Mülheim. Zwei Mülheimer Experten schauen zurück auf die Flut 2021. Sie berichten, was seither passiert ist – und noch passieren muss zum Schutz der Stadt.
Es war ein Hochwasser, wie es in der Stadtgeschichte noch keines gab: Als die Ruhr am 15. Juli 2021 nach tagelangem Starkregen, den die ausgetrockneten, harten Böden nicht aufnehmen konnten, über Mülheims Ufer trat, tat sie dies in einer Geschwindigkeit wie nie zuvor. „Der Anstieg war ungewöhnlich steil“, erinnert sich Ulrike Marx, Leiterin der städtischen Stabsstelle Klimaschutz und Klimaanpassung. Die Flutwelle war immens, „aber auch schnell wieder durch“. Zurück blieben große Schäden. Und jede Menge Erkenntnisse, wie es in Zukunft besser laufen könnte in Mülheim.
Innerhalb von 20 Minuten stieg das Wasser damals um einen Meter, erinnert sich Feuerwehrchef Sven Werner. „Das war für Einzelne, die ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben und ohne Versicherung dastanden, dramatisch.“ Doch im Großen und Ganzen sei die Sache für Mülheim noch glimpflich ausgegangen. „Wir sind mit einem dicken blauen Auge davongekommen.“ Lehren müsse man trotzdem ziehen aus dem Erlebten. Zumal, so sagt Ulrike Marx, der Deutsche Wetterdienst davon ausgeht, dass die Starkregenereignisse in den nächsten Jahren zunehmen werden.
Ziel des Arbeitskreises ist ein effizienter Hochwasseralarmplan für Mülheim
Und so hat sich auf lokaler Ebene ein großer Arbeitskreis gebildet, darin Mitglieder der Feuerwehr, Kollegen aus den Planungs-, Tiefbau-, Umwelt- und Ordnungsämtern sowie aus Marx’ Stabstelle, bei der das Thema Hochwasserschutz offiziell angedockt ist. Der Arbeitskreis trifft sich regelmäßig und steht im steten Austausch mit wichtigen Partnern, der Bezirksregierung, dem Ruhrverband, der Medl, dem RWW. . .
Auch interessant
„Alle Beteiligten stellen sich neu auf“, sagt Sven Werner. Gemeinsames Ziel ist ein Hochwasseralarmplan für Mülheim. Die Menschen sollen schneller Bescheid wissen, wenn Gefahr durch Wassermassen droht. Land und Ruhrverband steckten in gemeinsamen Überlegungen, wie die Pegel entlang der Ruhr automatisiert überwacht werden und alle Infos schnell weitergegeben werden können. Dabei geht es auch um andere Risikogewässer auf Mülheimer Boden: etwa den Rumbach oder den Borbecker Mühlenbach.
Mülheims Feuerwehr hat gute Erfahrung mit überdimensionierten Sandsäcken gemacht
Man habe manches gelernt während und nach der Flut, sagt Sven Werner, und nennt ein konkretes Beispiel: „Wenn wir früher einen Schutzwall aus Sandsäcken errichten mussten, einen Meter hoch und einen Meter breit, brauchten wird 140 Säcke und vier Kubikmeter Sand.“ Beim Hochwasser 2021 habe man erstmals verstärkt auf „Big Packs“ gesetzt. Für eine Mauer genannter Dimension brauche man gerade ein einziges Big Pack und lediglich einen Kubikmeter Sand. „Da hat man natürlich schneller Erfolg.“
In stark aufgeweichten Bereichen oder dort, wo man nur schlecht hinkommt, seien die XXL-Sandsäcke allerdings ungeeignet. Man könne sie „nur mit schwerem Gerät“ bewegen. Die Mülheimer Feuerwehr setzt dafür einen Teleskopstapler ein und hat nach der Flut noch einen geländegängigen Gabelstapler angeschafft, um besser auf künftige Vorfälle vorbereitet zu sein.
