Mülheim. Die Angriffe auf Politiker nehmen seit Jahren zu. Auch in Mülheim wird der Ton rauer. Wie Betroffene mit Hetze umgehen und was ihnen Mut macht.
Die Angriffe auf Politiker haben seit Jahren rasant zugenommen. Gerade auch die Kommunalpolitik ist betroffen – das macht der aktuelle Bericht des Bundesinnenministeriums zur „politisch motivierten Kriminalität“ deutlich. Dabei bleibt es nicht immer bei Worten. Auch die Mülheimer Politik muss mit ernstzunehmenden Bedrohungen umgehen – nicht selten von rechts. Dennoch zeigt sie Rückgrat: „Wir lassen uns nicht einschüchtern.“
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Werner Oesterwind (CDU): „Man bekommt Zweifel, wie man seine Familie schützen kann.“
Wie drastisch Hass-Mails ausfallen können, weiß Werner Oesterwind zu erzählen. Der CDU-Lokalpolitiker erhielt im Sommer 2018 zunächst „anonyme E-Mails mit Verunglimpfungen, allgemeinen Korruptionsvorwürfen gegen ,die Politiker’. Das war erst einmal nicht persönlich an mich gerichtet, sondern ging offenbar an mehrere“. Doch dabei blieb es nicht.
Denn wenige Monate später flatterten erneut Mails hinein. Diesmal nicht nur in „deutlich brutaler Sprache“, wie Oesterwind schildert, sondern auch mit konkreter Gewaltandrohung. Der CDU-Politiker erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Die Ermittlungen der Polizei ergaben nichts. Die Mails jedoch hörten nicht auf.
Im Januar und März 2019 „bekamen die Mails eine andere Qualität: Der Versender kündigte Gewalt gegenüber meiner Frau und Tochter an. Da bekommt man Zweifel, wie man seine Familie schützen kann.“ Oesterwind schaltete den Staatsschutz ein, der die Person - einen offenbar psychisch erkrankten Mann – schließlich ermittelte. Neben diesem Extrembeispiel verzeichnet Oesterwind auch einen raueren Ton im Straßenwahlkampf: „Das geht soweit bis zum Ausspucken, wenn man jemanden anspricht. Ich lasse mich dadurch nicht entmutigen. Die meisten Gespräche gehen gesittet ab.“
Franziska Krumwiede-Steiner (Grüne): „Politik muss achtgeben, nicht zu Hass anzustiften“
Wie hemmungslos inzwischen manche Bürger auf Kommunalpolitik reagieren, hat die Grüne Fraktionsvorsitzende Franziska Krumwiede-Steiner erleben müssen. Als Demonstranten am Rathaus gegen die erhöhte Grundsteuer protestierten, haben sich die Grünen dort persönlich der Kritik gestellt. „Auf mich kam ein Mann zu, der mich erst als ,Abschaum’ beschimpft und anschließend bespuckt hat“, schildert sie.
Angezeigt hat sie den Mann nicht, dem sie danach immer wieder auf politischen Veranstaltungen begegnet ist. Warum nicht? „Ich bin damals nicht darauf gekommen und habe eher die Schuld bei mir gesucht.“ Doch nicht zum ersten Mal stellt die Grüne fest, dass auch im politischen Diskurs zwischen den Parteien unbeabsichtigt Türen aufgestoßen werden, die manche offenbar zu Hass und Hetze anstiften.
„Ich versuche deshalb, immer sachlich zu argumentieren“, mahnt Krumwiede-Steiner zu mehr sprachlicher Sensibilität. Der Weg vom Sagbaren zum Machbaren sei schnell gegangen. Die Politik müsse bei Diskussionen mit achtgeben, dass sie Bürger nicht in eine Destabilisierung der Demokratie treibt.
