Mülheim. Sexismus und Anfeindungen erleben Frauen immer noch regelmäßig, oft im Beruf. Wir haben über 40 Mülheimerinnen nach ihren Erfahrungen befragt.

„Sie verpassen den besten Sex Ihres Lebens.“ „Die müssten nur mal richtig gefickt werden.“ „Dich hängen wir an den nächsten Baum.“ „Blickt man in deine Augen, vergisst man alles.“ Diese Sätze, geschrieben und gesprochen von Männern, zitieren Mülheimer Frauen, fragt man sie nach ihren Erfahrungen mit Anfeindungen aufgrund ihres Geschlechts.

Wenngleich nicht wenige Mülheimer Führungskräfte weiblich sind, wir eine Oberbürgermeisterin hatten und Fraktionsvorsitzende und Geschäftsführerinnen nicht selten Frauen sind, ist das Problem der Ungleichheit noch nicht behoben. Und es sind nicht nur die erwähnten Extrembeispiele, die Frauen erleben, es sind versteckte Andeutungen, deplatzierte Berührungen, die dazu führen, dass sich viele bis heute nicht mit Männern gleichbehandelt fühlen. Wir haben Mülheimer Frauen befragt, welche Erfahrungen sie mit Sexismus und Frauenfeindlichkeit gemacht haben, damit, dass Männer meinen, sie seien ihnen von Natur aus überlegen – die Spanne der Schilderungen ist weit.

Mülheimer HRW-Präsidentin: „Fühle mich oft weniger ernstgenommen als Männer“

Prof. Dr. Susanne Staude ist Präsidentin der Hochschule Ruhr West, ist verantwortlich für rund 400 Mitarbeitende und die Ausbildung von weit über 6000 Studierenden. „Ich fühle mich oft weniger ernst genommen als Männer in vergleichbaren Positionen“, sagt die Frau, die einen der höchsten Posten bekleidet, den man in der Wissenschaft erreichen kann.

Prof. Dr. Susanne Staude ist Präsidentin der Hochschule Ruhr-West. Trotz ihres hohen Postens erlebt sie Sexismus.
Prof. Dr. Susanne Staude ist Präsidentin der Hochschule Ruhr-West. Trotz ihres hohen Postens erlebt sie Sexismus. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Explizite Frauenfeindlichkeit habe sie in ihrer Funktion nicht erlebt, wohl aber Sexismus. „Mir wurde öfter unangemessen lange die Hand geschüttelt, ich bin von oben herab behandelt worden.“ Sie erhalte kritische Kommentare zu ihrem Äußeren – „in der Regel nicht direkt, sondern indem über mich gesprochen wird, was mir später zugetragen wird“. Früher habe sie als Frau bereits mehrfach ein geringeres Einstiegsgehalt bekommen als Männer in vergleichbaren Positionen.

Susanne Staude ist nicht allein mit ihren Erfahrungen. 44 Mülheimerinnen aus der Politik, der Kultur, der Kirche, dem Sport, der Wirtschaft erhielten unsere Fragen, inwieweit sie Frauenfeindlichkeit in ihren Funktionen erlebt haben, ob sie angefeindet wurden, in der Realität oder im Internet, ob sie sich benachteiligt gefühlt haben, ob ihr Geschlecht eine Rolle spielt im beruflichen Kontext.

Mülheimer Politikerin: „Als Frau muss man sich den Respekt doppelt und dreifach erkämpfen“

Unter den Befragten waren alle 19 Ratsfrauen, neun von ihnen haben geantwortet, lediglich aus der CDU-Fraktion gab es gar keine Rückmeldungen. Manche von ihnen wollen anonym bleiben, so wie eine Kommunalpolitikerin, die regelmäßig erlebe, dass sie weniger ernstgenommen wird als ihre männlichen Parteikollegen.

Da sei der Mann, der ihr unvermittelt den Arm um die Taille legt, einer, der ihr sagt, dass bei ihrem Äußeren klar sei, warum sie gewählt wurde oder die vielen, die meinten, ihr die Welt erklären zu müssen. Für dieses Phänomen hat sich in den vergangenen Jahren der Begriff „Mansplaining“ [englisch: man (Mann) und to explain (erklären)] etabliert: Männer erklären Frauen Sachverhalte und ignorieren dabei, dass diese sich selbst auskennen.

„Als Frau muss man sich den Respekt doppelt und dreifach erkämpfen“, sagt sie. Eine Zeit lang trug sie keine Ausschnitte, keine engen Kleider, um nichts zu provozieren. Dass das nicht der richtige Ansatz war, weiß sie. Doch die Atmosphäre in der Politik, sie sei keine frauenfreundliche. „Strukturell wabernd“ sei diese Frauenfeindlichkeit – und noch viel schwieriger zu händeln als der plumpe Spruch ins Gesicht, der schlagfertig abzubügeln ist.