Bürger können bald das Kartenwerk von Stadt und Land im Internet einsehen
Auch interessant
Das Geoportal, das bald an den Start gehen wird, zählt auch zu den konkreten Dingen, die nach dem Hochwasser angegangen worden sind. Schon bald, sagt Ulrike Marx, können die Mülheimer und Mülheimerinnen ein Großteil des Kartenwerks, was Stadt und Land zu Hochwasser- und Starkregengefahren erstellt haben, auf der Internetplattform einsehen. „Wir wollen mit den Menschen deutlich mehr kommunizieren. Vieles von dem, was wir wissen, wollen wir transparenter machen.“
Wenn Marx und Werner von den Hochwasser-Maßnahmen in der Stadt sprechen, machen sie schnell klar: Allein kann Mülheim wenig bewirken. Man müsse „immer von der Quelle bis zur Mündung denken“. Vorbildlich sei dies etwa in Sachsen geschehen, nach dem großen Elbehochwasser im August 2002, erzählt Sven Werner. Das Flüsschen Weißeritz war damals so stark angeschwollen, dass es sogar den Dresdener Hauptbahnhof überschwemmte. Durch verschiedene bauliche Maßnahmen, fein abgestimmt vom Anfang des Flüsschen bis zu seinem Ende, ist es laut Sven Werner in den vergangenen Jahren gelungen, der Weißeritz ihr gefährliches Potenzial zu nehmen.
Auch beim Hochwasserschutz geht’s immer wieder um das leidige Thema Geld
Die Herausforderungen sind vielfältig und die Prozesse oft langwierig: zum Beispiel die Sanierung des Deichs an der Mintarder Straße. Andere Themen sind die Entsieglung von Flächen, strengere Auflagen bei Baugenehmigungen, die kontinuierliche Unterhaltung der Gewässer, um den ungestörten Abfluss zu gewährleisten, und immer und immer wieder geht’s ums (fehlende) Geld. . .
Auch interessant
Auch bei der Frage, wie der Abschnitt zwischen dem Wehr am Kahlenberg und der Mülheimer Schleuse besser gesichert werden kann, sind die Finanzmittel entscheidend. Die Bilder von den Fluten am Mülheimer Wasserbahnhof und drumherum vergisst keiner. Mit einem Mal floss die Ruhr fast bis in die Innenstadt. Auch an der Straße Auf dem Dudel hatten Werners Leute damals alle Hände voll zu tun.
Ein kleiner Deich auf dem Leinpfad zwischen „Tomate“ und „Plati“ wäre eine gute Lösung
Idealerweise würde man auf diesem Abschnitt des Leinpfads „einen kleinen Deich errichten“, sagt Werner. Ihm schwebt eine Betonmauer vor, die unter Erde verschwindet, und kleinere Durchlässe hat, die man im Notfall mit Metalltoren verschließen kann. „So könnte man viel schneller Barrieren hochziehen.“ Der Feuerwehrchef wäre schon froh, wenn nur ein Teil des Planes umgesetzt würde – „dann hätten wir deutlich weniger Arbeit als mit dem Sandsackwall“.
Insgesamt attestieren die Experten der Stadt einen zufriedenstellenden Stand beim Thema: „Wir waren schon vor 2021 gut aufgestellt und geübt im Umgang mit Hochwasser“, so Marx. Man könne generell noch mehr machen, sagt Sven Werner. Doch müsse man auch immer abwägen. Eine zwei Meter hohe Spundwand entlang des Leinpfads würde vor der Flut schützen – „doch so ein Bauwerk will keiner; auch das gehört zur Wahrheit“.
Um immer alle Fördermittel abrufen zu können, fehlt der Stadt das Personal
Geboten sei jedenfalls immer, ganzheitlich zu denken. „Wenn wir in Mülheim etwas tun, aber in Essen oder Bochum machen sie nichts, dann bringt das gar nichts.“ Das Land sei in der Pflicht, so Werner – „die Städte sind alle so klamm mit Geld und Personal und dann kommen noch die Probleme mit den Baufirmen dazu“. Zum Teil seien ja auch hohe Fördermittel für die Kommunen erhältlich, weiß Ulrike Marx. „Doch uns fehlen Mitarbeiter, um alles abzurufen.“
Bilder vom Hochwasser in Mülheim an der Ruhr
Sie wünscht sich vom Land ebenfalls deutlich mehr Unterstützung. Und träumt von einem Mülheim „mit mehr Rückhalteräumen fürs Wasser“. Es gebe einen regelrechten Kampf um die wenigen verfügbaren Flächen. Damit die Stadt gewappnet ist gegen künftige Fluten sei „eine multifunktionale Nutzung ideal“. In anderen Städten sei man etwa erfolgreich mit hübsch begrünten Tiefgräben. Oder auch mit Plätzen, die im Alltag allen Bürgern zur Verfügung stehen, im Notfall aber auch große Wassermassen aufnehmen können.