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Alexander von Wrese (AfD): „Die größte Hetze wird gegen uns betrieben“
Eine solche Mitverantwortung der Politik sieht hingegen die Mülheimer AfD bei sich nicht, obwohl auch die Fraktion mit markigen Worten nicht spart. So kommentierte Fraktionschef Alexander von Wrese kürzlich die Managergehälter der Ruhrbahn: „Gleichzeitig macht man sich in den städtischen Gesellschaften wie der Ruhrbahn GmbH die Taschen voll“. Auch ein abschätziges ,linksgrün’ gehört durchaus zur gängigen Rhetorik der Mülheimer ,Blauen’. Stacheln solche Töne und Andeutungen zur Hetze an?
„Es ist eine Mär, dass die AfD mitverantwortlich sei für eine verrohende Debattenkultur“, antwortet der AfD-Fraktionschef auf Anfrage der Redaktion. „Aus meiner eigenen Erfahrung als Wahlkämpfer weiß ich: Die größte Hetze wird vom politischen Gegner gegen uns betrieben“, behauptet von Wrese. „Dabei lenkt man gerne vom eigenen politischen Versagen ab.“
Doch auch die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingeordnete AfD bekommt inzwischen Gegenwind zu spüren, der nicht beim Verbalen bleibt: Zur Kommunalwahl 2020 berichtete sie von einem „mutmaßlichen Anschlag“ auf die Limousine eines Mülheimer AfD-Funktionärs, bei dem Unbekannte das Fenster zertrümmert haben sollen und wohl Buttersäure auf das Wahlkampfmaterial schütteten.
„Sachlichkeit und überzeugende Argumente sollten den politischen Diskurs bestimmen. Dazu tragen wir unseren Teil bei“, meint der Fraktionsvorsitzende. Die AfD fordert, dass ein Absender von Hass und Hetze klar rückverfolgbar sein sollte: „Es muss Schluss sein mit dem Verstecken in der Anonymität. Wer öffentlich beleidigt und hetzt, muss persönlich Farbe bekennen.“
Zahl rechtsextremistischer politischer Kriminalität ist auf neuem Höchststand
Die politisch motivierte Kriminalität hat hierzulande in 2020 noch deutlich zugenommen. Die dabei ohnehin dominierende Zahl der Straftaten von Rechts – 50 Prozent – ist von 22.342 (2019) um rund 1300 auf 23.604 gestiegen. Im Vergleich dazu stieg die linksmotivierte Kriminalität ähnlich stark von 9849 auf 10.971, macht jedoch ein Viertel der Gesamtstraftatenaufkommen aus.
Auch bei den Körperverletzungen zählt der Bericht des Innenministeriums 2020 fast doppelt so viele rechte Gewalttaten (903) wie linke (532). Mit knapp 53 Prozent machten rechtsextrem motivierte Delikte mehr als die Hälfte aller politisch motivierten Straftaten aus, erklärte Innenminister Horst Seehofer. Die Zahl rechtsextremistischer Straftaten erreiche damit einen neuen Höchststand seit Beginn der Erfassung im Jahr 2001.
