Mülheim/Friedrichshafen. 2024 soll der Flughafen Essen-Mülheim um ein Wahrzeichen reicher sein: Ein nagelneuer Zeppelin NT soll dort heimisch werden. Was ihn ausmacht.
Der Zeppelin NT feierte jüngst am Bodensee sein Jubiläum aus Anlass des Zeppelin-NT-Erstflugs am 18. September 1997 vor 25 Jahren. Von 2024 an wird die Deutsche Zeppelin-Reederei aus Friedrichshafen einen dann nagelneuen Zeppelin NT (das NT steht für Neue Technologie) im WDL-Eventhangar am Flughafen Essen-Mülheim dauerhaft stationieren. Was kann das künftige fliegende Wahrzeichen über Rhein und Ruhr?
Angesichts seiner Länge von 75 Metern, mehr als ein Airbus A 380, ist ein Zeppelin NT erstaunlich wendig. Denn mithilfe seiner Hightech-Steuerung kann er viel rascher als erwartet Richtungs- oder Höhenänderungen ausführen. So kann ein Zeppelin NT anders als etwa das legendäre WDL-Prall-Luftschiff „Theo“ sogar eine 360-Grad-Drehung wie ein Helikopter quasi auf der Stelle absolvieren. Das hätte dem Riesen niemand zugetraut. Aber es kommt noch besser: Er kann sogar rückwärts fliegen. Das leisten in der Aviatik sonst höchstens noch Helikopter oder Senkrechtstarter. Ähnlich wie diese kann der Zeppelin natürlich auch auf der Stelle schweben.
Zeppelin NT ist mit einem normalen Reisetempo von 65 km/h unterwegs
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Was ist das Geheimnis hinter dieser unerwarteten Agilität? Beim Zeppelin NT geschehen Richtungs- oder Lageänderungen mittels seiner sogenannten Schubvektorsteuerung. Mit deren Hilfe erhöhen zwei Propeller am Heck die Manövrierbarkeit. Zwar wird der Zeppelin NT bei seinem normalen Reisetempo von 65 km/h ähnlich wie ein Flugzeug durch Seiten- und Höhenruder im Heck gesteuert. Diese Ruder lassen aber bei Geschwindigkeiten unter 40 Kilometer je Stunde deutlich in ihrer Wirkung nach. Durch Schwenken eines Heckpropellers nach unten kann die Nickbewegung des Luftschiffs verstärkt oder verringert werden. Ein zweiter dort angebrachter Propeller wirkt über ein Getriebe wie der Heckrotor eines Helikopters in seitlicher Richtung. Diese beiden Luftschrauben kompensieren also im Langsamflug die nachlassende Wirkung der Ruderflächen.
Dazu kommt, dass die seitlich am Rumpf angebrachten Motoren in beweglichen Gondeln sitzen. Diese sind bis zu 120 Grad schwenkbar. Sie können also entweder horizontal ausgerichtet sein für den Reiseflug. Beim Start werden sie aber nach oben geschwenkt. Deshalb kann der Zeppelin NT anders als etwa das hier am Flughafen bekannte Prall-Luftschiff „Theo“ in deutlich steilerem Winkel starten.
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Beim Landeanflug hat der Zeppelin-Pilot alle Hände voll zu tun
Dass dafür im Cockpit eine Vielzahl verschiedenster Hebel für Motoren, Propellerverstellung, Schubwinkel der Motorgondeln an Seite oder Heck und quasi eine Art Heckrotor vorhanden sind, wird beim Blick auf den Arbeitsplatz deutlich. Der Zeppelin NT entspricht bei den Rudereingaben einem Mix aus Flugzeug und Helikopter. Es gibt bei ihm einen Sidestick wie im Airbus. Mit dessen Hilfe wird das Höhen- und Seitenruder per Fly-by-wire gesteuert. Zudem müssen die jeweiligen Gashebel der drei Motoren mit je 200 PS bedient werden. Dazu kommen die Hebel für die Verstellung beider seitlichen Schubgondeln und das Hecktriebwerk. Dann gilt es noch, die seitliche Verstellung durch den Heck-Fan zu bedienen, vergleichbar einem Heckrotor im Helikopter.
Zwar ist der ausgetrimmte Zeppelin im Reiseflug durch seine Eigenstabilität ohne ständige Steuereingaben auf Kurs zu halten. Sobald es aber etwa an den Landeanflug geht, sieht das anders aus. Da hat der Kapitän oder die Kapitänin buchstäblich alle Hände voll zu tun. Durch die wesentlich bessere Manövrierbarkeit eines Zeppelin NT gegenüber einem Prall-Luftschiff kann die am Boden bei Start und Landung benötigte Mannschaft deutlich kleiner ausfallen. Das spart auch einige Betriebskosten.
Zeppelin-Chefpilot Fritz Günther kommt ursprünglich aus der Militärfliegerei
Zeppelin-Chefpilot Fritz Günther hat viele Tausend Flugstunden und kommt ursprünglich aus der Militärfliegerei. Seine Kollegin und Flugkapitänin Kate Board war die Erste von weltweit nur drei Zeppelin-Pilotinnen und verfügt wie drei weitere Kollegen im Cockpit ebenfalls über mehrere Tausend Flugstunden. Auf den Rundflügen künftig über Rhein und Ruhr wird immer nur ein Pilot an Bord sein. Bei mehrstündigen Überführungsflügen bilden allerdings immer zwei Piloten eine Crew im Cockpit.
