Mülheim. Nachdem Hasan Tuncer eine Analyse über den Putschversuch veröffentlicht hatte, wurde er von Erdogan-Anhängern bedroht. Polizei ermittelt.

  • Nach Analyse zu Putschversuch beschimpft und bedroht
  • Behörden nehmen Vorgang sehr ernst
  • Unterstützung über Parteigrenzen hinweg

Hasan Tuncer ist den Umgang mit politischen Extremen gewohnt, besonders wenn es um rechte Tendenzen geht. Doch was in den vergangenen rund sieben Tagen auf ihn einprasselte, das hätte der Mülheimer, der für das Bündnis für Bildung im Rat sitzt, „nicht gedacht“. Ende vergangener Woche veröffentlichte Tuncer im Internet seine Einschätzung zum Putschversuch in der Türkei. Darin verurteilt er den gescheiterten Umsturz, setzt sich aber auch kritisch mit dem anschließenden Vorgehen des Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, auseinander, besonders mit den sehr schnellen Verhaftungen von Regierungskritikern. Es dauerte nicht lange und Tuncer sah sich massiven Beleidigungen und Bedrohungen ausgesetzt.

„Internet ist kein rechtsfreier Raum“

„Vaterlandsverräter“, „Hetzer“, „Terrorist“ – die Liste der hasserfüllten und auch einschüchternden Mails ist lang, und sie lässt einen demokratieliebenden Menschen wie Hasan Tuncer ratlos und besorgt zurück. „In einer Mail schrieb man mir, dass man mich beim türkischen Außenministerium gemeldet habe und ich mich auf meine nächste Türkei-Reise freuen solle.“

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Der Jungpolitiker, der gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender der alevitischen Gemeinde in Mülheim ist, hat Anzeige erstattet. „Ich habe Screenshots gemacht, Hardcopies erstellt und sie der Polizei übermittelt“, sagt Tuncer.

Die Behörden nehmen diese Art von Bedrohung sehr ernst. Er könne allen Betroffenen nur raten, sofort Anzeige zu erstatten, sagt zum Beispiel LKA-Sprecher Frank Scheulen. „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum“, sagt Scheulen weiter und verweist auf die Einsatzgruppe „Rechte Hetze im Netz“, die im vergangenen Jahr ihre Arbeit aufgenommen habe und erfolgreich gewesen sei, rechte Hetzer und Agitatoren zu ermitteln.

Hasan Tuncer bleibt momentan nichts anderes übrig, als abzuwarten. „Es ist eine heftige Nummer“, sagt der Politik-Student. Auch, weil ein türkischstämmiger Ladenbesitzer mit in diesen Strudel gerissen wurde, weil er vor Monaten zufällig in einem Zeitungsartikel zu Wort kam, in dem auch Tuncer zitiert wurde. „Geht da nicht einkaufen“, habe im Netz gestanden, so Hasan Tuncer.

Unterstützung aus ganz Deutschland

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Es ist eine seltsame Situation. Auch wenn die Agitatoren im Internet nicht halb so anonym sind, wie manche vielleicht meinen, handeln sie dennoch, zumindest momentan, im digitalen Halbdunkel. Freunde und Familienangehörige bitten Hasan Tuncer, vorsichtig zu sein. Das wolle er auch sein, sagt er. Er bedauere nicht, die Analyse ins Internet gestellt zu haben. Das sei schließlich sein gutes Recht in einer Demokratie. Die Reaktion darauf sei allerdings „dramatischer, als ich gedacht habe“.

Dennoch: „Ich lasse mich nicht mundtot machen!“, sagt der Ratsherr mit Nachdruck. Über Parteigrenzen hinweg und aus ganz Deutschland bekommt Hasan Tuncer positives Feedback und Unterstützung. Und wenn es einen Trost gibt in dieser Situation, dann, dass die Zahl seiner Fürsprecher noch immer größer ist als die seiner Gegner.