Gladbeck. Gutachter haben am Problemhaus in Gladbeck den Geräuschpegel gemessen. Eigentümer wehren sich gegen Ordnungsverfügung der Stadtverwaltung.
Es ist ja nicht so, dass die Erkenntnisse des Lärmgutachtens zur Situation am Problem-Hochhaus Steinstraße 72 in Gladbeck neu wären. Schließlich haben auch Anwohner seit geraumer Zeit immer wieder den Geräuschpegel, um es gelinde auszudrücken, gemessen. Aber die Stadtverwaltung setzt auf die Ergebnisse der Profis. Aus gutem Grund. Schließlich sind gerichtsfeste Argumente vonnöten – sollte es zu einem Prozess kommen. Davon geht Rechtsdirektor Guido Hüpper aus. Zumal sich die Eigentümergemeinschaft gegen die städtische Ordnungsverfügung eines Sicherheitsdienstes wendet. Und der Lärm erreicht immer wieder eine erschreckende Hausnummer.
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Der Sicherheitsdienst soll bewirken, dass es sauberer und leiser im und ums Gebäude wird. Der Erste Beigeordnete Rainer Weichelt weiß: Es gibt nicht nur Unzufriedenheit in der Nachbarschaft, sondern auch innerhalb der Bewohnerschaft.
Eigentümergemeinschaft Steinstraße 72 wendet sich gegen angeordneten Sicherheitsdienst
Hüpper berichtete: „Die Eigentümergemeinschaft hat sich gemeldet und vertritt den Standpunkt, dass der Verursacher der Probleme jemand anders ist.“ Der Experte ist anderer Meinung: „Störer sind die Mieter, nicht alle, aber viele. Doch die Eigentümer sind diejenigen, die die Mieter in die Wohnungen holen. Wir haben das Recht, Vermieter und Eigentümer zur Rechenschaft zu ziehen.“ Und zu Maßnahmen zu verpflichten – siehe die Anordnung „Sicherheitsdienst“. Gemäß der Devise: Eigentum verpflichtet. „Es wäre schön, wenn das Gericht das genauso sieht“, meint Hüpper.
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Die Stadt Gladbeck betrete mit dieser Vorgehensweise Neuland. Daher sei es wichtig, objektivierte Daten und Fakten vorlegen zu können – wie sie die „Verdeckten Schallimmissionsmessungen“ vom 2. bis 11. Juni erbracht haben. Immerhin sei Lärmempfinden subjektiv. Manche stört Kindergeschrei, andere laute Musik. Um es vorwegzunehmen: Beides spielt in dem Gutachten des Unternehmens Normec Uppenkamp, unter anderem Spezialisten für nachhaltigen und effektiven Schutz vor Lärm, eine entscheidende Rolle.
Ingenieur Marcel Kawalla führte aus, zu welchen Ergebnissen die neuntägigen Messungen Anfang Juni geführt haben. Bewusst in einer Phase schönen Wetters, wie Gregor Wirgs als Leiter des städtischen Ordnungsamtes betonte. Denn, so hatte die Anwohnerschaft stets klargestellt: Bei Regen und Kälte ist’s relativ ruhig an der Steinstraße 72. Sobald die Außentemperaturen steigen, kommen hingegen Bewohner ’raus, verbringen viel Zeit unter freiem Himmel, feiern mit Musik, Kinder spielen bis in Nacht hinein draußen.
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Vier Messstellen wurden eingerichtet: ein Punkt ausgerichtet auf den Hof, ein weiterer hin zum Gartenbereich plus zwei weitere Punkte im direkten Umfeld des Gebäude. Als Grundlage der Bewertung zogen die Spezialisten die TA Lärm heran, die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm. Dabei handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche, erklärte Kawalla. Er sagte: „Auffällig ist, dass es keinen Dauerpegel gegeben hat.“ Spitzen wurden gemessen mittags, nachmittags, abends und nachts. Wer genau liest, bemerkt: Lediglich morgens war es ruhiger. Schwoll der Geräuschpegel an, wurden Fremdgeräusche wie der Straßenverkehr von der nahe gelegenen B 224, übertönt.