„Bei der Fläche brauchst du nur Plan A oder B. Beim Zeppelin musst du immer Plan A, B, C und D haben”, umschreibt Fritz Günther die Herausforderungen beim Sichtflug. Denn schlechtes Wetter zu um- oder überfliegen wie ein Verkehrsflugzeug, funktioniert beim Zeppelin nicht: Lediglich knapp 70 km/h Reisegeschwindigkeit und weniger als 3000 Meter maximale Flughöhe machen das unmöglich.
Es gibt deutlich mehr Astronauten als Zeppelin-Piloten
Wie aber wird man überhaupt Zeppelinpilot? Neben fliegerischem Können gehört ein bisschen Glück dazu, Zeppelin NT fliegen zu dürfen. Denn diese Gruppe ist sehr klein: So gibt es deutlich mehr Astronauten als Zeppelin-Piloten. Und man muss selbst als erfahrener Berufspilot auf Flugzeugen oder Helikoptern ziemlich umlernen, um einen Zeppelin zu steuern. Schließlich ist er länger als ein Airbus 340 und bietet dem Wind entsprechend viel Angriffsfläche.
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Die Zeppelin-Reederei in Friedrichshafen bildet ihre Luftschiff-Führer deshalb von Beginn an selbst aus. Bewerber müssen bereits eine Berufspilotenlizenz mitbringen, entweder für Flugzeuge oder noch besser für Hubschrauber. Denn Heliflieger sind bereits im Schwebeflug routiniert und Rückwärtsfliegen gewohnt. Aber auch Piloten von der Fläche können bei Eignung umsteigen. Mindestens mehrere Hundert Flugstunden sind Voraussetzung, um überhaupt eine Chance auf Anstellung zu haben.
Am Bodensee ist der Zeppelin überall, wo er am Himmel auftaucht, ein Sympathieträger
Nach der Umschulung fliegt ein frischgebackener Zeppelin-Pilot erst einmal 150 Stunden unter Aufsicht eines erfahrenen Kapitäns, bevor er alleine mit Passagieren los darf. Drei Männer und eine Frau steuern derzeit im Wechsel die beiden Bodensee-Zeppeline.
Der leise in 300 Meter über Grund dahinbrummende Zeppelin NT ist überall, wo er am Himmel auftaucht, ein Sympathieträger. Das unterscheidet ihn von anderen Luftfahrzeugen, die bei den Bewohnern am Boden sonst nicht so willkommen sind. Vor allem über dem Bodensee ist er ein gewohnter Anblick.
Tragisches Ende der Hindenburg am 6. Mai 1937 bis heute unvergessen
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Dort hatte Namensgeber Ferdinand Graf von Zeppelin die Giganten am Himmel gegen starke Widerstände und massive Rückschläge vor mehr als 100 Jahren entwickelt. 1917 starb der Luftfahrt-Pionier, der als Erfinder des Starr-Luftschiffs mit festem Innenskelett aus Aluminium gilt. Die nach seinem Tod entwickelten Luftschiffe erreichten in ihrer Blütezeit riesige Ausmaße: Die größten, der 1936 in Dienst gestellte LZ 129 „Hindenburg“ und sein Schwesterschiff LZ 130 „Graf Zeppelin II“, hatten eine Länge von fast 245 Metern und einen Gasinhalt von etwa 190.000 Kubikmetern. Zum Vergleich: Ein moderner Zeppelin NT hat gerade mal 8000 Kubikmeter Gasinhalt.
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Das tragische Ende der Hindenburg am 6. Mai 1937 im US-amerikanischen Lakehurst bei New York ist bis heute unvergessen. Kurz vor der geplanten Landung schießen urplötzlich Flammen aus dem Heck des Luftschiffs. Es fängt an zu brennen und stürzt ab. 13 Passagiere, 22 Mitglieder der Crew und ein Mann des Bodenpersonals sterben, Dutzende weitere an Bord überleben wie durch ein Wunder.
Heute fliegen alle Zeppeline NT mit unbrennbarem Helium
Damals ist die „Hindenburg“ mit dem feuerentzündlichen Gas Wasserstoff gefüllt. Heute fliegen alle Zeppeline NT mit unbrennbarem Helium. Erst 60 Jahre nach diesem Unglück gibt es wieder einen echten Zeppelin am Himmel über dem Bodensee zu bestaunen. Im Herbst 1997 startet dieser seine Flugerprobung nach seinem erfolgreichen Erstflug am 18. September.
Mit einer Geschwindigkeit von etwa 65 Kilometern in der Stunde ist der Zeppelin NT innerhalb der Aviatik zwar äußerst langsam, dafür kann er mit vollen Tanks aber bis zu 1000 Kilometer weit fliegen. Im Gegensatz zum Helikopter bleibt er zudem viel länger, nämlich bis 22 Stunden, nonstop in der Luft. Anders als bei einem Prall-Luftschiff steckt im Zeppelin NT ein festes Innengerüst aus Karbon und Aluminium unter seiner Hülle. An diesem sind die Triebwerke befestigt, so dass die drei Motoren nicht wie bei Prall-Luftschiff „Theo“ aerodynamisch ungünstig und laut für die Passagiere unten an der Kabine angebracht sind.
Ein Zeppelin „fährt“ nicht, er fliegt
All diese Faktoren zusammen mit der Schubvektorsteuerung ermöglichen dem Zeppelin NT eine angesichts seiner Größe ungewöhnliche Wendigkeit. Entgegen vieler Mutmaßungen „fährt“ ein Zeppelin auch nicht wie ein Heißluftballon, sondern er fliegt: Denn er wiegt beim Start immerhin etwa 400 Kilo, ist somit schwerer als Luft und wird zudem dynamisch von drei Motoren angetrieben. Ohne seine Heliumfüllung wiegt ein Zeppelin NT allerdings beträchtliche acht Tonnen.