Gladbeck. 40 junge Straftäter haben bislang bei „Kurve kriegen“ im Bereich der Polizei Recklinghausen mitgemacht. Auch ein Gladbecker (14) ist dabei.
Sie prügeln auf ihre Mitmenschen ein – in vielen Fällen ohne ersichtlichen Grund. Sie zücken Messer und andere Waffen, stehlen, rauben, zocken ab. Dabei sind es noch Kinder; oder gerade einmal Jugendliche, die eine Intensivtäter-Karriere einschlagen. Die kriminalpräventive Landesinitiative „Kurve kriegen“ will früh einschreiten, um diese Laufbahn zu stoppen. Aktuell sind 16 Jungen und junge Männer zwischen elf und 17 Jahren in das Projekt für den Bereich des Polizeipräsidiums Recklinghausen eingebunden, darunter auch ein 14-Jähriger aus Gladbeck.
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Er wurde im März 2022 in die Initiative aufgenommen – wegen eines Raubes und Körperverletzungen. Die Polizeibehörde Recklinghausen ging Anfang 2018 mit „Kurve kriegen“ an den Start. Seitdem wurden insgesamt 40 junge Menschen, darunter zwei Mädchen, aufgenommen. Das Durchschnittsalter betrug bei Aufnahme 12,4 Jahre. Die begangenen Delikte reichen von Diebstahl, (gefährlicher) Körperverletzung, Bedrohung und Raub bis zu Vergewaltigung. Aber die Kinder und Jugendlichen fielen auch wegen Beleidigung, Sachbeschädigung und gefährlichen Eingriffs im Straßenverkehr polizeilich auf.
Das Fachkräfteteam betrachtet auch Risikofaktoren wie Gewalt in der Familie
„Persönliche Faktoren wie eine gestörte Impulskontrolle, Aggressionsdurchbrüche sowie vielfältige Kontaktabbrüche führen dazu, dass die betreuten jungen Menschen oftmals aus eigener Kraft keinen Zugang zu sozial anerkannten Angeboten finden können und stattdessen Anerkennung und Bestätigung in der ,kriminellen Szene’ suchen“, erklärt das Fachkräfteteam von „Kurve kriegen“. Es setzt sich zusammen aus Kräften der Polizei und anerkannter Träger der freien Jugendhilfe wie der Arbeiterwohlfahrt Münsterland-Recklinghausen.
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Außer den aktenkundigen und bekannten Straftaten der Kinder und Jugendlichen zwischen acht und 17 Jahren betrachten Fachleute belastende Risikofaktoren. Dazu zählen oft Gewalt in der Familie, Vernachlässigungen jeglicher Art (emotional, physisch, sozial), fehlende Tages- und Freizeitstrukturen, schlechter Umgang und Schulverweigerung. Genau hier setzt die Arbeit der Initiative an, deren Grundsatz lautet: „Frühe Hilfe statt späte Strafe“.
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Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen: „Die Intervention muss frühestmöglich beginnen – noch bevor die kriminelle ,Karriere’ Fahrt aufnimmt. Daran arbeiten die Ansprechpartner der Polizei in enger Abstimmung mit den pädagogischen Fachkräften und den Jugendämtern der Kommunen. So haben sie mit ihrem Engagement schon einige Teilnehmer der Maßnahme aus der Abwärtsspirale reißen können.“
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Durch gezielte pädagogische Arbeit und weiterführende Maßnahmen finden Fachleute belastende Lebensumstände heraus, um sie zu reduzieren. „Gleichzeitig sollen individuelle Kompetenzen und Talente gefördert werden, die dazu beitragen können, sich von kriminellem Verhalten abzuwenden und Anerkennung auf anderen Wegen zu erfahren“, so das Team. Ins Netzwerk eingebunden können zum Beispiel Institutionen wie Schulen sein, aber auch Angehörige. Weitere Elemente sind erlebnispädagogische Maßnahmen wie Ausflüge und therapeutische Angebote, zum Beispiel Antigewalt- und Deeskalationstraining.
Das Projekt in Zahlen
Seit Start des Projektes haben nach Angaben des Innenministeriums insgesamt 2057 junge Menschen an dem Programm „Kurve kriegen“ teilgenommen. Aktuelle Teilnehmerzahl: 572. Das Durchschnittsalter bei Aufnahme beträgt 12,8 Jahre.
Als erfolgreiche Absolventen führt die Statistik 954 Mädchen und Jungen. Die durchschnittlichen Kosten pro Kopf und Jahr belaufen sich auf rund 11.000 Euro. Im Durchschnitt erstreckt sich die Teilnahme auf etwa zweieinhalb Jahre.
Ungefähr 16 Prozent der jungen Menschen, die bei „Kurve kriegen“ mitmachen, sind weiblich. Der Anteil der Teilnehmer mit Migrationshintergrund wird mit ungefähr 48 Prozent angegeben.
Aber nach welchen Kriterien erfolgt die Auswahl der möglichen „Kurve-kriegen“-Teilnehmer? Polizeiliche Daten werden ebenso ausgewertet wie weitere Informationen von Jugendämtern, Schulen, Jugendhilfe im Strafverfahren, um nur einige zu nennen. Die Polizei nimmt danach Kontakt zu Eltern oder anderen Sorgeberechtigten auf. „Zu Beginn wird zunächst der ,Ist-Stand’ beleuchtet, die allgemeine Lebenssituation erfasst, Stärken, Schwächen und Talente der jungen Menschen werden in Erfahrung gebracht, die als wesentliche Grundlage der Arbeit dienen.“ Die gewonnenen Erkenntnisse fließen ein in ein individuelles Maßnahmenpaket. Es zielt darauf ab, die „Abwehrkräfte gegen kriminelles Verhalten aufzubauen und sozialverträgliche Alternativen für die jungen Menschen zu etablieren“.
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Die jungen Menschen in dem Projekt stehen unter „tagesaktueller Beobachtung“ der Polizei: Bei relevanten polizeilichen Vorfällen – als Täter, als Opfer, als Vermisster, als Zeuge – erfolgt ein direkter Austausch im Fachkräfteteam. Das ermöglicht den pädagogischen Fachkräften sofort, ohne Zeitverzug, den jeweiligen Vorfall in den Familien aufzuarbeiten.
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Die Bilanz am Standort Recklinghausen: Acht Teilnehmer verließen die Initiative als erfolgreiche Absolventen, ebenso viele haben abgebrochen. „Sechs Teilnehmer wurden aufgrund von Wohnortwechseln entlassen oder an andere ,Kurve kriegen’-Standorte übergeben“, heißt es weiter aus dem Polizeipräsidium Recklinghausen. Zwei junge Menschen mussten aufgrund ihrer fortlaufenden Straftaten zum „Intensivtäterkonzept“ wechseln. Ausblick: „Es ist beabsichtigt, dass zwei der aktuellen Teilnehmer noch in diesem Jahr als erfolgreiche Absolventen entlassen werden.“ Eine Erkenntnis lautet: „Die polizeilich bekannt gewordenen Vorfälle der aktuellen Teilnehmer haben sich im Vergleich zur Zeit vor ,Kurve kriegen deutlich reduziert.“