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Auf Basis der Ruhezeiten – 55 Dezibel (dB) tagsüber und 40 dB nachts im Wohngebiet – stechen aus dem Wust an Zahlen deutliche Überschreitungen heraus. Wahllos herausgegriffenes Beispiel: 4. auf 5. Juni (Sonntag auf Montag), Ausrichtung zum Hof, in der Spitze 86 dB: „Vielleicht hat da ein Kind geschrien.“ Zur Verdeutlichung: Etwas gehobenes Sprechen schlägt sich mit 45 bis 50 dB nieder, ein Staubsauger in Betrieb bringt es auf etwa 65 dB. „Der Bereich des Hofes war schalltechnisch auffälliger als der Garten“, so der Experte.
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Nachts 61 dB – wie vom 9. auf den 10. Juni – das sei schon eine massive Überschreitung. Selbst wenn nur einige wenige Dezibel die Höchstgrenze reißen: Die Belastung für das Umfeld ist enorm. „Drei Dezibel mehr, das empfindet man als doppelt so laut“, weiß der Rechtsdirektor. Kawalla kommentiert „Drei Dezibel mehr, das ist schon viel.“ 61 statt 40 dB ordnet der Profi als „ganz extrem“ ein.
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Als Lärmquellen förderten die Messungen lautstarke Kommunikation von Anwohnern und Kindern, Zusammenkünfte mit Musik, spielende Kinder zutage – in der Woche vorrangig mittags und nachmittags, gelegentlich abends und nachts sowie an Wochenenden über den Tag verteilt bis spät in die Nacht. Kawalla spricht von einem „Mix an Geräuschen, wobei Kinderlärm ein großer Anteil ist“.
Einsätze an der Steinstraße 72
Gregor Wirgs, Leiter des Amtes für Öffentliche Ordnung in Gladbeck, trug im Ausschuss für Sicherheit, Ordnung und Verkehr eine kurze Bilanz zur Lage am Hochhaus Steinstraße 72 seit der Juni-Sitzung vor. Es handelte sich seitdem um 92 Einsätze, davon wurden zehn extern ausgelöst. Bei sieben ging’s um Lärm.
Vier Bußgeldbescheide folgten, plus zwei Verwarnungsgelder. In einem Fall ging’s um illegale Müllentsorgung, wie es im Amtsdeutschen heißt. Konkret: Es seien Gegenstände von einem Balkon im neunten Obergeschoss des Hauses geflogen. Wirgs berichtete: „Der Kreis hat einen Bußgeldbescheid über 200 Euro erlassen, parallel läuft ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft Essen.“
Im ruhenden Verkehr wurden 25 Verstöße registriert. Hinzu kommen 55 Ordnungswidrigkeitsverfahren im fließenden Verkehr. So berichtete der Ordnungsamtschef beispielhaft, dass der Radarwagen bis zu 60, 65 Stundenkilometer gemessen habe – bei einem erlaubten Maximaltempo von 30 Stundenkilometern.
„Der Kommunale Ordnungsdienst unterstützte zwei Abschleppaktionen von abgemeldeten Fahrzeugen“, setzte Wirgs das Gremium in Kenntnis. Der Auftrag sei von einem Wohnungseigentümer der Adresse Steinstraße 72 ausgegangen.
Stichwort Kinder: Die CDU sprach an, dass der Nachwuchs schon aus Jugendschutzgründen nichts bis spät in den Abend draußen verloren hat. Die Stadtverwaltung antwortete, dass in der Tat „Kinder nichts so lange draußen unterwegs sein dürfen“. Man wolle mit helfender Hand, beispielsweise per Streetwork, eingreifen.
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Hoffnungen setzen Küpper und Co. auf den Sicherheitsdienst, so er denn kommt. Er soll patrouillieren, Auffällige auf ihr Fehlhalten ansprechen, ermahnen und zur Ordnung rufen. Wichtig: Diese Kräfte haben durch ihre Präsenz die Möglichkeit, Verursacher zu identifizieren. Das sei bislang kaum gelungen. Grund: Sind der Kommunaler Ordnungsdienst (KOD) oder Polizei informiert, hätten sich die Störer in den meisten Fällen davongemacht.
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Hüpper: „Die Messergebnisse bestätigen, was wir alle wussten. In einigen Nächten ist der Lärmpegel erschreckend hoch. Das hat uns bewogen, die Ordnungsverfügung etwas härter zu gestalten.“ Bleibt abzuwarten, wie eventuell ein Rechtsstreit ausgeht. Jetzt, wo der Lärmpegel schwarz auf weiß belegbar ist.