Gladbeck. Der Leiter der Werner-von-Siemens-Realschule in Gladbeck fordert eine zielgenauere Berufsorientierung. Wichtig sei es auch, die Eltern mitzunehmen.

Der Leiter der Gladbecker Werner-von-Siemens-Realschule, Daniel Kroll, fordert eine Berufsorientierung an Schulen, die zielgenauer die Talente der Schülerinnen und Schüler aufgreift. In Zeiten des akuten Fachkräftemangels würden sich die weiterführenden Schulen mit einer Vielzahl ausufernder Berufsinformation und Veranstaltungen konfrontiert sehen. Um einer Überforderung der Schülerinnen und Schüler entgegenzuwirken, sei konzentrierte und individuell zugeschnittene Beratung nötig. Dabei müssten auch die Eltern mitgenommen werden.

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„Alle reden derzeit von einem katastrophalen Fachkräftemangel im Handwerk oder für IHK-Ausbildungsberufe. Von vielen Seiten werden so Berufsinformationen oder Praktika an die Realschülerinnen und Realschüler herangetragen, um Interesse zu wecken“, so Daniel Kroll. Nach seiner Beobachtung führe das aber nur bei einem geringen Teil der anstehenden Realschulabsolventen „zum beabsichtigen Ziel, direkt eine duale Berufsausbildung anzustreben“.

Eine Umfrage zeigt, wie wenig Schulabgänger eine duale Berufsausbildung wollen

Daniel Kroll ist Schulleiter der Werner von Siemens Realschule in Gladbeck. Die Schule wurde zur Schule der Zukunft zertifiziert. Er fordert eine zielgenauerer Berufsorientierung.
Daniel Kroll ist Schulleiter der Werner von Siemens Realschule in Gladbeck. Die Schule wurde zur Schule der Zukunft zertifiziert. Er fordert eine zielgenauerer Berufsorientierung. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Diese Einschätzung spiegelt auch die aktuelle Umfrage der Jugendberufshilfe der Stadt unter Gladbecker Schulabgängern der Sekundarstufe I wider, die im vergangenen September dem Schulausschuss vorgestellt wurde. Demnach wollten sich 68 Prozent der Teilnehmenden für eine schulische Anschlussperspektive entscheiden. Mit dem Ziel, einen höheren Schulabschluss wie Fachhochschulreife oder Abitur am Berufskolleg, Gymnasium oder an der Gesamtschule zu erreichen. Nur elf Prozent der Befragten gaben an, sofort in eine duale Berufsausbildung zu gehen.

Er habe Schüler und Schülerinnen direkt angesprochen, „warum sie sich so entscheiden“, berichtet Kroll. Häufige Antworten seien gewesen, weil Vater oder Mutter sagten, „das ist besser, dann hast du später mehr Chancen, einen guten Job zu kriegen und viel Geld zu verdienen“. Und diese Aussagen bestätigten wissenschaftliche Untersuchungen, „dass das Sozialprestige von Berufen, wie es in ihrem Lebensumfeld bewertet wird, auf die Schüler stark einwirkt“. Viele der Schüler äußerten in diesem Zusammenhang auch immer wieder als Zukunftswunsch, sich später „den Traum vom guten Job, von einem tollen Auto, schmuckem Eigentumshaus und einer glücklichen Familie erfüllen zu können“. Dass Eltern erhofften, dass aus ihrem Kind etwas wird, sei „ja wohl klar“.

Eltern sollten stärker in die Berufsorientierung ihrer Kinder eingebunden werden

Beim Azubi-Speeddating am Berufskolleg in Gladbeck besteht regelmäßig gute Gelegenheit, dass Ausbildungsbetriebe und Schulabgänger direkt miteinander ins Gespräch kommen (Archivbild).
Beim Azubi-Speeddating am Berufskolleg in Gladbeck besteht regelmäßig gute Gelegenheit, dass Ausbildungsbetriebe und Schulabgänger direkt miteinander ins Gespräch kommen (Archivbild). © FUNKE Foto Services | Joachim Kleine-B ning

So sei es leider zu beobachten, dass sich das Berufsberatungsteam der Schule viele Gedanken mache und in Kooperation mit Arbeitgebern gute Informationen zu Ausbildungsberufen ausarbeite, zu denen dann Schülerinnen und Schüler eingeladen werden, die davon profitieren könnten. „Dann aber aus Desinteresse nicht zum Termin kommen.“ Teils habe das auch mit Herkunftserfahrungen der Eltern zu tun. Die aus Ländern stammen, „wo es eine duale Berufsausbildung mit Prüfung und qualifiziertem Abschluss oder Gesellenbrief nicht gibt, und jemand, der bei einem Unternehmer in einer Werkstatt schafft, eher als unterprivilegierter Hilfsarbeiter gilt“.

Seine Kritik bedeute freilich nicht, dass sich weiter zu bilden nicht lohne. „Wenn dann aber zwei Schülerinnen vor einem sitzen, die auf dem Zeugnis auch einige mangelhafte Noten haben und zum Berufswunsch sagen, dass sie Rechtsanwältinnen werden wollen“, dann laufe da in der Selbstwahrnehmung und -einschätzung wohl etwas schief. Um die Wirkmächtigkeit der Eltern in die Berufswahl einzubinden, sei es wichtig, diese in Sachen Berufsorientierung stärker mitzunehmen, fordert Daniel Kroll. Um ihnen den Leistungsstand ihrer Kinder zu verdeutlichen und allen Beteiligten klar zu machen, dass ein guter Ausbildungsberuf ja Grundstein für eine weitere Berufskarriere mit höheren Verdienstmöglichkeiten sein kann. Wenn dann die Meisterschule besucht, der Techniker gemacht wird oder eventuell mit Unterstützung des Arbeitgebers auch ein berufsbegleitendes Studium möglich ist.

Fast die Hälfte der Abgänger vom Berufskolleg hat das höhere Bildungsziel nicht erreicht

An der Werner-von-Siemens-Realschule versuche man daher, die Berufsberatung zu konzentrieren, „indem wir sie in jeweils einer Klasse an zwei Tagen dann richtig intensiv durchführen“, sagt Kroll. Besondere Erfahrungsmomente seien auch über spezielle Angebote möglich, wie mit dem Berufsinfo-Truck der Metall- und Elektroindustrie. „Dort wird den meisten erstaunten Schülerinnen und Schülern dann verdeutlicht, dass in der Industrie auch hoch spezialisierte Ausbildungsberufe möglich sind, wie der eines Zerspanungsmechanikers, der am computergesteuerten Roboter arbeitet und sich die Hände nicht schmutzig macht.“

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In einen Ausbildungsjob einzusteigen, der Jugendliche mit ihren Fähigkeiten abholt und Freude macht, bedeute auch mehr Motivation zum beruflichen Aufstieg. Ganz anders könne es aussehen, wenn man wegen des Elternwunsches oder aus persönlicher Fehleinschätzung etwa einen höheren Schulabschluss auf dem Berufskolleg anstrebt, „dann frustriert scheitert, dadurch Zeit verliert und demotiviert ist“, mahnt der Realschulrektor. Dass die Zahl der gescheiterten Illusionen in Gladbeck hoch ist, spiegelt auch das Ergebnis der Umfrage der Jugendberufshilfe wieder: Von den Schülerinnen und Schülern, die das Berufskolleg im Befragungszeitraum verlassen haben, haben fast die Hälfte (48 %) ihr Bildungsziel nicht erreicht.