worden. Danach gefühlt hat sie sich aber keineswegs. Und auch die behandelnden Mediziner – ihre Hausärztin, ein Neurologe – haben ihr attestiert, weiterhin nicht arbeiten gehen zu können. Inzwischen hat die Mülheimerin auch einen Platz bei einer Therapeutin bekommen. „Da kann ich reden, dort sprudelt alles aus mir heraus.“

43-jährige Mülheimerin schläft seit über einem halben Jahr bei den Eltern auf dem Sofa

Weil es auch zu Hause nicht mehr ging, trennte sich Sophia S. während dieser Phase von ihrem Mann. „Wir haben nur noch gestritten.“ Bevor sie den endgültigen Entschluss gefasst hat zu gehen, sei sie noch geblieben, weil der Verdienst ihres Mannes auch für sie Absicherung bedeutete. Irgendwann aber habe dieses Argument vor ihr selbst nicht mehr standgehalten. Also zog sie zu ihren Eltern, beide schwer krank. In deren 70 Quadratmeter großen Zweieinhalb-Raum-Wohnung in Mellinghofen schläft sie seitdem auf dem Sofa. „Ich war sicher, dass es nur für eine kurze Überbrückung ist, bis ich wieder Einkommen habe.“

Gabi Spitmann ist Beraterin im Mülheimer Arbeitslosenzentrum (Malz). Ausgewählte Klienten des Malz erhalten in diesem Jahr finanzielle Unterstützung aus den Spendengeldern, die über unsere Benefiz-Aktion Jolanthe eingegangen sind, für die zahlreiche Mülheimerinnen und Mülheimer großzügig gespendet hatten.
Gabi Spitmann ist Beraterin im Mülheimer Arbeitslosenzentrum (Malz). Ausgewählte Klienten des Malz erhalten in diesem Jahr finanzielle Unterstützung aus den Spendengeldern, die über unsere Benefiz-Aktion Jolanthe eingegangen sind, für die zahlreiche Mülheimerinnen und Mülheimer großzügig gespendet hatten. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Ein eigenes Leben, das hat sie seitdem nicht mehr. „Je länger das geht, desto mehr Spannungen bauen sich auf.“ Um der Enge zu entkommen, ist sie viel mit ihrer Hündin draußen unterwegs. Über eigenes Geld verfügt sie derzeit nicht – der Arbeitgeber hat wegen der langen Krankheit folgerichtig nach sechs Wochen die Lohnfortzahlung eingestellt, die Krankenkasse aber scheint die Erkrankung von Sophia S. nicht für gravierend genug zu halten, um die Arbeitsunfähigkeit zu akzeptieren und Krankengeld, das 70 Prozent des Lohns ausmacht, zu zahlen. „Ich muss meine Eltern um jeden Cent bitten – fürs Hundefutter, für ein Ticket mit der Bahn, für eine Kugel Eis, wenn ich mich mal mit Freundinnen treffe – als 43-jährige Frau.“ Auch die Einigung mit ihrem Mann, von dem sie Trennungsunterhalt erwartet, ziehe sich hin, die Sache liege beim Anwalt, seit Monaten tue sich nichts.

Depression verschlimmert – auch, weil es keine Lösung für die Finanzprobleme gibt

„An einer Depression erkrankt zu sein, ist schon an sich ein schweres Los. Wenn man dann noch so deutlich gespiegelt bekommt, dass man nicht ernst genommen wird, verschlimmert das die Krankheit“, sagt Sophia S. und bringt ihre Verzweiflung zum Ausdruck: „Wenn dann aber auch noch willkürlich die gesamte Existenzgrundlage gekappt wird, ist man einfach nur noch hilflos in einem tiefen schwarzen Loch. Meine Existenzangst ist schon längst einem ständigen Panikzustand gewichen.“

Dass ihr Zustand sich in den vergangenen Monaten verschlechtert hat, hat auch Gabi Spitmann registriert, die Beraterin im Mülheimer Arbeitslosenzentrum (Malz), an das sich Sophia S. hilfesuchend gewendet hat. Seit Monaten versuchen sie gemeinsam, die finanzielle Situation der 43-Jährigen zu verbessern.

Längst hat Sophia S. Widerspruch gegen die Entscheidung der Krankenkasse, kein Krankengeld zu zahlen, eingelegt. Aber auch der Widerspruch – datiert auf Ende Januar – hat bis heute keine Reaktion hervorgerufen. „Dass eine Krankenkasse kein Krankengeld zahlen will, ist kein Einzelfall, gerade bei psychischen Erkrankungen, die sich nicht einfach nachweisen lassen wie ein Knochenbruch per Röntgenbild“, schildert Malz-Beraterin Spitmann ihre Erfahrungen. Doch die lange Dauer des Verfahrens, das keinen Schritt vorwärtskommt, habe sie auch noch nicht erlebt. „Das durchzustehen, dazu haben viele psychisch Kranke nicht die Kraft.“

Betroffene berichten – weitere Berichte über das Malz:

Sollte die Krankenkasse dabei bleiben, will die Mülheimerin Sophia S. vors Sozialgericht ziehen. „Bis es da eine Entscheidung gibt, dauert es mindestens ein Jahr“, weiß Malz-Beraterin Gabi Spitmann aus anderen Fällen ihrer Klienten. Um nicht mehr mittellos zu sein, bleibt Sophia S. wohl nur der Gang zur Sozialagentur, wenn die Krankenkasse dabei bleibt, nicht zahlen zu wollen. „Da ich aber derzeit bei meinen Eltern lebe, würden die auch mit reingezogen, müssten vielleicht alles Finanzielle offen legen – das wollte ich bislang unbedingt vermeiden“, sagt die 43-Jährige, die ihr Leben bislang schließlich selbst gemeistert hat.

Mülheimer Benefiz-Aktion Jolanthe gibt Spendengelder an Betroffene

„Die Eltern werden wenigstens eine Erklärung abgeben müssen dazu, dass sie ihrer Tochter eine Notunterkunft gewehrt haben und nicht damit rechnen konnten, dass solch ein langer Zeitraum daraus wird“, schildert die Malz-Beraterin das Prozedere. Dass der Gang zur Sozialagentur für ihr eigenes Empfinden ein Abstieg ist, bedrückt Sophia S. Noch mehr aber schmerzen sie Kommentare von Freundinnen, die sagen: „Stell dir vor, dich sieht jemand auf dem Amt.“

Zur Überbrückung – bis entweder die Krankenkasse zahlt oder Gelder bei der Sozialagentur beantragt sind – will unsere Benefiz-Aktion Jolanthe, für die zahlreiche Mülheimerinnen und Mülheimer großzügig gespendet haben, Sophia S. mit einem Geldbetrag helfen, damit die 43-Jährige nicht mehr bei ihren Eltern um Almosen betteln muss. Denn eines steht für sie fest: „Ich will gesund werden und endlich wieder ein normales Leben führen.“

Kontakt zum Mülheimer Arbeitslosenzentrum (Malz), Friedrichstraße 24, 0208/32 521, arbeitslosenzentrum@gmx.de