Gladbeck. Mitte der 70er Jahre belohnte das „Nikolausurteil“ den Kampf gegen die Neugliederung. Die Gladbecker City wandelte deutlich ihr Aussehen.

Die 70er Jahre brachten fast das Ende der Stadt: Die schon seit Jahren im Land diskutierte kommunale Neugliederung kam in die entscheidende Phase. 1973 kristallisierte sich in Düsseldorf die Glabotki-Idee heraus: Gladbeck, Bottrop und Kirchhellen sollten eine neue Stadt bilden – immerhin mit rund 200.000 Einwohnern. Allerdings hatte man nicht mit dem Widerstand der Gladbecker gerechnet.

„Glabotki“ beherrschte vor und lange nach der Verabschiedung des Gesetzes am 8. Mai 1974 die Lokalpolitik. Auf allen anderen Gebieten war dagegen weitgehend Stillstand eingetreten, es wurde nur geregelt, was dringend nötig war. Am 12. Juli 1974 beschloss der alte Rat der Stadt dann einstimmig, Verfassungsbeschwerde gegen das Neugliederungsgesetz einzulegen. Die Fronten der Befürworter und Gegner zogen sich quer durch die Parteien: Während sich SPD-Parteichef Gerd Icke, OB Norbert Aust (SPD) und CDU-MdL Eberhard Ullrich für die neue Großstadt aussprachen, zählten SPD-Fraktionschef Manfred Braun sowie Artur Schirrmacher, Willi Berz und Wolfgang Röken (alle SPD), Traugott Ulrich Meier und Anny Ruloffs (beide CDU) und FDP-Kreischef Rudolf Albrecht zu den entschiedensten Kämpfern für die Selbstständigkeit. Auch Oberstadtdirektor Otto Rump war Glabotki-Kämpfer aus Überzeugung, trug als Jurist maßgeblich zum Erfolg der Verfassungsbeschwerde bei.

Pfarrer sammelte über 40.000 Unterschriften gegen Glabotki

Mehr als 5000 Menschen kamen am 10. Dezember 1975 zur Jubel-Kundgebung zum Rathaus und feierten den erfolgreichen Kampf gegen Glabotki.
Mehr als 5000 Menschen kamen am 10. Dezember 1975 zur Jubel-Kundgebung zum Rathaus und feierten den erfolgreichen Kampf gegen Glabotki. © WAZ-Archiv

Auch die meisten Bürger waren gegen Glabotki: Die „Aktion Bürgerwille“ um den ev. Pfarrer Klaus Heienbrock sammelte fast 42.000 Unterschriften für ein selbstständiges Gladbeck (70 Prozent der Wahlberechtigten!). Dennoch wurde am 1. Januar 1975 aus Gladbeck zunächst „Bottrop 2“ – die knapp einjährige ungeliebte Glabotki-Zeit begann. Mit dem Neujahrstag übernahmen die Spitzen der Groß-Bottroper Verwaltung die Schlüsselgewalt im Rathaus, tags drauf standen Bottroper Möbelwagen vor dem Gladbecker Rathaus… Augenfällig für jedermann wurde der „Anschluss“ durch die neuen BOT-Autokennzeichen und die neuen gelben Ortseingangsschilder: „Gladbeck – Stadt Bottrop“, die zügig aufgestellt wurden. Aufmüpfige Gladbecker übermalten oder überklebten sie nicht selten mit „Glabotki is nich“ oder „Gladbeck bleibt Gladbeck“.

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Dann kam am 6. Dezember 1975 der Urteilsspruch der obersten Landesrichter – der Volksmund sprach alsbald vom „Nikolausurteil“: Glabotki wurde, da ein „unverhältnismäßiger“ Zusammenschluss, für verfassungswidrig erklärt. Die neue Stadt hatte danach de jure nie bestanden. Gladbeck bekam seine Selbstständigkeit wieder! WAZ und Ruhrnachrichten erschienen mit Extrablättern, berichteten von einem sensationellen Urteil, Kirchenglocken läuteten. Höhepunkt tagelanger Feiern war am 10. Dezember ein Fackelzug durch die Innenstadt mit anschließender Kundgebung am Rathaus. „Gladbeck bleibt frei“ oder „Glabotki is nicht“ hieß es auf Transparenten. Mehr als 5000 fröhliche Menschen sorgten für eine der größten Demonstrationen in der Stadtgeschichte.

