Gladbeck. Das Jugendamt Gladbeck erhielt nach der aktuellsten Statistik 169 Hinweise auf Kindeswohlgefährdung. Der KSB fungiert oft als Mittler.

Eine steigende Zahl von Kindeswohlgefährdungen verzeichnet das Jugendamt der Stadt Gladbeck. Waren im Jahr 2018 noch 122 Fälle gemeldet worden, gingen im Jahr darauf, 2019, die Fachleute 169 Meldungen nach. Aktuellere Zahlen konnte die Stadtverwaltung nicht vorlegen, doch Experten gehen davon aus, dass in der Coronavirus-Krise die Thematik eine größere Rolle spielen wird.

Verantwortlich seien die wochenlangen Kontaktbeschränkungen. Dr. Peter Fischer, Vorsitzender des Kinderschutzbundes (KSB) Gladbeck, bezeichnete diese Ausnahmephase als „Herausforderung“ für Familien. Doch diese Abschottung – beispielsweise kein Präsenz-Schulunterricht, keine Kindergartenbesuche, keine Vereins- und Gruppenaktivitäten – kann auch dazu führen, dass Kindeswohlgefährdung im Verborgenen bleibt. Noch mehr als sonst. Nadine Wieschollek, seit sechs Jahren pädagogische Fachkraft beim KSB, betont: „Die Dunkelziffer ist immens.“ Und wo niemand einen Verdachtsfall meldet, wird auch nicht genau hingesehen und geprüft.

Gladbeck: Das Experten-Team im Jugendamt geht jeder Meldung nach

David Hennig, Sprecher der Stadtverwaltung: „Hinweise auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung kommen sowohl von Ärzten, der Schule oder der Kita als auch von Freunden und Verwandten der Betroffenen. Jugendamtsmitarbeiter werden aber auch selbst auf die Fälle aufmerksam, zum Beispiel durch beratende Angebote und Präventionsarbeit.“ Zudem geben Nachbarn, andere Beratungsstellen und die Polizei Signale.

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Nadine Wieschollek vom Deutschen Kinderschutzbund in Gladbeck weiß, dass sich Hinweisgeber in manchen Fällen nicht direkt an das städtische Jugendamt wenden wollen. Dann tritt der Verein als Mittler auf.
Nadine Wieschollek vom Deutschen Kinderschutzbund in Gladbeck weiß, dass sich Hinweisgeber in manchen Fällen nicht direkt an das städtische Jugendamt wenden wollen. Dann tritt der Verein als Mittler auf. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Oder der Kinderschutzbund. Wie kürzlich, als ein Nachbar Verdächtiges berichtete, wie Wieschollek sagt. „Wir haben das dem Jugendamt gemeldet, haben aber weiter die Familie im Blick“, sagt Wieschollek.

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Das 28-köpfige Team in der Stadtverwaltung prüfe jede Meldung, so Hennig. „Bei akuter Gefährdung greift das Jugendamt sofort ein. Zwei Mitarbeiter suchen das betroffene Kind auf“, erläutert der Verwaltungssprecher. Oft bestätige sich der Verdacht auf eine akute Gefährdung aber nicht. Davon erfahren die Hinweisgeber jedoch nicht. „Die Rückmeldung fehlt uns, und wir wünschen sie uns“, sagt Wieschollek. Einigen Netzwerkpartnern, zu denen unter anderem die Caritas, die evangelische Kirche und der Sozialdienst katholischer Frauen gehören, ergehe es ähnlich.

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Es sei keine Seltenheit, dass sich Menschen, die Auffälligkeiten im Verhalten oder Erscheinungsbild eines Kindes machten, an den Verein als Mittler wenden. Die KSB-Expertin weiß: „Sie wollen nicht direkt beim Jugendamt anrufen. Auch wenn wir darauf hinweisen, dass das auch anonym geht.“ Woran das liegen mag? „Das Jugendamt hat bisweilen ein negatives Image“, hat Wieschollek festgestellt.

Kontakt und Opstapje

Der Kinderschutzbund (KSB) Gladbeck hat seinen Sitz am Kirchplatz 6. Ein Kontakt ist möglich unter 02043 28888. Das Vereinsbüro ist zu folgenden Zeiten besetzt: montags bis donnerstags zwischen 8 und 13 Uhr sowie freitags von 8 bis 12 Uhr. Falls Ratsuchende keinen Vertreter des Kinderschutzbundes erreichen, können sie eine Email schicken an: „dksb@dksb-gladbeck.de“.

In Kooperation mit dem Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) bietet der Verein das Spiel- und Förderprogramm Opstapje an. Ziel ist, die altersgemäße Entwicklung von Kindern zu unterstützen. Allerdings sind aktuell in dem Programm keine persönlichen Begegnungen möglich. Der KSB: „Die Kontakte werden per WhatsApp und Video-Telefonie aufrecht erhalten.“

Kindeswohlgefährdung bedeute nicht zwangsläufig körperliche Gewalt oder Missbrauch: „Es geht auch um Vernachlässigung.“ Hellhörig werde der KSB, wenn eine Mutter nicht erreichbar sei; wenn ein Kind nach der Schule regelmäßig vor verschlossener Türe stehe; wenn es keine witterungsgemäße Kleidung trage: „Im Winter in dünnen Turnschuhen, obwohl Stiefel angemessen wären.“ Das Auftreten könne ebenfalls alarmierend sein: „Wenn ein Kind abgeklärt und sehr reif für sein Alter ist, ist das ein Signal für uns.“ Manche Mädchen und Jungen sprechen sich beim KSB-Team aus, andere bei Lehrern.

Wie häufig junge Gladbecker zum eigenen Schutz aus ihren Familien genommen werden, kann Hennig nicht beziffern. Er erklärt: „Die Kinder werden je nach Alter, Belastung und Symptomatik entweder in Bereitschaftspflegefamilien oder in unterschiedlichen stationären Einrichtungen untergebracht. Jugendliche je nach Selbstständigkeitsgrad im Betreuten Wohnen.“ Falls möglich und geeignet, erfolge auch eine Unterbringung bei Verwandten oder vertrauten Menschen im Umfeld wie Nachbarn oder Freunde.