Gladbeck. Die Preise für Gas, Strom und Material explodieren, Firmen droht gar eine Abschaltung von der Gaslieferung. Wie Gladbecker Unternehmen reagieren.

Drohende Preissteigerungen bei Strom und Gas, Sorgen um möglicherweise ausbleibendes Gas und nicht zuletzt Beschaffungsprobleme bereiten immer mehr Unternehmen in Gladbeck Sorgen. Längst haben IHK und der Arbeitgeberverband Alarm geschlagen, treffen sich betroffene Firmen zur Krisenrunde, um Erfahrungen auszutauschen und Hilfen zu koordinieren. Die WAZ hat sich bei einigen Betrieben umgehört.

Flachglashersteller Pilkington, der für seine Produktion große Mengen Gas benötigt, spürt aktuell noch keine Einschränkungen bei der Erdgasversorgung seines Werkes an der Hegestraße. Das Unternehmen bereitet sich aber auf eine Krisensituation vor, da industrielle Kunden wie Pilkington im Falle einer erheblichen Verschlechterung der Erdgasversorgung nicht zu den „geschützten Verbrauchern“ zählen und keine garantierte Gaszuteilung erwarten können, heißt es aus dem Unternehmen.

Glashersteller Pilkington bereitet sich auf eine Gasmangel-Situation vor

Die WAZ öffnet Pforten: Zu Besuch beim Glashersteller Pilkington in Gladbeck am Freitag, 8. Juli 2022. Foto: Oliver Mengedoht / FUNKE Foto Services
Die WAZ öffnet Pforten: Zu Besuch beim Glashersteller Pilkington in Gladbeck am Freitag, 8. Juli 2022. Foto: Oliver Mengedoht / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

„Es laufen deshalb Vorbereitungen, auch durch Kontakte mit Netzbetreibern und Gaslieferanten, in welchen Stufen und mit welcher Vorlaufzeit im Notfall unsere Anlagen und Aggregate kontrolliert reduziert werden können“, berichtet Pilkington-Sprecherin Birgit Kernebeck. Inzwischen plane Pilkington auch, im Falle einer Gasmangelsituation mit einer hybriden Gas-Öl-Fahrweise zu produzieren.

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„Dies ermöglicht es auch bei einer Unterbrechung der Gaslieferung, die Wannen mit Heizöl zumindest im Heißbetrieb zu halten und so unsere Glaswannen vor irreversiblen Schäden zu schützen“, erläutert die Sprecherin. Eine Glasproduktion sei allerdings im Heißbetrieb nicht mehr möglich, da für die Produktion sehr viel größere Ölliefermengen nötig wären. Ziel sei es, „handlungsfähig zu bleiben und gravierende Schäden an den Anlagen vermeiden zu können“.

Deutsche Rockwool spürt angespannte Situation durch höhere Energiepreise

Rockwool Geschäftsführer Volker Christmann steht am Dienstag, 11. Mai an einer Produktionsstraße im Rockwool Werk an der Bottroper Straße in Gladbeck. Foto: Lutz von Staegmann / FUNKE Foto Services
Rockwool Geschäftsführer Volker Christmann steht am Dienstag, 11. Mai an einer Produktionsstraße im Rockwool Werk an der Bottroper Straße in Gladbeck. Foto: Lutz von Staegmann / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Auch die Deutsche Rockwool in Gladbeck mit dem Werk an der Bottroper Straße spürt die angespannte Situation. Immerhin, so Rockwool-Chef Volker Christmann, benötige der Dämmwolle-Hersteller aber kein Gas zur Produktion, „nur für unsere Umweltanlagen und zur Nachhärtung“. Hauptenergieträger für den Produktionsprozess sei bei Rockwool Koks, aber auch der sei „wesentlich teurer“ geworden. Ebenso belasten die Tarifanpassungen beim Strom das Unternehmen.