Die größten Konflikte spielen sich am Arbeitsplatz ab

„Indirekt erlebe ich Frauenfeindlichkeit durch meine Klientinnen täglich“, sagt Britta Arndt. Sie coacht Frauen, unterstützt sie bei der Rückkehr in den Job nach der Elternzeit, beim Erfüllen der zahlreichen Rollen, die von ihnen erwartet werden. Da werden Männer gelobt für ihre „Hilfe“ im gemeinsamen Haushalt, werden Frauen in Führungspositionen gemobbt – auch von anderen Frauen. „Das Klischee, dass wir Frauen eher zum Kaffee kochen angefragt werden als ein Mann, bestätigt sich leider auch häufig.“

Britta Arndt macht „Frau zu Frau“-Coaching. Indirekt erlebe sie über ihre Klientinnen täglich Sexismus.
Britta Arndt macht „Frau zu Frau“-Coaching. Indirekt erlebe sie über ihre Klientinnen täglich Sexismus. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Die größten Konflikte, so spiegeln es die Erfahrungen der Frauen, spielen sich am Arbeitsplatz ab. Sabine Fischer, besser bekannt als Make-Up-Artist Popo Chanel, schildert, bei einer Filmproduktion von „einem mir maximal gleichgestellten männlichen Produktionsmitglied ganz offensichtlich nicht für voll genommen und bei diversen Gelegenheiten auf mein Äußeres reduziert“ worden zu sein. Während ihre Ideen und Beiträge „brutal abgeschmettert wurden“, sei der Mann nicht zu verlegen gewesen, ihr Komplimente für ihr Äußeres zu machen.

Lesbische Mülheimer Sportlerin hört häufig die Frage nach Sex zu dritt

Eine Mülheimer Sportlerin, die seit einigen Jahren offen lesbisch lebt, wird gemeinsam mit ihrer Partnerin auch von Männern regelmäßig nach Sex zu dritt gefragt. Während homosexuelle Männer in der Regel weder von Frauen noch von heterosexuellen Männern anzügliche Angebote erhalten, erfährt sie oft eine unangemessene Sexualisierung ihres Lesbischseins. Im beruflichen Kontext werde sie als angehende Ärztin häufig von Patienten als „Schwester“ angesprochen, männliche, gleichaltrige Kommilitonen hingegen als „Herr Doktor“.

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Schauspielerin Maria Neumann, Jahrgang 1960, die sich selbst als divers betrachtet, also dem dritten Geschlecht zugehörig, schildert ihre Anfänge an der Schauspielschule: „Viele Studentinnen gingen Abhängigkeitsverhältnisse zu ihrem Dozenten ein, das hatte Vorteile für beide Seiten. Übrig blieb der Rest. Auf den Gängen der Schule weinten die, die nicht für eine Rolle besetzt wurden oder schikaniert oder einfach unbeachtet blieben.“ Und heute? Sei sie akzeptiert in ihrer Diversität.

„Die Dick-Pics, die ich zugeschickt bekommen habe, kann ich kaum noch zählen“

Bei manchen bleibt es nicht bei erniedrigenden Worten, bei stichelnden Kommentaren. Das Internet bietet denen eine Plattform, die ihren Hass im Schutz der Anonymität ausleben wollen. Die „Dick-Pics“, also Penis-Bilder, die sie zugeschickt bekommen hat, könne sie kaum noch zählen, sagt eine Kommunalpolitikerin. Dass dies eine Straftat ist, wissen viele nicht. „Es gehört dazu, da habe ich ein dickes Fell.“

Andrea Mobini, Ratsfrau der Linken, sagt, sie werde regelmäßig bedroht, „zu 90 Prozent am Telefon“, vor allem während Wahlkämpfen und antirassistischen Aktionen. „Das Schlimmste bisher waren Vergewaltigungsandrohungen, die mich sehr getroffen haben.“ Awo-Geschäftsführerin Michaela Rosenbaum erlebt den virtuellen, sexualisierten Hass als „traurigen Standard“. „Es ist schon erschreckend, mit welcher Vehemenz mir und anderen Frauen (Männer sind weniger Zielscheibe) wirklich detaillierte Gewaltfantasien gesendet werden.“ Als Awo-Vertreterin sei sie per se eine der „linksversifften Zecken, die ausgerottet gehören“. Wenn möglich und strafrechtlich relevant, bringt Michaela Rosenbaum solche Äußerungen zur Anzeige.

Andrea Mobini, Ratsfrau der Linken: „Das Schlimmste bisher waren Vergewaltigungsandrohungen, die mich sehr getroffen haben.“
Andrea Mobini, Ratsfrau der Linken: „Das Schlimmste bisher waren Vergewaltigungsandrohungen, die mich sehr getroffen haben.“ © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Polizei in NRW macht keine separate Auswertung von Straftaten mit frauenfeindlichen Motiven

Allerdings wertet die Polizei Straftaten mit frauenfeindlichen Motiven nicht separat aus, sie kann entsprechend keine Zahlen nennen, keine Trends ablesen. Das Versenden von „Dick-Pics“ beispielsweise fällt unter den Strafbestand der Verbreitung pornografischer Schriften. Anderes könnte unter die Kategorie „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ fallen oder unter die Gewaltstraftaten.

