Mülheim. Namentlich zu erkennen geben mag sich niemand – doch die Vorwürfe einiger Mülheimer gegen die vielen Flüchtlinge in Raadt sind teils erheblich.

Der kleine Mülheimer Stadtteil Raadt war bislang vor allem für beschauliches Wohnen von Familien bekannt. Nun sind dort innerhalb von gut drei Wochen 582 Flüchtlinge in ein ehemaliges Bürogebäude eingezogen. Für diese Menschen hat sich sehr vieles geändert – doch auch für die Nachbarn der neuen Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) an der Parsevalstraße sind andere Zeiten angebrochen. Einige äußern jetzt lautstark Kritik.

In einer Mail an die Redaktion hatte eine Anwohnerin der Theo-Wüllenkemper-Straße jüngst Vorwürfe gegen die Bewohner der ZUE erhoben. Namentlich genannt werden oder auf einem Foto auftauchen möchte die Frau nicht. Das Thema sei heikel, schreibt sie. „Da möchte ich nicht in die Schusslinie geraten.“

Die Mülheimerin spricht von „kaum zu ertragenden, nächtlichen Ruhestörungen“

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Doch es habe „mehrere Vorfälle gegeben, die die Lebensqualität einschränken“. Die Raadterin spricht von „kaum zu ertragenden nächtlichen Ruhestörungen“, von „Hinterlassenschaften auf Spielplätzen und Gehwegen“, von „Hausfriedensbruch in Form von Bier trinkenden Bewohnern in Vorgärten“. Der Spielplatz der Neubausiedlung sei jetzt ein Treffpunkt, das mache die Nutzung für Anwohner fast unmöglich. „Und die Bushaltestellen sind teilweise so voll, dass Gehwege und Straßen blockiert werden.“

Die Anwohner seien „in all ihren Ängsten und Sorgen“ bestätigt worden, schreibt die Frau. Alles in Raadt sei auf eine geringe Bevölkerungsdichte ausgelegt, „dies macht sich nun bemerkbar“. Bisher versuche man Lösungen mit dem Land und der Einrichtung zu finden. Noch sei die Polizei außen vor.

Polizei hatte dort erst einmal einen Einsatz wegen Lärmbelästigung zu später Stunde

Eine Info, die Polizeisprecherin Sonja Kochem nach Durchforsten der Register Ende vergangener Woche bestätigte: „Uns wurde aus den umliegenden Straßen bislang erst einmal eine Ruhestörung gemeldet, am 6. Juli gegen 23.30 Uhr.“ Es sei um lautstarke Musik gegangen und um Gespräche. „Die Kollegen konnten vor Ort aber nichts mehr feststellen.“ Man habe die Situation weiter im Blick, versprach Kochem.

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Doch ein Vorfall in der Nacht zum Samstag brachte das Fass für manche Anwohner zum Überlaufen. Ein Nachbar berichtete der Redaktion am Sonntag von einem „Einbruchsversuch an unserer Garage“. Die Polizei habe aufgrund von Beweismaterial erfolgreich ermittelt, bei den Tätern handele es sich um Bewohner der ZUE. „Leider ist durch diesen Vorfall unser Sicherheitsgefühl nun massiv beeinträchtigt, das vieler Nachbarn ebenfalls“, stellte der Anwohner fest.

Die Polizei sprach am Montag derweil nicht von einem Einbruchsdelikt. Sie stellte fest, dass zwar über die Videoüberwachung zwei verdächtige Personen auf dem Garagenhof zu sehen waren, die sich entfernt hätten, als über einen Bewegungsmelder Licht angegangen sei. Es hieß aber auch: „Ein Anfangsverdacht einer Straftat konnte aufgrund der Videoaufnahmen nicht begründet werden, weshalb die Kollegen nur einen Bericht und keine Strafanzeige gefertigt haben.“ Warum sich die identifizierten Personen aus der ZUE, ein 20-jähriger Syrer und eine 21-jährige Palästinenserin, auf dem Garagenhof aufgehalten haben, könnte folglich viele Gründe haben.

Anwohner in Mülheim-Raadt beklagt Lärm – „manchmal bis zwei Uhr nachts“

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Der Anwohner setzte aber noch am Samstag eine Mail auf, die an Innenminister Herbert Reul, Integrationsministerin Josefine Paul, Regierungspräsident Thomas Schürmann, OB Marc Buchholz und Sozialdezernentin Daniela Grobe adressiert ist und dieser Redaktion vorliegt. Auf fünf Seiten schildert der 33-Jährige, welch mannigfaltige Probleme seit der Inbetriebnahme der ZUE aufgetaucht seien. Mit Blick auf die Samstagnacht fordert er etwa den Einsatz von Sicherheitskräften, die nachts im Umfeld kontrollieren.