Einschränkungen in der Produktion befürchtet Christmann nicht. Allerdings müsse das Dämmstoff-Unternehmen die höheren Energiekosten über Preisanpassungen weitergeben. „Das machen wir nicht, um uns reich zu machen.“ Eine Zurückhaltung bei der Nachfrage sei bislang nicht spürbar. Christmann: „Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren, aber wenn wir von den angekündigten Preisdeckelungen profitieren, würde das schon eine gewisse Sicherheit geben.“

Firma „Ruhrzerspanung“ bereitet Strompreis-Explosion massive Sorgen

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Mitte) besuchte im Februar die Firma Leonard+Bauer in Gladbeck.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Mitte) besuchte im Februar die Firma Leonard+Bauer in Gladbeck. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Lenord+Bauer, Spezialist für Bewegungssensorik und integrierte Antriebstechnik mit Werk in Rentfort, benötigt „glücklicherweise“, so Geschäftsführer Dr. Rudo Grimm, für die Fertigungsprozesse kein Gas, so dass der Energieverbrauch „nicht ungewöhnlich“ hoch sei. Dennoch startet das Unternehmen an der Heinrich-Hertz-Straße ein Umrüstprojekt auf Flüssiggas, „um Abhängigkeiten zu reduzieren“. Parallel habe Lenord+Bauer seinen Strom- und Gasverbrauch durch Energieeinsparaktionen senken können, auch mit Hilfe der Mitarbeiter. „Wir haben die Betriebszeiten von Klima-, Heizungs- und Lüftungsanlagen flexibler als zuvor gestaltet und sie mit der Anwesenheit der Mitarbeiter rückgekoppelt.“

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Der Fir­ma „Ruhrzerspanung“ im Wiesenbusch, Hersteller von Maschinenbauteilen, bereiten vor allem die angekündigten Preiserhöhungen beim Strom, der für die Produktion benötigt wird, große Sorgen. „2023 erwarten wir massive Steigerungen, da wir unseren Strom nicht mehr zum Festpreis beziehen können, sondern börsennotierte Strompreise zahlen müssen“, erläutert Geschäftsführer Uwe Zurhausen. „Die Stromkosten sind so nicht mehr kalkulierbar.“ Auch die Beschaffungskosten beim Stahl explodieren, 400 bis 500 Tonnen benötigt das Unternehmen im Jahr. „Sie stiegen von Januar bis August um 80 bis 100 Prozent.“ Außerdem herrsche, so Zurhausen, bei allen Lieferanten derzeit eine Mangelsituation, lange Lieferzeiten (teilweise verdreifacht) seien die Folge.

RS Rittel drücken die hohen Strompreise und Verteuerungen der Materialbeschaffung

Firma Rittel an der Stollenstraße ist ein Spezialist für Oberflächenbehandlung und Verschleißschutz.
Firma Rittel an der Stollenstraße ist ein Spezialist für Oberflächenbehandlung und Verschleißschutz. © WAZ | Franz MEINERT

Auch bei der Metasa Metallkonstruktionen und Erntetechnik GmbH an der Haldenstraße führen die zu erwartenden Preiserhöhungen beim Strom, der für die Produktion benötigt wird, zu Sorgenfalten, berichtet Betriebsleiter Jörg Amft. Alle Mitarbeiter seien angehalten, energiesparend zu arbeiten. Auch bei den Beschaffungspreisen seien deutliche Preisanstiege spürbar, „allerdings lassen sich aufgrund der hohen Abnahmemengen noch immer verhältnismäßig gute Preise erzielen.“ Inzwischen machten sich auch lange Lieferzeiten und fehlende Verfügbarkeiten des Materials bemerkbar.

Die RS Rittel GmbH an der Stollenstraße, ein energieintensiver (Strom) Spezialist für Oberflächentechnik, spürt derzeit Druck von gleich drei Seiten: Zum einen eine „Verdrei- fast Vervierfachung des Strompreises“, eine deutliche Verteuerung bei der Materialbeschaffung und gleichzeitig eine inzwischen spürbare Kaufzurückhaltung der Kunden, die größtenteils selbst zu energieintensiven Unternehmen zählen und ihre Aufträge überdenken, berichtet Prokurist Julian Essler. Als Firma, die im internationalen Wettbewerb stehe, könne RS Rittel steigende Preise nicht ohne weiteres an die Kundschaft weitergeben. „Wir versuchen, im Moment noch dagegen zu halten, indem wir Einsparpotenziale suchen und durch eine interne Optimierung die Effizienz noch einmal zu steigern versuchen.“