Geht es um nicht strafrechtlich relevante Äußerungen, suchen viele Frauen die Konfrontation, kontern plumpe Sprüche mit scharfer Kritik. Doch nicht immer fällt das leicht und immer wieder fällt die Formulierung, als Frau nicht in der Opferrolle agieren zu wollen.

Gabriele Hawig, Lehrerin und Ratsfrau der SPD, erlebt diskriminierendes Verhalten zwar nicht sich selbst gegenüber, wohl aber unter Schülern. Auch heute noch verharrten viele Jugendliche beider Geschlechter in traditionellen Rollenbildern. „Viele Jungen und Männer sehen sich nach wie vor noch in der Rolle des Starken, des Eroberers, Mädchen und Frauen spielen dieses Spiel nach wie vor mit“, sagt Hawig. Erlebt sie sexistisches Verhalten unter Schülern, spricht sie es an und hofft dazu anzuregen, das eigene Verhalten zu reflektieren.

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Sexismus aufbrechen: Mehr Frauen in die Führungspositionen

Eine Mülheimer Geschäftsführerin, die nicht namentlich genannt werden will, macht die Erfahrung, dass Corona zu einem „Riesen-Rückschritt“ in der Gleichberechtigung führt. „Da wird ein Rollenverständnis wie in den 50 und 60er Jahren wiederbelebt.“ Mütter nehmen die Kinderkrankentage, Mütter kümmern sich neben dem Homeoffice um Haushalt, Homeschooling und das Abendessen.

Wie lässt sich das aufbrechen? Und wie lässt sich Sexismus aus dem Beruf verbannen? Eine Kommunalpolitikerin sagt, das funktioniere erst, wenn mehr Frauen in den entsprechenden Positionen sind. „Wenn Margarete Wietelmann eine Ratssitzung geführt hat, habe ich mich in einem sehr sicheren Raum gefühlt.“ Die heutige SPD-Fraktionsvorsitzende hatte als 1. Bürgermeisterin Ex-OB Ulrich Scholten mehrfach vertreten. Unter ihm sei die Stimmung eine andere gewesen, Sprüche wie „Mensch Mädel, siehst du gut aus“ hätten den Ton bestimmt.

Frauenfeindlichkeit und sexualisierte Gewalt: Diese Fragen haben wir gestellt

Wir haben 44 Mülheimerinnen aus Politik, Wirtschaft, Sozialverbänden, Sport, Kultur sowie Selbstständige nach ihren Erfahrungen mit Sexismus und Frauenfeindlichkeit gefragt. 21 haben sich zurückgemeldet, darunter neun der 19 Ratsfrauen. Bei den Antworten waren alle Parteien vertreten außer der CDU.

Diese Fragen haben wir den Frauen gestellt:

Erleben Sie/haben Sie Frauenfeindlichkeit im Rat/in Ihrer Firma/in Ihrer Funktion erlebt?

Erleben Sie/haben Sie Sexismus aufgrund Ihrer politischen/beruflichen/sportlichen Funktion erlebt?

Haben Sie in Ihrem beruflichen Umfeld/in Ihrer Funktion schon einmal Frauenfeindlichkeit thematisiert? Wie wurde darauf reagiert?

Wurden Sie aufgrund Ihrer Funktion angefeindet, gegebenenfalls auch bedroht?

Erleben Sie/haben Sie sexualisierten Hass im Internet erlebt?

Gab es Situationen in Ihrem Werdegang, in denen Sie sich als Frau benachteiligt gefühlt haben? Fühlen Sie sich heute noch benachteiligt?

Inwiefern spielt Ihr Geschlecht in Ihrer aktuellen Funktion eine Rolle?

Andere Frauen gehen in die Offensive. „Ich mache das angemessen laut“, sagt eine, „ich thematisiere das offen, ich konfrontiere.“ Männer wirkten dann häufig verschreckt, irritiert. Die Antwort, die oft erwidert wird: „So habe ich das nicht gemeint.“ Der ein oder andere „Hardliner“ grinse einfach weiter.

Ein Viertel der befragten Mülheimerinnen sagen, sie haben keine Erfahrungen mit Sexismus gemacht

Etwa ein Viertel der befragten Frauen verneinen, Erfahrungen mit Sexismus und Frauenfeindlichkeit gemacht zu haben. Karin Fiene etwa, die für die AfD in den Rat gewählt wurde, erlebe zwar Bedrohungen und Anfeindungen über soziale Medien und bei politischen Veranstaltungen, doch seien die nicht gegen sie als Frau, sondern gegen ihre politische Meinung gerichtet.

Heike Marzen, scheidende Geschäftsführerin des Rhein-Ruhr-Zentrums, hat erlebt, „dass man als Frau in exponierter Position gerne einmal unterschätzt wird – woraus man allerdings auch Vorteile ziehen kann“. Frauenfeindlichkeit sei das nicht, sondern „eher die Denke der ewig Gestrigen“.