Mülheim. Alles wird teurer, auch Tierarztkosten. Was also tun, wenn der Vierbeiner krank ist? Wie Bedürftige in Mülheim die Tiersprechstunde nutzen.
Sie sind Familienmitglieder, manchmal gar der einzige Kumpel, der noch geblieben ist: Hunde und Katzen, die bei Menschen zuhause sind, die auf Sozialleistungen angewiesen sind und nicht selten am Rande der Gesellschaft leben. Damit auch diese Vierbeiner medizinische Hilfe erfahren, bietet der Mülheimer Tierschutzverein die Tiersprechstunde an. Welche Geschichten sich hinter Spike, Cleo, Aurea und ihren Herrchen und Frauchen verbergen.
Spike ist 14 Jahre alt, nicht mehr der Jüngste also, seine Hinterpfote ist verbunden, etwas zu viel hat der schwarz-weiße Mischling auf den Rippen, musste schonmal wegen Tumoren operiert werden – aber er ist immer noch an ihrer Seite. Sein Frauchen, 62 Jahre alt, zuckt mit den Schultern und sagt: „Der Hund soll es ja gut haben, er soll nicht leiden.“ An diesem Nachmittag ist die Frau mit den rotgefärbten Haaren zum ersten Mal zur Tiersprechstunde des Mülheimer Tierschutzvereins gekommen. Hier bekommen Tierhalter Hilfe, die nicht viel Geld haben, die von Sozialleistungen leben – so wie jetzt auch Spikes Frauchen.
Mülheimer Hundehalterin verlor mit 62 Jahren Job – der Tierarzt ist nun zu teuer für sie
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„Ich hab letztes Jahr meine Arbeit verloren, ich hab in einer Küche gearbeitet und Essen für Altenheime fertig gemacht. Erst hatten wir wegen Corona Kurzarbeit, dann kamen Jüngere, die es besser können“, schildert die 62-Jährige nüchtern. „Einen neuen Job zu finden, ist mehr als schwierig, schließlich werde ich 63“, sagt sie, die lieber anonym bleiben möchte – zu unangenehm ist es ihr, die Unterstützung des Tierschutzvereins in Anspruch zu nehmen.
Zur Tiersprechstunde, einem Angebot für Bedürftige zu gehen, sei eine echte Überwindung für sie gewesen, räumt die Hundehalterin ein: „Wenn das nicht für den Hund wäre, wäre ich nicht hingegangen.“ Für sich selbst Hilfe anzunehmen, etwa zur Tafel zu gehen, um Lebensmittel zu bekommen, das käme ihr nicht in den Sinn. Mit Blick auf die Tierarztkosten sagt sie: „Das habe ich immer selbst bezahlt, solange ich noch Arbeit hatte.“
Jetzt ist das Geld mehr als knapp. „Als Spike operiert werden musste, hat das 250 Euro gekostet, die hätte ich jetzt nicht.“ Nun ist ihr vierbeiniger Kumpel von Tierärztin Dr. Petra van Halder durchgecheckt worden, hat Impfungen bekommen und Mittel gegen Parasiten – „da musste ich nur zehn Euro zahlen“, erzählt die Hundehalterin.
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Zehn Euro, das ist der Satz, den Tierhalterinnen und Tierhalter bezahlen müssen, wenn sie ihren Hund oder ihre Katze bei der Tiersprechstunde des Tierschutzvereins vorstellen. Dafür werden die Tiere untersucht und geimpft, bekommen eine Wurmkur und Anti-Zecken-Mittel. „Uns geht es vor allem auch um Prophylaxe, denn wird ein Tier erst richtig krank, dann kann es auch richtig teuer werden“, verdeutlicht Heidrun Schultchen, die Vorsitzende des Mülheimer Tierschutzvereins.
Tiersprechstunde für bedürftige Tierhalter wird vom Tierschutzverein finanziert
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Finanziert wird das medizinische Angebot durch Spenden und Mitgliedsbeiträge. Zur Vorbeugung gehört auch, dass der Tierschutzverein in den Sprechstunden, die im Café Light der Awo an der Gerichtsstraße stattfinden, Gutscheine für die Kastration von Katzen und Katern ausgibt. Denn je mehr Samtpfoten – gerade die, die draußen unterwegs sind – kastriert sind, desto weniger ungewollte Katzenkinder werden geboren. Wer seine Katze oder seinen Kater in der Sprechstunde vorstellt, erhält einen Gutschein für die Operation, sofern die Tierärztinnen nach einer Untersuchung das Okay zur Kastration geben. Als Eigenanteil muss der Tierhaltende 30 Euro zahlen. Die regulären Kosten liegen je nach Geschlecht und Umfang der OP um ein Vielfaches höher.
Auch Cleo, die vier Jahre alte Bengalen-Katze, soll kastriert werden. Aus diesem Grund hockt die kleine Schönheit jetzt auf dem improvisierten Untersuchungstisch, ihr Blick verrät, dass sie viel lieber wieder in ihrer Transportbox verschwinden würde. Doch da muss sie jetzt durch. Tierärztin Dr. Petra van Halder untersucht die Katze, fragt die Halter, ob ihnen etwas an ihrem Tier aufgefallen ist, kontrolliert Cleos Allgemeinzustand. Frauchen und Herrchen gucken mitfühlend zu, als bei der kleinen Katze Fieber gemessen wird.
Die Tiere, das erfährt die Vorsitzende des Tierschutzvereins Heidrun Schultchen von den Besuchenden der Sprechstunde immer wieder, bedeuten vor allem Sozialkontakte für die Menschen, die aufgrund ihrer prekären Lebensumstände nicht selten am Rande der Gesellschaft stehen.
Auch Wilfried ist heute mit seiner besseren Hälfte da, mit Podenco-Hündin Aurea. „Ich hab den Hund, weil ich sonst alleine wäre“, sagt der 61-Jährige unumwunden. Von Bürgergeld müsse er leben, erzählt der Mann, der seine Wollmütze tief ins Gesicht gezogen hat. Ein Tierarztbesuch übersteige sein Budget, deshalb sei er auf das rabattierte Angebot des Tierschutzvereins gestoßen. Für ihn und seine treue Gefährtin offensichtlich ein Glücksfall. „Jetzt weiß ich, dass mit ihr alles in Ordnung ist“, strahlen die Augen unterm Mützenrand hervor. Und so steht dem nächsten Ausflug des sechsbeinigen Teams nichts mehr im Weg: „Wir gehen vier Mal am Tag raus“. Sonst, sagt Wilfried und streichelt Aurea über das hellbraune Fell, wüsste er nicht, was er den lieben langen Tag machen sollte.
Die Tiersprechstunde des Tierschutzvereins Mülheim findet immer am ersten Mittwoch im Monat von 14 bis 15 Uhr im Café-Light der Awo, Gerichtsstraße 11 (ehemaliges Frauengefängnis), statt. Vorgestellt werden können Hunde und Katzen, der Eigenanteil für Impfung, Untersuchung und einmalige Parasitenbehandlung beträgt zehn Euro. Es werden maximal zwei Tiere pro Haushalt behandelt. Einmal pro Jahr besteht die Möglichkeit, während der Tiersprechstunde eine tierärztliche Behandlung in Anspruch zu nehmen. Der Eigenanteil beträgt auch dabei zehn Euro. Weitere Infos: Aktuelle Episode Salon Funke