Gladbeck. Steinstraße 72 – wer hier lebt, wird schnell abgestempelt. Bewohner Jörg Müller ärgert das, sieht er das Hochhaus doch auf dem Weg der Besserung.
Steinstraße 72 – wenn Jörg Müller in Gladbeck seine Adresse nennt, dann kennt er die Reaktionen schon. Sein Gegenüber verdreht die Augen, schaut mitleidig oder fragt sofort nach, ob es da wirklich so schlimm ist, wie man es immer hört. Das Leben im sogenannten Problemhochhaus ist für Jörg Müller nicht immer leicht. Gleichzeitig ärgert sich der 43-Jährige aber auch über die Darstellung des Hauses in der Öffentlichkeit. In seinen Augen wird vieles zu negativ dargestellt. „Es ist hier nicht so schlimm“, meint Jörg Müller, vieles habe sich auch schon – wenn auch in kleinen Schritten – verbessert, sagt er weiter.
Dass es Tage gibt, an denen es zu laut wird rund ums Haus, das will er gar nicht bestreiten, ebenso wenig, dass darunter die Nachbarn leiden. Gleichwohl, sagt er, bekäme er davon in seiner Wohnung im achten Stock kaum etwas mit. Seine Erklärung für die Probleme: „Der Schall breitet sich hier ungünstig aus und ist auch noch weit entfernt zu hören.“
Gladbecker fürchtet, dass Kosten für Security auf Mieter umgelegt werden
Lärmmessungen der Stadt haben gezeigt, dass von dem Hochhaus Lärmbelastungen für die Anwohner ausgehen. Sie hat daher eine Ordnungsverfügung erlassen. Die Eigentümergemeinschaft soll auf eigene Kosten einen Sicherheitsdienst engagieren, der im und ums Haus für Ruhe sorgt. Für Jörg Müller die falsche Herangehensweise.
Seine Sorge: Die Kosten für diesen Dienst würden am Ende dann doch nur auf die Mieter umgelegt. Das mache letztlich das Wohnen im Haus teurer. Derzeit zahlt er für rund 40 Quadratmeter 450 Euro warm. In seinem gelernten Beruf kann er nicht mehr arbeiten; derzeit zahle das Jobcenter für seine Wohnung. Ob das auch mögliche Kosten für einen Sicherheitsdienst tragen würde? Er weiß es nicht.
Mieterschützer sehen besonderen Gladbecker Fall
Aus seiner Sicht seien es bei den 120 Parteien im Haus vielleicht fünf oder sechs, die den Ärger verursachten, schildert er seinen ganz persönlichen Eindruck. Beim angeordneten Sicherheitsdienst treffe man jedoch alle. „Das ist unfair.“ Zumal viele Bewohner im Haus von Transferleistungen leben. Am Ende zahle also womöglich die Öffentlichkeit für den Sicherheitsdienst, so Müller.
Aber ist das wirklich so? Können die Kosten für den Sicherheitsdienst auf die Bewohner umgelegt werden? Beim Mieterschutzbund gibt man sich in der Frage zurückhaltend. Grundsätzlich könnten Vermieter es unter dem Passus „Sonstige Kosten“ bei den Nebenkosten abrechnen. Allerdings müsste dafür zuvor im Mietvertrag genau aufgeführt sein, dass hier ein Sicherheitsdienst zum Einsatz kommt, gibt Claus Nesemann, Geschäftsführer des Mietervereins Düsseldorf, die Einschätzung der Mieterschützer wieder.
Gladbecker beschreibt die Hausgemeinschaft als gut
Ganz sicher ist er sich jedoch nicht. Denn in Gladbeck ist die Situation ja ein wenig anders, hier hat nicht der Vermieter entschieden, einen Sicherheitsdienst zu engagieren, stattdessen will die Stadt ihn dazu zwingen. Ein solcher Fall ist dem Mieterschützer zuvor noch nie begegnet, entsprechend könne man da keine genauen Aussagen zur rechtlichen Situation machen. Womöglich also ist Müllers Sorge nicht ganz von der Hand zu weisen?
Der spricht sich vielmehr dafür aus, auf die Bewohner des Hauses zuzugehen. Seit zwei Jahren lebt er nun schon hier, er erlebe die Mieter durchaus als Hausgemeinschaft. „Man grüßt sich, hält sich die Türen auf, und man kann die Nachbarn auch immer um Hilfe bitten, etwa wenn mir in der Küche Zutaten fehlen“, führt er aus. Auch andere Dinge hätten sich in kleinen Schritten verbessert. Beispielsweise habe man wohl das Problem in den Griff bekommen, dass Müll in den Laubengängen gelagert wird. Im Schaukasten im Eingangsbereich hängen auch groß entsprechende Hinweise – in verschiedenen Sprachen.
Mieter wünscht sich, dass die Eigentümer in den Erhalt des Hauses investieren
Doch auch Jörg Müller sieht Verbesserungsbedarf, wünscht sich, dass die Eigentümer investieren, das Haus an einigen Stellen renovieren. So seien etwa die Aufzüge aus den 1950er-Jahren, führt er an. Auch die Briefkastenanlage hat eindeutig schon bessere Zeiten gesehen. Zuletzt sei aber immerhin die Klingelanlage erneuert worden. Müller wirbt dafür, auf die Bewohner des Hauses zuzugehen, ihnen offen zu begegnen. „So kenne ich das Ruhrgebiet eigentlich, nur hier erlebe ich das nicht.“ Dass die Stadt nun in einer Wohnung Beratungsangebote macht? Müller ist skeptisch: Lediglich zwei der im Plan aufgeführten Angebote fänden regelmäßig statt, behauptet er.
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Aus Hamm ist er damals nach Gladbeck gezogen, inzwischen wohnt auch seine Freundin mit den Kindern in einer der Wohnungen an der Steinstraße – aus Berlin ist sie nach Gladbeck gekommen. Sie hätten hier im Haus beide noch keine bedrohlichen Situationen erlebt, sagt Jörg Müller, wobei er zugibt, auch schon die Polizei gerufen zu haben – wegen Ruhestörung. Zwei Stunden später hätten die sich dann noch ‘mal gemeldet. Ob sie jetzt noch kommen sollten? Aber auch die Zahl der Einsätze habe nachgelassen, so Müllers subjektive Einschätzung. Er schätzt, dass die Polizei vielleicht noch zwei- bis dreimal im Monat hier sei.
Polizei nennt keine genauen Einsatzzahlen zur Steinstraße 72
Konkrete Einsatzzahlen zur Steinstraße 72 nennt Polizeisprecherin Corinna Kutschke nicht. Aber man kann davon ausgehen, dass es wohl mehr als zwei bis drei sind. Zudem sei man regelmäßig auf Streife im Umfeld. Und eben häufiger wegen Ruhestörungen im Haus. Nicht immer sei dann etwas feststellbar, regelmäßig ermahne man Verursacher aber auch zur Ruhe.
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Und Jörg Müller, mit dem Wissen von heute, würde er noch einmal hier einziehen? Der 43-Jährige überlegt, schüttelt dann aber den Kopf. Das liege aber eben nicht an negativen Erfahrungen, die er für sich ja gar nicht gemacht habe. Vielmehr seien es aber der schlechte Ruf und die Reaktionen auf seine Adresse, warum er hier nicht mehr einziehen würde.