Essen. Kranke Arbeitnehmer, die gesetzlich versichert sind, müssen Chefs nun keinen gelben Schein mehr vorlegen. Was zu beachten ist.

Der gelbe Schein ist Vergangenheit. Seit 1. Januar 2023 erfolgt die Krankmeldung eines gesetzlich versicherten Arbeitnehmers zwingend auf elektronischem Weg – per eAU, elektronischer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Für alle Beteiligten soll die Sache damit einfacher werden, doch es gab Startschwierigkeiten. Bis Ende März ist zudem eine telefonische Krankschreibung weiter möglich.

Was ändert sich?

Bislang stellten Arzt oder Ärztin einem kranken und deswegen arbeitsunfähigen Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) mit drei Papier-Durchschlägen aus: für ihn (oder sie), den Arbeitgeber und die Krankenkasse. Der Kranke musste die Papiere weiterleiten, spätestens am vierten Tag der Erkrankung sollte die AU dem Chef vorliegen. Seit 1. Januar übermittelt die Praxis, in der die Arbeitsunfähigkeit festgestellt wurde, die Krankmeldung elektronisch an die Krankenkasse des Patienten. Der Arbeitgeber ruft die AU des Mitarbeiters, nachdem der sich krank gemeldet hat, nun digital selbst bei der Krankenkasse ab. Das sollte spätestens am Tag nach dem Arztbesuch möglich sein.

Gilt die neue Regelung für alle?

Nein, nur für gesetzlich Versicherte. Für Privatversicherte, Beihilfeberechtigte und Minijobber in Privathaushalten ändert sich zunächst nichts. Auch die AU für Eltern kranker Kinder werden noch nicht digital übermittelt, sondern weiterhin auf Papier erstellt. Gleiches gilt für Mutter-Kind-Kuren und andere Reha-Maßnahmen.

Was muss der Erkrankte tun?

Wer krank ist, muss sich von Arzt oder Ärztin nur die Arbeitsunfähigkeit bestätigen lassen; und zeitnah - wie zuvor schon – seinen Chef über die voraussichtliche Dauer der Krankschreibung informieren, telefonisch, per Email oder SMS. Dann darf er sich wieder ins Bett legen. Er muss dem Arbeitgeber die Bescheinigung nicht mehr vorlegen.

Gibt es die eAU nicht schon lange?

Tatsächlich wurde die eAU schon 2019 beschlossen, es gab aber viele technische Probleme. Im Januar 2022 wurde sie formell eingeführt. Allerdings ging es dabei zunächst nur um den „Durchschlag“ an die Krankenkasse. Seit Januar dieses Jahres müssen die Arbeitgeber nun die AU bei den Kassen abrufen.

Welche Informationen enthält die eAU?

Den Namen des Versicherten sowie Anfang und Ende der Krankschreibung; zudem muss erkennbar sein, ob es sich um eine Erst- oder Folgebescheinigung handelt und ob es Hinweise auf einen Arbeitsunfall gibt. Die Diagnose erfährt der Arbeitgeber nicht.

Sind die Praxen gerüstet?

Bei den Haus- und Fachärzten sowie Psychotherapeuten lägen seit Sommer 2022 die technischen Voraussetzungen „nahezu vollständig“ vor, berichtet Christopher Schneider, stellvertretender Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO): „Schon Anfang Dezember führten bereits über 80 Prozent der Praxen in Nordrhein die digitale eAU-Übermittlung mit der jeweiligen Krankenkasse des Versicherten durch.“ Stefan Kuster, Pressesprecher der KV Westfalen-Lippe (KVWL) bestätigt für seinen Bereich: „Mittlerweile nutzen fast alle Arztpraxen die eAU. Die Übermittlung läuft hier technisch meist störungsfrei.“

Wird nun gar keine AU mehr ausgedruckt?

Doch, etwa für Arbeitslose zur Vorlage bei der Arbeitsagentur. Man gehe zudem davon aus, dass „zum Start nicht alle Arbeitgeber technisch und organisatorisch in der Lage sein werden, die AU digital abzurufen und weiterhin Papierausdrucke von ihren Arbeitnehmern fordern werden“, so Stefan Kuster. Praxen sollten daher selbst entscheiden, ob sie vorerst weiter die AU für den Arbeitgeber ausdruckten, „um nachträgliche Anfragen nach einer Papierbescheinigung zu vermeiden“.