Phenolchemie brannte 1973: Katastrophenalarm wurde ausgerufen

Ein Großteil des Phenolchemiewerkes war nach der Explosion am 6. September 1973 zerstört.
Ein Großteil des Phenolchemiewerkes war nach der Explosion am 6. September 1973 zerstört. © Stadtarchiv gladbeck

Politisch besiegelt wurde die Selbstständigkeit Gladbecks erst im Mai 1976, als der Landtag entschied, Gladbeck als selbstständige Stadt in den Kreis Recklinghausen einzubinden. Bei den Neuwahlen zum Rat im Oktober 1976 gewann die SPD deutlich, stellte mit Wolfgang Röken damals den jüngsten OB im Revier, Manfred Braun, 1975 MdL geworden, wurde Fraktionschef, Irmgard Berz stellv. Bürgermeisterin.

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Ein großes Unglück hatte 1973 – noch vor dem Glabotki-Drama – die Gladbecker aufgeschreckt: Am Nachmittag des 6. September kam es im Phenolchemiewerk in Zweckel zu einer Explosion: Stundenlang stand eine gigantische Rauchwolke über der Stadt, die Behörden lösten Katastrophenalarm aus. Ein Tanklager mit fünf Cumol-Behältern brannte, Feuerwehren aus dem ganzen Ruhrgebiet kämpften gegen die Flammen. Bei der Evakuierung wurden 1000 Menschen in Sicherheit gebracht. Zum Glück wurde niemand verletzt, am Abend gegen 22.15 Uhr hatte die Wehr das Feuer unter Kontrolle. Viele Zweckeler erinnerte der Brand an die Katastrophe von 1963, als Explosion und Großbrand vier Todesopfer und mehrere Schwerverletzte gefordert hatten.

1978 fuhr die letzte Straßenbahn durch die Innenstadt

Am 28. November 1976 fuhr die letzte „17“ über die Hochstraße, gestartet war sie auf der Bottroper Straße vor van Suntum.
Am 28. November 1976 fuhr die letzte „17“ über die Hochstraße, gestartet war sie auf der Bottroper Straße vor van Suntum. © WAZ | REpro: Ulla Michels

Mitte bis Ende der 70er Jahre wurde eine weitere Großsanierung in der City diskutiert und Stück um Stück bis in die 80er Jahre hinein umgesetzt – nach der Glabokti-Zeit lebte die Stadtentwicklung förmlich auf. Es wurde Platz geschaffen für mehr Urbanität, für „modernes Einkaufen“: Das City-Center entstand (1982), am Oberhof wurden Tiefgarage und Busbahnhof gebaut. Dafür verschwanden an der oberen Hochstraße historische Straßen, traditionelle Geschäftshäuser, letztlich auch das altehrwürdige Kolpinghaus mit seinem stark frequentierten Saal. Die Hochstraße wurde gleich zweimal fußgängergerecht umgebaut – zunächst mit, dann ohne Straßenbahn. Die Verbannung des Autoverkehrs kam bei der Bevölkerung groß an, die „17“ musste sich oft mit viel Klingelzeichen den Weg bahnen.

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Die neue Hochstraße gab sich modern: mit Hochbeeten, Bänken und Kugel-Straßenlaternen. Kurzzeitig war die Lambertistraße Mitte der 70er Jahre zum Busbahnhof umfunktioniert worden, auch deshalb, weil die „10“ – von Buer über die neue Großbrücke nach Gladbeck-Ost kommend – vor der Lambertikirche endete. Am 28. November 1976 fuhr die letzte „17“ über die Hochstraße. Tausende säumten den Weg, nicht wenige waren bewegt. Zwei Jahre später, am 1. Oktober 1978, fuhr auch die letzte „10“ und damit überhaupt die letzte Straßenbahn.