Der Anwohner listet auch das auf, was in der Vorwoche bei einem Vor-Ort-Besuch schon von ihm und Nachbarn angesprochen worden war. So von einem 35-jähriger Familienvater, der an der Theo-Wüllenkemper-Straße wohnt und ebenfalls anonym bleiben möchte. Dieser sprach von deutlich mehr Lärmbelästigung, als bei der Polizei angezeigt: Der Lärm sei „extrem störend“, zumal manche Flüchtlinge direkt auf den Treppenstufen der Häuser Platz nähmen und mit Lautsprecher am Handy telefonierten. Die Nachtruhe ab 22 Uhr würde häufig gebrochen, „eigentlich geht’s dann erst richtig los und manchmal dauert es bis zwei Uhr nachts“. Das bringe viele Menschen um den Schlaf.

Nachbarn der Mülheimer ZUE fordert regelmäßigen „Jour Fixe“ ein

In dem Schreiben an Innenminister Reul und Co., das dieser Nachbar mitgezeichnet hat, werden weitere Klagen laut. Zum Lärm und Geschwindigkeitsverstößen des Anlieferverkehrs, zur angeblichen Vermüllung, zu mutmaßlichem Drogenmissbrauch und Problemen im nahen Landschaftsschutzgebiet und auf dem Spielplatz der Neubausiedlung. Auch dazu, dass die Bezirksregierung bis dato immer noch nicht ihr Versprechen eingelöst habe, Anwohnern für drängende Fragen einen regelmäßigen Jour Fixe anzubieten.

„Mindestens zweiwöchentlich“ sei ein solcher erforderlich, so die Anwohner, mit Protokoll und „verbindlicher Ergebnisdokumentation“. Die Nachbarn tragen Sorgen und Beobachtungen regelmäßig der Einrichtungsleitung vor. Der Austausch klappt gut, sagen sie. Wichtig sei trotzdem, dass es endlich zum „Jour fixe“ kommt. „Da heißt es bislang immer, dass Stadt und Land sich noch absprechen müssen – das regt mich auf“, so der 33-Jährige. Die Anwohner fragen auch, wann die Bezirksregierung endlich einen Quartiersmanager einsetze, der zusammen mit Anwohnern Lösungen für Probleme sucht.

Auch wenn man kritisch sei: „Wir wollen keine Fronten aufbauen, wollen nicht hetzen“

Blick auf die Wohnsiedlung an der Theo-Wüllenkemper-Straße und die Flüchtlingsunterkunft an der Parsevalstraße (im Hintergrund). Der Spielplatz im Mülheimer Neubaugebiet habe sich zum Treffpunkt einiger Flüchtlinge entwickelt, kritisiert eine Anwohnerin.
Blick auf die Wohnsiedlung an der Theo-Wüllenkemper-Straße und die Flüchtlingsunterkunft an der Parsevalstraße (im Hintergrund). Der Spielplatz im Mülheimer Neubaugebiet habe sich zum Treffpunkt einiger Flüchtlinge entwickelt, kritisiert eine Anwohnerin. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Beim Gespräch am vergangenen Donnerstag hatten die Unterzeichner der Mail betont: „Wir haben großes Interesse daran, dass es gut läuft. Wir wollen keine Fronten aufbauen, wollen nicht hetzen.“ Es habe sich aber einfach alles „überwältigend schnell entwickelt“ und das habe leider zu einer „kompletten Überforderung der lokalen Begebenheiten“ geführt. Ans Wegziehen denken sie deshalb noch lange nicht – „zwei Anwohner aus der ersten Reihe an der ZUE dagegen schon“. Deren Häuser finde man nun im Netz, sagt auch ein Pärchen, das in der Siedlung den Enkelsohn ausführt.

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Das Schreiben der Anwohner endet mit der Feststellung, dass sie ihre Befürchtungen von Ende vergangenen Jahres bestätigt sähen: Die Einrichtung passe in ihrer Größenordnung nicht in den kleinen Stadtteil mit weniger als 5000 Einwohnern. Dieser sei damit „massiv überfordert“.

Beobachtet haben die Männer auch dieses schon: „Viele Flüchtlinge grüßen freundlich“

Beide Männer können sich vorstellen, dass ein Treffen zwischen Flüchtlingen und Nachbarn – „bei einem Sportfest oder so“ – eine gute Idee sein könnte, um sich kennenzulernen, die Situation vielleicht zu entspannen. Denn beobachtet haben sie auch dieses schon: „Viele Flüchtlinge grüßen freundlich.“ Bislang redet man im kleinen, beschaulichen Raadt offenbar eher übereinander, als miteinander.