Arbeitsrechtler raten allen Versicherten zudem, sich in der Praxis grundsätzlich eine vom Arzt unterschriebene AU für die eigenen Akten ausdrucken zu lassen. Auch nach der Umstellung haben Kranke einen Anspruch darauf. Der Beleg dient als „gesetzliches Beweismittel“ – sollte die eAU den Arbeitgeber gar nicht, verzögert oder mit falschen Informationen erreichen und es Streit um „unentschuldigtes Fehlen“ oder die Lohnfortzahlung geben. Aus demselben Grund raten Experten auch dazu, bei der telefonischen Information des Chefs jemanden mithören oder sich den Erhalt der entsprechenden SMS/Email kurz bestätigen zu lassen.

Sind die Daten sicher?

Kranke freuen sich, dass ihnen der Weg zum Briefkasten künftig erspart bleibt – aber viele sorgen sich um die Sicherheit ihrer sensiblen Daten; dass die Kollegen von Lidstraffung oder Gonorrhö erfahren, will nicht jeder. Kassenärztliche Bundesvereinigung und AOK versichern, die persönlichen Daten blieben geschützt. Die Krankschreibung werde besonders verschlüsselt und über ein eigens für solche Informationen entwickeltes Netz weitergeleitet – die Telematikinfrastruktur, zu dem nur Personen oder Institutionen des Gesundheitswesens Zugang haben.

Gibt es schon Kritik?

Selbst für eine erste Bilanz ist es zwei Tage nach Start zu früh. Sicher ist: Nicht bei allen hat es am Montag reibungslos funktioniert, mindestens eine Hausarztpraxis in Herdecke etwa musste komplett passen, als ihre Patientin nach der eAU fragte.... „Es läuft noch nicht rund“, erklärte Monika Baaken vom Hausärzteverband Nordrhein, aber sie habe „keine Schreckensmeldungen“ auf breiter Front erhalte und grundsätzlich seien die Hausärzte froh über jede neue Digitallösung, die praxisorientiert entwickelt worden sei – was im konkreten Fall jedoch noch „ausbaufähig“ sei.

Langfristig werde die eAU zur Entlastung der Praxen führen, glaubt die KVWL. Grundsätzliche Probleme erwarte man – „Stand heute“ - nicht, so Sprecher Christopher Schneider. Die „Einführungshistorie der eAU“ zeige aber, dass es keinen Sinn mache, noch nicht ausgereifte Anwendungen flächendeckend zu einem verfrühten Stichtag X formal einzuführen.

Auch die Krankenkassen begrüßen die neue Regelung. Mit der Digitalisierung des Verfahrens werde der Verwaltungsaufwand reduziert, erklärte etwa eine Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg. Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsmeldung könne zudem sicherer und schneller zugestellt werden als die bisherige Bescheinigung auf Papier, Erstellungs- und Übermittlungskosten würden so reduziert.

Ist eine telefonische Krankschreibung noch immer möglich?

Ja. Die „tAU“, die zu Beginn der Corona-Pandemie eingeführt und zwischenzeitlich wieder abgeschafft wurde, ist bis zunächst Ende März wieder möglich – und wird sehr gut angenommen. Bis dahin gilt: Versicherte, die aufgrund einer leichten Atemwegserkrankung arbeitsunfähig sind, können bis zu sieben Tage von einem niedergelassenen Arzt telefonisch krankgeschrieben werden, der sie zuvor nach den Beschwerden befragt hat. Eine Verlängerung ist einmalig für weitere sieben Kalendertage möglich. (Bei der tAu wird im Übrigen ebenfalls eine eAU ausgestellt… )

Die Hausärzte hatten sogar für eine dauerhafte statt einer erneuten Übergangsregelung plädiert. Die Option der Telefon-AU habe sich in der Zeit der Corona-Pandemie bewährt, so Christopher Schneider. Monika Baaken, Sprecherin des Hausärzteverbands Nordrhein bestätigte „Wir haben sehr gute Erfahrungen mit der telefonischen Krankschreibung gemacht, sie entlastet die Praxen enorm, gerade jetzt, da die Wartezimmer so voll sind“. Der Anteil liege mittlerweile bei 60 bis 70 Prozent.