Gladbeck. In Gladbeck gibt es jetzt das Netzwerk Kinderschutzdach. Was das Ziel ist, wie Missbrauch erkannt werden und an wen man sich wenden kann.
Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung von Kindern: Die Meldezahlen in Gladbeck steigen ungebremst. Auch darum hat die Stadtverwaltung nun das stadtweite Netzwerk Kinderschutzdach gegründet. Bisherige Strukturen, um Kinder und Jugendliche besser schützen zu können, sollen so ausgeweitet und intensiviert werden.
Über 582 Kinder gingen im vergangenen Jahr Meldungen bei der Stadtverwaltung ein, in diesem Jahr waren es bis zum 30. Juni bereits 359. „Wenn es bis zum Ende des Jahres so weitergeht, werden es am 31. Dezember 718 sein“, sagt Lisa Tymann, Abteilungsleiterin Hilfen zur Erziehung bei der Stadt Gladbeck, die vor diesem Hintergrund von einer hohen Zunahme gegenüber dem Jahr 2021 spricht. Unter den Meldungen versammeln sich verschiedene Aspekte, dazu zählen eben Missbrauch, Gewalt und Vernachlässigung. Aber auch Partnerschaftsgewalt, die ein Kind miterleben muss, wird dabei erfasst.
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Das Thema Missbrauch an Kindern muss in die Öffentlichkeit gebracht werden
Das Netzwerk Gladbecker Kinderschutzdach hat sich zum Ziel gemacht, Institutionen für das Thema Kindesmissbrauch zu sensibilisieren, um Signale für einen Missstand erkennen und entsprechend handeln zu können. „Wir alle wissen: Kinder vor Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung zu schützen, das ist eine Aufgabe, die nur gemeinsam gelingen kann‘“, so Bürgermeisterin Bettina Weist.
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Zukünftig sollen demnach alle mit Kindern und Jugendlichen befassten Menschen und Einrichtungen stärker miteinander vernetzt, informiert und fortgebildet sowie die weitere Arbeit systematisiert werden. „Dazu können wir in Gladbeck auf Strukturen zurückgreifen, die wir in den vergangenen zwei Jahren aufgebaut haben“, sagt Lisa Tymann. „Nur wenn allen das Thema präsent ist, gibt es eine Möglichkeit, Missbrauch zu stoppen“, so Tymann weiter. Denn dieser geschehe im Verborgenen, müsse aber öffentlich gemacht werden. „Das kann nicht eine Institution allein, dafür ist ein Netzwerk nötig.“ Mitglieder des Netzwerkes sollen sich nicht nur zweimal jährlich zu Fachveranstaltungen treffen, sondern sich gegenseitig austauschen und unterstützen können.
Über 80 Institutionen in Gladbeck beteiligen sich am Kinderschutzdach, darunter viele Kitas
In Gladbeck wurde damit eines der ersten Kinderschutznetzwerke in Nordrhein-Westfalen nach dem neuen Landeskinderschutzgesetz gegründet. Egal ob Familie, Nachbarn oder Fachkräfte aus Kita, Schule, Freizeittreffs – wenn Kinder oder Jugendliche Schutz brauchen, ist ein aufmerksames Umfeld entscheidend, heißt es von der Stadtverwaltung. Über 80 Gladbecker Institutionen, darunter Träger der freien Jugendhilfe, Schulen, Kitas, Vereine und Religionsgemeinschaften, unterschrieben jetzt auf einem Fachtag eine entsprechende Kooperationsvereinbarung.
Das sind mögliche Hinweise auf Missbrauch
Wer Gewalt und Missbrauch an Kindern vermutet, hat mehrere Möglichkeiten, darauf aufmerksam zu machen. Zunächst einmal gelte es, die jeweilige Institution auf den Verdacht aufmerksam zu machen, also beispielsweise die Kita-Leitung anzusprechen. Wer als Bürger etwas in der Nachbarschaft wahrnimmt, kann sich direkt an das Jugendamt unter 02043/992277 in der offenen Sprechstunde wenden. Bei akuter Gewalt sollte man sich sofort an die Polizei wenden.Um Gewalt oder Missbrauch zu erkennen, gebe es nicht das eine Signal, so Lisa Tymann, Abteilungsleiterin Hilfen zur Erziehung bei der Stadt Gladbeck. Es lohne sich aber genau hinzuschauen, falls sich Kinder oder Jugendliche sehr verändern. Wenn ein Kind, das eigentlich schon trocken war, beispielsweise plötzlich wieder einnässt, nicht mehr läuft oder spricht, obwohl es das eigentlich schon konnte. „Das deutet darauf hin, dass irgendetwas passiert ist. Das muss nicht immer Missbrauch sein, es kann auch sein, dass es zum Beispiel der Oma nicht gut geht“, erklärt Tymann.Ein weiterer Hinweis könnten Verletzungen sein, für die es von Vater, Mutter oder auch dem Kind selbst unterschiedliche Erklärungen gibt.
Auch für Peter Fischer, Vorsitzender des Kinderschutzbundes, ist das Kinderschutzdach ein sinnvolles Instrument, um bestehende Projekte zu verbinden und auf größere Füße zu stellen. „Wir haben ja auch bisher schon Präventionsprojekte in Kitas und Schulen gemacht, jetzt wollen wir auch verstärkt auf Vereine zugehen.“ Denn Übergriffe von Trainern seien auch im Sportverein, bei den Pfadfindern oder in Musikschulen möglich. Wichtig sei zu vermitteln, was im Falle eines Falles zu tun sei. „Viele wissen nicht, an wen sie sich wenden müssen, wenn sie sexuellen Missbrauch feststellen oder wie sie ihn überhaupt erkennen.“ Dass sich die Stadt professionell aufstelle, sei völlig richtig. Wie sich die Situation in Gladbeck darstelle, werde nicht mit genauen Zahlen erfasst. „Wir bekommen aber immer wieder Hinweise auf Missbrauch.“ Und: „Nur ein einziger Fall ist einer zu viel.“ Was betroffene Kinder erleiden, könne man sich nicht vorstellen. „Es gibt Männer, die extra heiraten, um Kinder in die Welt zu setzen, an denen sie sich vergehen können.“
Vom Kinderschutzdach erhofft sich Peter Fischer, dass das Kinderschutzkonzept gelebt werde, und nicht bei Vereinen und Institutionen in einem Schrank stehe. Und dass darüber möglichst viele Menschen wissen, wie sie sich verhalten und an wen sie sich wenden können, wenn sie sexuellen Missbrauch vermuten oder bemerken.