Mülheim. Der Zuzug von immer mehr Flüchtlingen lässt Mülheims Einwohnerzahl steigen und stellt damit auch Ansprüche an die Infrastruktur. Aber welche?

Schon während der Bürgerversammlung zu den neuen Flüchtlingsunterkünften, die der Mülheimer Wohnungsbau für die Stadt Mülheim auf dem Grundstück der ehemaligen Stadtgärtnerei am Hauptfriedhof bauen will, wurden kritische Fragen laut: Wie plant die Stadt parallel zur Unterbringung von geschätzt 500 Flüchtlingen eigentlich bei Schulen, Kitas, Nahverkehr und Nahversorgung? Antworten gab Stadtdirektor David Lüngen jetzt im Hauptausschuss.

Für dessen Sitzung am vergangenen Donnerstag hatte Florian Classen, Nachbar der Landesunterkunft für Flüchtlinge in Raadt (ZUE), eine entsprechende Bürgeranregung platziert. Classen forderte da unter anderem „eine umfassende Analyse“ ein zur Frage, ob angesichts der Flüchtlingsunterbringung eine ausreichende Versorgung mit Kita- und Schulplätzen in den Stadtteilen Raadt und Holthausen gewährleistet sei. „Bereits heute gleicht es mitunter einem Glücksspiel, in Wohnortnähe einen adäquaten Betreuungsplatz zu finden“, begründete der Anwohner der Theo-Wüllenkemper-Straße seinen Appell. Auch die Neubausiedlung an der ZUE in Raadt habe schließlich zusätzliche Platzbedarfe in Kitas und Schulen gebracht.

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Stadtdirektor David Lüngen, im Rathaus für den Bereich Kita und Schule zuständig, sieht für eine neuerliche Analyse offenbar keinen Anlass. Er schilderte vor der Politik, dass die Stadt seiner Meinung nach mit vorhandenen Bedarfsanalysen und geplanten Entwicklungen im Bereich von Kita und Schule auskommen werde.

Zur Kitaplatz-Versorgung verwies Lüngen auf die viergruppige Kindertageseinrichtung, die der Mülheimer Wohnungsbau für die Graf-Recke-Stiftung auf altem Kirchengrund an der Parsevalstraße in Raadt baut. „In fußläufiger Erreichbarkeit“ auch zur alten Stadtgärtnerei würden so absehbar 20 neue U3- und 55 neue Ü3-Betreuungsplätze im Angebot sein, so Lüngen zur Kita, deren Bau sich infolge der Krise in der Bauwirtschaft verzögert hat.

Lüngen: Neue Kita schafft mehr Plätze, als im Stadtteil nötig sind

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Damit, so Lüngen, ergebe sich aus heutiger Sicht gar ein gehöriger Angebotsüberhang im Stadtteil von fünf U3- und 63 Ü3-Plätzen. Das sei bei der Planung indes auch deshalb befürwortet worden, weil das besondere Konzept der Raadter Kita in einem „inklusiven Quartier“ auch übergeordnete Versorgungsziele verfolge. In jedem Fall sei der Kita-Neubau auch ausreichend, um den Bedarf einer Flüchtlingsunterkunft abzudecken, wie sie bis Sommer 2025 in Nachbarschaft zum Hauptfriedhof in Betrieb gehen soll. Kinder aus der ZUE in Raadt besuchen keine Kitas.

Schwieriger ist laut Bericht des Dezernenten die schulische Versorgungslage. Als wohnortnahe Grundschule steht dabei die Hölterschule als größte Mülheimer Grundschule im Fokus. Wie anderswo im Stadtgebiet auch, hat der Bildungsentwicklungsplan (BEP) auch für diesen Schulstandort Mangelszenarien ausgemacht, laut Lüngen waren dabei auch schon neue Wohnquartiere wie das an der Theodor-Wüllenkemper-Straße im Blick der Planer; das Thema Stadtgärtnerei kam erst später auf.