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Häuser und Teil der Goethestraße mussten dem Goetheplatz weichen

Modern und gab sich die Hochstraße Mitte der 70er Jahre nach dem ersten Umbau zur Fußgängerzone – damals noch mit der Straßenbahn. larenberg Hochstraße Foto: Privat
Modern und gab sich die Hochstraße Mitte der 70er Jahre nach dem ersten Umbau zur Fußgängerzone – damals noch mit der Straßenbahn. larenberg Hochstraße Foto: Privat © Archiv Klarenberg/ Repro: Ulla Michels

Hoch- und Horster Straße wurden neu gepflastert, da die Schienen entfernt werden mussten. Damit wurden die Einkaufsstraßen endgültig komplett fußläufig. Mit der Verlegung der Linie 10 durch die Schillerstraße und über die neue Ost-Brücke war die Schließung des Bahnübergangs Buersche Straße einhergegangen – und die am Schürenkamp. Und damit war Gladbeck-Ost – zumindest per Auto – von der Innenstadt abgeschnitten, was für viel Unwillen sorgte. Anfang der 80er wurde der Neubau der Zweckeler Straße Richtung Norden samt Brückenkonstruktion über die Bahngleise und die Adenauer-Allee realisiert.

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Heiß diskutiert wurde Ende der 70er Jahre auch der Abriss der Südrand-Bebauung am Markt und die Neuordnung des Areals zwischen Horster- und Grabenstraße, u.a. mit dem Bau des Glückauf-Centers (das Kanzler-Gattin Loki Schmidt 1980 eröffnete!) und dem Ausbau der Wilhelmstraße. Noch einmal verändert wurde das Stadtbild im engeren Bereich der Innenstadt in den 80er Jahren durch den Bau des Goetheplatzes, dem nicht nur Häuser auf der Nordseite der Hochstraße weichen mussten, sondern der auch einen Teil der Goethestraße verschluckte. Voran getrieben wurde in diesen fetten Zeiten der Stadtplanung auch die Entwicklung des multifunktionalen Kulturzentrums: Nach dem Jugendzentrum wurde 1983 die neue Stadtbücherei eröffnet, die alte wandelte man 1984 zur Galerie um. Die Sparkasse baute ihr Hochhaus, Karstadt das Parkhaus.

So sah der Marktplatz in der Innenstadt in den 70er Jahren aus.
So sah der Marktplatz in der Innenstadt in den 70er Jahren aus. © WAZ | Repro: Ulla Michels

Neue Schulangebote

Ein weiteres Stück Innenstadtsanierung wurde übrigens verhindert, auch weil sich der Zeitgeist geändert hatte: Der Weiterbau der Humboldtstraße als vierspurige Straße Richtung Westen bis zur Bottroper Straße. Dem wäre nicht nur das Barbara-Hospital, sondern auch das damals noch geöffnete Rex-Kino zum Opfer gefallen.

Ein Stück Sportgeschichte wurde 1978 geschrieben, als landesweit mit dem „Sport für betagte Bürger“ der erste Seniorensportverein gegründet wurde. Mit Kegeln, Wassergymnastik und Bosseln fing alles an.

Seit 1980 beherbergt Gladbeck ein Privatschule: Die Freie Waldorfschule nutzt seitdem Räume der ehemaligen Bergberufsschule an der Horster Straße. 1980 startete auch das Schulzentrum Brauck mit einer Realschule im Ganztagsbetrieb. Bereits 1974 hatte die Gesamtschule Rentfort-Nord ihren Betrieb aufgenommen.

1973 entstand an der Brauckstraße der letzte Kirchenneubau: St. Pius, die als Filialkirche von St. Marien geführt wurde. Die Braucker Südparksiedlung gewann in den 70ern mehrfach den Bundeswettbewerb um die schönste Siedlung. 1978 findet erstmals das WAZ-Volksradfahren statt, das Jahrzehnte die Massen bewegen sollte.

100(0) Jahre Gladbeck: Bisherige Folgen in der Übersicht

In 2019 wird die Stadt Gladbeck 100 Jahre alt. Anlass für uns, die Geschichte Gladbecks, die vor 1000 Jahren begann, in Serie darzustellen. Quellen sind die Bücher „Geschichte der Stadt Gladbeck“ von Rainer Weichelt, „Gladbeck“ von Harald Neumann, „Verdrängte Jahre – Gladbeck unterm Hakenkreuz“ von Frank Bajohr, „Feuersturm an der Ruhr“ aus dem Klartext-Verlag, die Dokumentation „Glabotki ist nicht!“ von Erna-Johanna Fiebig und Rainer Weichelt, die Chronik „40 Jahre Amt Gladbeck“ von Ludwig Bette (von 1925), Expertisen aus dem Stadtarchiv sowie verschiedene Aufsätze von Heimatforschern.

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