Hasan Tuncer (Integrationsrat): Hass-Mails von deutschen und türkischen Rechten
Doch es sind nicht nur rassistische Hass-Mails von deutschen Rechten, die der Vorsitzende des Integrationsrates Hasan Tuncer erhalten hat. Als er vor einigen Jahren als Stadtverordneter des Rates (Bündnis für Bildung) sich kritisch über den türkischen Präsidenten Recep Erdogan äußerte, landeten „massive Drohungen der türkischen Rechten“ in Tuncers E-Mail-Kasten: „Sie haben mich als Vaterlandsverräter beschimpft und damit gedroht, mich zu töten. Gleichzeitig habe ich auch Mails mit übelsten Beschimpfungen von deutscher Seite erhalten, die mir erklärten, ich habe hier nichts zu suchen und sollte doch ,zu Erdogan zurückgehen’.“
Die Reifen seines Autos wurden so beschädigt, dass sie bei der Fahrt hätten platzen können, dass nichts passierte, war reines Glück. Tuncer erstattete damals verschiedene Anzeigen, doch die seien erfolglos gewesen, „nicht ernst genommen“, glaubt der heutige Integrationsratsvorsitzende, „es muss oft schon etwas passieren, bevor die Polizei aktiv wird.“
Doch auch Tuncer hat sich davon nicht einschüchtern lassen: „Wenn man sich für Demokratie einsetzt, gehört das leider dazu. Ich bin trotz der Drohungen ganz normal einkaufen gegangen. Wenn man Rückzieher macht, fühlen sich diese Menschen bestätigt - das wäre brandgefährlich.“
Andrea Mobini (Linke): „Hass-Mails machen etwas mit einem“
Doch es gibt viele Formen, den Rücken gerade zu machen, ohne ihn sich brechen zu lassen. Andrea Mobini bleibt beharrlich. Aber die Stadtverordnete der Linken hat es auch gelernt, dem allzu massiven Druck auszuweichen: Einige Male änderte sie ihre E-Mail-Adressen, Mobiltelefonnummer, blockierte Nummern, wenn die „Dick Pics“ – zu deutsch Penis-Bilder – ihr zu viel wurden. „Ich will schließlich auch angstfrei ans Telefon gehen können.“
Hass-Mails an Politikerinnen haben eine andere – eine sexualisierte – Qualität, sie drohen nicht selten mit brutaler Vergewaltigung, Erniedrigungsfantasien. Anzeigen? Die haben auch bei Andrea Mobini wenig Wirkung gezeigt: Denn fast immer sind die Mails von falschen Adressen gesendet worden.
„Das macht etwas mit einem, mit dem Privatleben und der Familie“, sagt Mobini, „ich überlege mir gut, ob ich mich an öffentlichen Diskussionen beteilige. Wenn sich Leute in der Diskussion aufputschen, gehe ich raus.“ Aber das Einschüchtern, meint Mobini, ist auch ein Problem für unsere Demokratie, „wenn ich von Leuten höre, man dürfe nichts mehr sagen, kann ich mich nur wundern: Es sind ja oftmals genau diejenigen, die alles Mögliche raushauen und von ,Denkverboten’ sprechen.“
Sebastian Fiedler (SPD): Mehr Verantwortung der Betreiber sozialer Netzwerke
Mehr Verantwortung der Betreiber von sozialen Netzwerken, aber mehr noch die Umsetzung des neuen Bundesgesetzes zum strafrechtlichen Schutz von Kommunalpolitikern fordert der neue Mülheimer SPD-Direktkandidat für den kommenden Bundestag und Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, ein: „Die Bekämpfung von Hass und Hetze ist eines der drängendsten Themen gerade in Zeiten der Pandemie. Wer sich öffentlich engagiert, war noch nie zuvor solch einem Ausmaß an Drohungen bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt, wie er es jetzt ist.“
Die Problematik: Hetzer fühlen sich offenbar sicher, auch wenn ein reformiertes Bundesgesetz in diesem Jahr entschied, dass auch Verleumdungen und Beleidigungen dem BKA gemeldet werden müssen. Denn beim Ausfindigmachen der Absender von Hass-Botschaften – über sogenannte IP-Adressen – lassen sich Facebook und Co. ungern in die Daten schauen, die zumeist im Ausland liegen.
Und ein weiteres Problem tritt auf: Die Meldepflicht der sozialen Netzwerke und der erweiterte Schutz der Kommunalpolitik werden zu einer hohen sechsstelligen Zahl von Verfahren führen, die auf die Polizei zukommt, prognostiziert Fiedler: „Wer soll das machen? Ich kann das nicht beantworten.“ Dabei wäre es aber wichtig, das Gesetz umzusetzen und die Täter zu konfrontieren, so Fiedler: „Wir wissen das aus der Stalking-Forschung: Bei einer direkten Ansprache und einem Verfahren hören über die Hälfte der Täter damit auf.“