Hölterschule musste in diesem Sommer zahlreiche Anmeldungen zurückweisen

Mit 470 bis 500 Bewohnern rechnet die Stadt Mülheim im neuen Flüchtlingsquartier, dass die Mülheimer Wohnungsbau-Genossenschaft bis 2025 auf dem Areal der ehemaligen Stadtgärtnerei für die Stadt bauen will.
Mit 470 bis 500 Bewohnern rechnet die Stadt Mülheim im neuen Flüchtlingsquartier, dass die Mülheimer Wohnungsbau-Genossenschaft bis 2025 auf dem Areal der ehemaligen Stadtgärtnerei für die Stadt bauen will. © Mülheimer Wohnungsbau

Trotzdem, so Lüngen, sei nicht zu erwarten, dass allein neu zugezogene Kinder aus dem Flüchtlingsheim das im BEP verankerte Zukunftskonzept für die Hölterschule ins Wanken bringen werden. Prognostiziert wird, dass die Hölterschule zwar vereinzelt fünf statt bisher vier Klassen je Jahrgang anbieten wird müssen. Für eine dauerhafte Erweiterung auf fünf Züge gibt es laut Lüngen jedoch keine Notwendigkeit.

Für Bedarfsspitzen in einzelnen Jahrgängen sei es laut Schulrecht möglich, in diesen Ausnahmefällen auch fünf Klassen zu bilden. In diesem Jahr ist dies allerdings gescheitert, weil die Schule nicht den nötigen Raum dafür hatte. 136 i-Dötzchen waren angemeldet worden; es gab laut Lüngen „eine besonders hohe Anzahl“ an Ablehnungen.

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Mülheims Hölterschule soll schon 2024 einen zusätzlichen Container-Pavillon bekommen

Langfristig plant die Stadt für solche Fälle am Standort mit einer baulichen Erweiterung, die auch schon im BEP verankert ist, weil im Sommer 2026 zusätzlich der Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung greift. Für die Zwischenzeit will die Stadtverwaltung bereits zum kommenden Schuljahr an der Holthausener Schule einen Container-Pavillon für zwei zusätzliche Klassen aufstellen lassen. Es gebe die Option, ihn gar aufzustocken, um vier Klassen unterzubringen, so Lüngen. Für weiterführende Schulen gibt es ebenso Erweiterungspläne.

Bürger Classen hatte zusätzlich angeregt, sich wegen des Anwohnerzuwachses durch die Flüchtlingsunterbringung damit auseinanderzusetzen, ob für Raadt nicht eine höhere Taktung im Nahverkehr nötig werde. Die Stadtverwaltung erachtet das Angebot des erst im August eingeführten Fahrplans allerdings als „ausreichend“. Die Buslinie 130 verbinde Raadt zur Hauptverkehrszeit im 20-Minuten-Takt mit Haarzopf, dem Rhein-Ruhr-Zentrum und der Innenstadt. Durch die umstiegsfreie Verknüpfung der Linien 130 und 122 sei zudem eine Direktverbindung mit Styrum und darüber hinaus mit Oberhausen geschaffen, hieß es dazu. Am künftigen Flüchtlingsquartier am Hauptfriedhof stehe mit der Straßenbahnlinie 112 zusätzlich ein attraktives Angebot zur Verfügung (15-Minuten-Takt).

Nahversorgung in Mülheim-Raadt: Kein Händler in Sicht

Schon seit langem ist das fehlende Nahversorgungsangebot in Raadt Thema. Auch hier fordert Classen mit Blick auf das neue Flüchtlingsquartier in Holthausen Anstrengungen der Stadt, um über die Wirtschaftsförderung für die Ansiedlung etwa eines Lebensmittelgeschäftes und eines Drogeriemarktes zu werben. Wie in der Vergangenheit bleibt die Verwaltung hier zurückhaltend, weil aktuell weiterhin keine entsprechenden Interessensbekundungen aus der Branche vorlägen. Gleichwohl ließ Lüngen wissen, dass auch die Stadtspitze eine Ansiedlung grundsätzlich begrüßen würde, „sofern auch die gewerbliche Entwicklung am Flughafen eine entsprechende Nachfrage ergänzend schafft“.

Lüngens Ausführungen blieben im Hauptausschuss ohne politischen Widerspruch und ohne Debatte.

Diskussion um die ZUE in Mülheim-Raadt – unsere Berichte: