Gladbeck. Am Tag der „Machtergreifung“ vor 90 Jahren gab es in Gladbeck ein letztes Aufbäumen der Demokratie. Erst später fasst die NSDAP Fuß in der Stadt.

Der Tag der „Machtübertragung“ an die Nazis, die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933, vor genau 90 Jahren, war in Gladbeck noch keine Machtdemonstration der Nazis. Im Gegenteil: Es gab eine letzte Gegendemonstration.

Einen Siegeszug oder Fackelmarsch wie andernorts gab es in Gladbeck nicht, vielmehr noch einmal ein letztes Aufbäumen demokratischer Kräfte: Am gleichen Abend formierte sich ein Protestzug der SPD durch die Stadt. Allerdings sind sich Historiker einig: Sympathisanten hatten die Nazis da aber auch schon in Gladbeck reichlich.

Lesen Sie auch

Dennoch organisierten die Sozialdemokraten in aller Hektik mit den Gewerkschaftern Widerstand. Mit dem Reichsbanner als Zeichen ihres Selbstbehauptungswillens, so schreibt Historiker Frank Bajohr, formierten sie sich, zunächst im Lokal Mey, dann mit einem Demonstrationszug „durch die dunklen Straßen der Innenstadt“. Auch am nächsten Tag soll es noch Protest der Gladbecker Linken gegeben haben, schreibt Heimatforscher Manfred Samen. Es sollten die letzten freien Proteste in Gladbeck in den nächsten zwölf Jahren sein, so Bajohr.

Hitler war 1932 ein einziges Mal in Gladbeck – und war in der Stadt nicht umjubelt

Am 24. Juli 1932 besuchte Adolf Hitler auf seiner „Westfalenfahrt“ ein einziges Mal Gladbeck und sprach im Stadion unter dem Motto „Deutschland erwache“. Seine Fahrt zuvor durch die Stadt war nicht umjubelt.
Am 24. Juli 1932 besuchte Adolf Hitler auf seiner „Westfalenfahrt“ ein einziges Mal Gladbeck und sprach im Stadion unter dem Motto „Deutschland erwache“. Seine Fahrt zuvor durch die Stadt war nicht umjubelt. © Stadtarchiv Gladbeck

Ausgerechnet am Tag der „Machtergreifung“, wie die Nazis die Machtübertragung stilisierten, fand im Rathaus die letzte Sitzung des 1929 gewählten Rates vor der Neuwahl statt, wie es in einem Beitrag zur Reihe „Gladbecker Geschichte“ heißt. Die Machtübertragung an Hitler spielte an diesem Tag im Rat keine Rolle. Wichtigstes Thema war die Beratung eines Arbeitsbeschaffungsprogramms der Stadt mit einem Volumen von 2,6 Millionen Reichsmark. „Politisch kamen diese Maßnahmen zu spät“, so Historiker.

Adolf Hitler nach seiner Rede am 24. Juli 1932 im Stadion Gladbeck beim Verlassen der Bühne.
Adolf Hitler nach seiner Rede am 24. Juli 1932 im Stadion Gladbeck beim Verlassen der Bühne. © Stadtarchiv

Die Nationalsozialisten waren in diesem Rat nicht vertreten – die NSDAP hatte einen schweren Start in Gladbeck, fasst Samen zusammen. Bei der letzten Kommunalwahl hatten sie nur 164 Stimmen bekommen – 0,64 Prozent. Es gab vor ‘33 eine erhebliche Gegnerschaft im „roten Gladbeck“ – mit heftigen Zusammenstößen. Die Startschwierigkeiten der Nazis in Gladbeck lagen begründet im breiten politischen Widerstand an der Basis, in den Stadtteilen.

Vor allem Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten und Gewerkschafter verstanden es über lange Zeit, die politischen Versammlungen der Gladbecker Nazis zu stören. Trauriger Höhepunkt war eine Saalschlacht am 4. März 1932 in der Gaststätte Kiekenberg in Zweckel, bei der es zwei Tote gab. Fast überall in der Stadt hatte die Partei vor 1933 Lokalverbot. Ansporn war für die Nazis vor ‘33 der Wahlkampfbesuch Adolf Hitlers am 27. Juli 1932 im Stadion vor tausenden Anhängern, die aus weitem Umkreis heran geschafft wurden. Zuvor aber, bei seiner Fahrt durch die Stadt, waren Hitler kaum Sympathien entgegen geschlagen.

Bei den letzten freien Wahlen holte die NSDAP in Gladbeck nur 26,97 Prozent

Inszenierter Führerkult in Brauck im Jahr 1939.
Inszenierter Führerkult in Brauck im Jahr 1939. © Stadtarchiv

Die erste Hakenkreuzfahne wurde am 6. März 1933, einen Tag nach der Landtags- und Reichstagswahl mit Zugewinnen für die NSDAP, auf dem Rathausturm gehisst. SA-Leute hatten sich Zutritt verschafft, stellten auch Forderungen an OB Bernhard Hackenberg: die „Entfernung“ des Beigeordneten Krahn (SPD) und des Stadtobersekretärs Denninghaus. Hackenberg, 1932 von Zentrum, SPD und Wirtschaftspartei zum OB gewählt, lehnte die Forderung da noch ab, wusste sich aber in der Folge „vorzüglich“ an die braunen Machthaber anzupassen. Schon kurz drauf war er SS-Mann.

Am 12. März 1933 wurde noch einmal der Rat gewählt in Gladbeck (damals 62 000 Einwohner) – die NSDAP erhielt 26,97 Prozent der Stimmen. Das Ergebnis war für die Nazis eher bescheiden, auch wenn sie stärkste Partei wurden. Mit Druck und undemokratischen Mitteln verschafften sie sich die nötige Ratsmehrheit: Die Stimmen der KPD wurden für ungültig erklärt, mit zwei Splitterparteien formten sie den „nationalen Block“. Zentrums-Chef Bette bot bei der konstituierenden Sitzung am 7. April 1933 „die Mitarbeit an einem neuen Deutschland an“. Im Ratssaal waren Hitlerbild und Hakenkreuzfahne aufgestellt, die NSDAP-Ratsleute kamen in Uniform, SA- und SS-Formationen marschierten vorm Rathaus auf. Mitte April 1933 galt auch das „rote Gladbeck“ als gleichgeschaltet, der offene Widerstand als gebrochen. Wenige Monate später wurden die SPD verboten und führende Sozialdemokraten verfolgt – der Naziterror fasste Fuß.

In Gladbeck herrschten um 1930 unruhige Zeiten

Beim Fest der Deutschen Schule im Stadion 2. Juli 1933 marschierten die Nazis zuvor durch die Stadt – hier über die Hochstraße.
Beim Fest der Deutschen Schule im Stadion 2. Juli 1933 marschierten die Nazis zuvor durch die Stadt – hier über die Hochstraße. © FFS | Repro: Lutz vo STAEGMANN

Die wirtschaftliche, soziale und politische Situation war um 1930 in der Stadt alles andere als gut und geordnet. Die Weltwirtschaftskrise nach dem Börsencrash 1929 wirkte sich enorm aus: Die Arbeitslosigkeit nahm sprunghaft zu. Ab Mitte 1930 entließen die Gladbecker Zechen, so Historiker Rainer Weichelt, zahlreiche Bergleute. Mitte 1931 waren nur noch knapp 5400 Kumpel beschäftigt, bei Vollbeschäftigung waren es 13.500 gewesen.

Mitte 1932 lebten 40 Prozent der Gladbecker Bevölkerung von öffentlicher Unterstützung. Vor diesem Hintergrund gewannen radikale Ideen deutlichen Zulauf, so Weichelt. Keiner Revierstadt gehe es so dreckig, schrieb damals der sozialdemokratische „Volksfreund“. „Die Arbeitslosen marschierten von der Stempelstelle im Arbeitsamt, oft barfuß, durch die Stadt und forderten Arbeit und Brot“, heißt es in einer historischen Quelle. Die Polizei verjagte sie mit Knüppeln.

+++ Folgen Sie der WAZ Gladbeck auch auf Facebook+++

Die Stadt musste ihre Träume einer rasanten Entwicklung einstellen. Das Steueraufkommen sank rapide, die Fürsorgeausgaben stiegen drastisch: 1930 bis 1933 um 468 Prozent auf 4,8 Millionen Mark. Schon 1932 reichten die Steuern nicht, um die Fürsorgeausgaben zu zahlen. Politisch blockierten sich elf Parteien im Rat – es gab keine klaren Mehrheiten.

Die Anfänge der NSDAP in Gladbeck

Das erste NSDAP-Parteimitglied gab es in Gladbeck 1927. Es war ein gewisser Konrad Wilde. Er gehörte zur Ortsgruppe Buer. Ein Jahr später gesellten sich zwei weitere „Parteigenossen“ zu Wilde in Gladbeck, 1929 kam es dann zur Gründung einer eigenen Ortsgruppe mit neun Mitgliedern.

Maßgeblich war an dem Zustandekommen Edwin Müller beteiligt, ein 25-jähriger Konditor, der aus Göttingen zugezogen war. Müller wurde erster Ortsgruppenleiter. Ende 1930 zählte die NSDAP 31 Mitglieder in der Stadt.

Am 1. Oktober 1932 gründete sich ein „Kreis“ der Partei in Gladbeck, zunächst mit drei, dann mit fünf und zuletzt, 1942, mit neun Ortsgruppen. Diese waren untergliedert in „Zellen“ und „Blocks“. Seit 1930 gab es die Hitlerjugend in Gladbeck, die SA seit 1929 , zunächst „Sturm 11“ (mit Buer), dann „Sturm 67“ für Gladbeck, der 1931 auf dem Markt seine Fahne weihte.

Hier gibt es die WAZ-Serie über die gesamte Geschichte Gladbecks zum Nachlesen