Gladbeck. Das Brieftaubenwesen hat es als „Immaterielles Kulturerbe“ auf die Liste geschafft. So sehen Gladbecker Züchter ihr Hobby im Wandel der Zeit.
Wahrscheinlich wäre bei Günther Jauchs Quiz-Sendung „Wer wird Millionär?“ bei dieser Frage ein Joker vonnöten. Was haben das „ehrsame Narrengericht zu Grosselfingen“, die „Helgoländer Dampferbörte“, die „Lindenkirchweih Limmersdorf“, die „Salzwirker-Brüderschaft im Thale zu Halle“ und das „Brieftaubenwesen“ gemeinsam? Kein Plan? Richtige Antwort: Alle fünf Beispiele zählen zum Immateriellen Kulturerbe unserer Republik. In Gladbeck ist diese kürzlich erfolgte Würdigung der Brieftaubenzucht mit besonderer Freude aufgenommen worden.
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Die Aktivität um die „Flitzer der Lüfte“ bereichert die mittlerweile 131 Einträge umfassende Liste „Immaterielles Kulturerbe“. „Das ist eine Bestätigung und Anerkennung unseres schönen Hobbys“, zeigt sich Manfred Berger, seit vielen Jahren „Chef“ der heimischen Taubenzüchter, erfreut über die Entscheidung der Kultusministerkonferenz. Vor allem für die Menschen im Kohlenpott habe das Brieftaubenwesen eine besondere Bedeutung, wenngleich die Zahl der aktiven Züchter, wie zum Beispiel Bergers passionierte, erfolgreiche Kollegen Marian Frejno – „Taubenkönig von Gladbeck“ – und Heinz Hallasch, in den vergangenen Jahren rapide zurückgegangen sei. Als Züchter, der mehr als ein halbes Jahrhundert Tauben schickt, habe er mit Genugtuung registriert, dass die Naturschützer ihre Anschuldigungen und Einwände zurückgezogen hätten.
Gladbecker Taubenzüchter begegnen Kritik von Tierschützern
Die Tierschützer hätten sich vor Ort davon überzeugt, dass die kolportierten Zahlen über Verluste bei den Touren in keiner Weise der Wirklichkeit entsprächen. „Die Kommunikation zwischen Auflassort und Heimat hat sich doch immens gebessert. Dank Internet ist eine lückenlose Wetterbeobachtung gewährleistet, zudem haben wir drei Meteorologen beauftragt, die Flugleiter der Reisevereinigungen ständig auf dem Laufenden zu halten“, listet Berger die Vorkehrungen der Taubensportler auf.
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„Für Verluste sind fast ausschließlich Raubvögel wie Falken und Sperber verantwortlich. Bei Unwetterwarnungen sind Auflässe oder sogar komplette Touren abgesagt worden.“ Wie viele Vögel, darunter auch wertvolle Brieftauben, an Windrädernregelrecht geschreddert werden, darüber hielten sich die Tierfreunde bedeckt, „die Rotorenblätter stellen laut Naturschützer nur für den Rotmilan eine Gefahr dar“, bemerkt Berger süffisant.
Dass die Aufnahme in die Liste des Kulturerbes zu einem Aufschwung im Taubensport führen wird, glaubt Berger nicht. „Uns fehlen die jungen Leute. In Ballungszentren nimmt die Zahl der Züchter rapide ab. In ländlichen Gebieten sieht die Lage etwas besser aus.“ Ein ganz anderes Bild offenbart der Blick über die Landesgrenzen. „In Polen oder auf den Kanarischen Inseln ist die Situation fast so wie in Gladbeck vor 50, 60 Jahren.“
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Ganz verrückt im positiven Sinne seien die Menschen in Fernost, weiß Hans Michalack, ein Urgestein in der Gladbecker Züchtergarde. „Einerseits nehmen die Taubenliebhaber richtig viel Geld in die Hand, um gute Vögel zu erwerben. Noch extremer ist, was dort bei den einzelnen Touren auf Tauben gewettet wird. In China sind fünf- und manchmal sechsstelligen Summen keine Seltenheit.“ Über die späte Anerkennung seines Hobbys von höherer Stelle freut sich Michalack aufrichtig.
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Der ehemalige Bergmann, der auf der Schachtanlage Moltke ¾ überwiegend unter Tage tätig war, erinnert sich an längst vergangene Zeiten. „Als ich 1959 mit Tauben anfing, gab es in den Zechensiedlungen auf jedem Dach Taubenschläge und zusätzlich hinter den Häusern Gartenschläge. Die ,Püttrologen’ haben die ganze Schicht unten im Staub gearbeitet, da waren die Tiere in der Freizeit das einzige Hobby.“ In der Tat: In den Altbausiedlungen, die so typisch für den Kohlenpott sind und waren, gab es kaum eine Familie, die nicht Hühner, Kaninchen, Schweine oder eben Tauben hatte. Und heute? „Es ist zum Verrücktwerden“, gerät Michalack förmlich in Rage. „Wenn morgens der Hahn kräht, geht der nölige Nachbar zum Gericht. Wenn aber jemand den Auspuff seines Motorrads oder seines Mantas richtig röhren lässt, juckt dass keinen...“
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Nachbar Joachim Schwandt stimmt ihm zu: „Es fehlen einfach die Altbauten, die es früher viel mehr gab.“ Und der Zusammenhalt in der Nachbarschaft sei viel besser gewesen. Einig sind sich die beiden Taubenfreunde auch im sportlichen Urteil: „Die besten Tauben gibt es immer noch hier im Ruhrgebiet...!“