Gladbeck. Vor 40 Jahren kippte das Landesverfassungsgericht die Zwangsehe von Gladbeck, Bottrop und Kirchhellen. Danach gab es Riesenjubel in der City.
„Glabotki is’ nich!“ Die Kunde aus Münster ging in Windeseile durch die Stadt und löste Jubelstürme aus. Am 6. Dezember 1975 – morgen vor 40 Jahren – hatten die obersten Verfassungsrichter des Landes „Glabotki“ – also den ungeliebten Zusammenschluss von Gladbeck, Bottrop und Kirchhellen – für nichtig, da verfassungswidrig, erklärt. Ein knappes Jahr Groß-Bottrop gehörte der Vergangenheit an und der Kampf um Gladbecks Selbstständigkeit war auf erfolgreichem Weg.
„Das war eine Sternstunde für die Gladbecker Lokalpolitik“, erinnert sich Manfred Braun (87), SPD-Veteran und einer der entschiedenen Glabotki-Gegner. Die Euphorie in der Stadt war nach dem Urteilsspruch – der Volksmund sprach wegen des Datums alsbald vom „Nikolausurteil“ – riesengroß: Die Kirchenglocken läuteten, das Rathaus wurde spontan mit Fahnen geschmückt, auf dem Weihnachtsmarkt wurde die Neuigkeit immer wieder per Lautsprecher durchgegeben.
WAZ und Ruhrnachrichten erschienen mit Extrablättern, berichteten von dem sensationellen Urteil. „Gladbeck und Kirchhellen gerettet!“, stand in großen Lettern auf den Sonderseiten, die im Handumdrehen vergriffen waren. Die Redaktionen an Horster Straße und Postallee fungierten als Nachrichten-Umschlagplatz, erinnert sich Redakteurin Erna-Johanna Fiebig, später Lokalchefin der WAZ .
Schon am Morgen ließen viele Leser die Redaktionstelefone nicht stumm stehen. Sie wollten wissen, wie es in Münster stand. Dort hatte um 10.50 Uhr an diesem Nikolaustag der damalige Präsident des Landesverfassungsgerichtshofes, Dr. Dieter Bischoff, das Urteil gesprochen und „Glabotki“, der von Anfang an womöglich umstrittenste Teil des NRW-Neugliederungsgesetzes, für nichtig erklärt. De jure hatte der Zusammenschluss nach dem Urteilsspruch nie bestanden.
Die neue Stadt Bottrop, die seit dem 1. Januar 1975 faktisch existierte, sei weit weniger geeignet, so hieß es in dem Urteil, die Neuordnungsziele zu erreichen, als der Gesetzgeber angenommen habe. Zu Unrecht würden die drei Gemeinden als ein einheitlicher Raum mit besonders dichter siedlungsmäßiger und funktionaler Innenbeziehung gesehen. Und: Der Zusammenschluss mit Bottrop sei ein zu starker Eingriff in die bisherige Selbstständigkeit Gladbecks. Kurzum: Der Zusammenschluss sei unverhältnismäßig gewesen, so die Richter.
Braun: Ohne Otto Rump und seine Klagevorbreitung kein Nikolausurteil
„Die Atmosphäre im Gerichtssaal war vor dem Urteilsspruch gereizt“, erinnert sich Braun, der mit vielen Gleichgesinnten und Widersachern im Gerichtssaal saß. „Bei einem kleinen Teil war die Stimmung aber etwas gelöster, denn es waren Hinweise durchgesickert, das Gesetz kippt.“ Und so kam es: Direkt nach dem Urteilsspruch brandete im Saal dann Jubel der Gladbecker Seite auf, Freudentränen flossen, berichtet Burchard Strunz (CDU), der als junger Anwalt im Saal saß. Auf den Gerichtsfluren rollten andere mitgereiste Gladbecker „Glabotki-is-nich“-Transparente aus.
Otto Rump, als Oberstadtdirektor beurlaubt und maßgeblicher Anwalt auf Gladbecker Seite, soll gar von Bürgern auf den Schultern aus dem Saal getragen worden sein. Ohne Rump, ist sich Manfred Braun sicher, wäre das Nikolaus-Urteil nicht zu Stande gekommen. „Er bereitete als Jurist mit seiner Detail- und Ortskenntnis die Klage maßgeblich vor.“ Entscheidend sei auch das Gutachten des Verwaltungswissenschaftlers Prof. Dr. Heinrich Siedentopf gewesen, das er in enger Abstimmung mit Rump anfertigte. Rumps präzise Argumentationslinie wurde zur Grundlage der Klage, so Braun.
Quer durch die Parteien ging seinerzeit die Front von Glabotki-Befürwortern und -gegnern, erinnert sich Wolfgang Röken (SPD), der als junger Politanfänger für die Selbstständigkeit kämpfe. Aust, Icke (beide SPD), MdL Ullrich (CDU) für Glabotki, Braun, Schirrmacher, Berz (alle SPD), Meier, Ruloffs (CDU) und Albrecht (FDP) gegen Glabotki.
Kampf um die Selbstständigkeit dauerte bis Ende Mai 1976
,Die meisten Bürger waren gegen Glabotki, so Journalistin Erna Fiebig: „Die Wortschöpfung wurde übrigens von den Gladbecker Bürgern geprägt, „um die Idee lächerlich zu machen“. Allein die Beteiligung beim Volksbegehren der landesweiten „Aktion Bürgerwille“, zu deren Gründern 1973 auch der Gladbecker Architekt Alfred Luggenhölscher gehörte, sprach Bände. Das Volksbegehren scheiterte allerdings 1974, weil landesweit das erforderliche Quorum von 20 % nicht erreicht wurde. In Gladbeck war es aber durchaus erfolgreich, rund 25 000, mehr als 40 % der Wahlberechtigten, stimmten dafür, was aber letztlich nichts nutzte.
Nach dem Urteil am Nikolaustag wurde die gute Nachricht schnell per Telefon nach Gladbeck durchgegeben. Dort feierte man tagelang, so Erna Fiebig. Höhepunkt war am 10. Dezember ein Fackelzug durch die Innenstadt mit anschließender Kundgebung vor dem Rathaus. Sogar ein Elefant lief mit übergehängtem „Glabotki-is-nich“-Umhang durch die Straßen. „Gladbeck bleibt frei“, hieß es auf einem Riesentransparent, womit die Gemütslage vieler ausgedrückt wurde. Mehr als 5000 fröhliche, befreit wirkende Menschen sorgten für eine der größten Demonstrationen in der Gladbecker Stadtgeschichte.
Trotz aller Begeisterung über das Glabotki-Aus – die Selbstständigkeit Gladbecks war mit dem Nikolaus-Urteil noch nicht wieder hergestellt, erinnert sich Manfred Braun. Es dauerte nicht lange und „das Liebeswerben aus Gelsenkirchen begann“: Glagelski war das nächste Schreckgespenst!
Gladbeck musste an zwei Fronten kämpfen: In Düsseldorf, um beim „Nachbesserungsgesetz“ eine Eingemeindung zu vermeiden, aber auch in Recklinghausen, um eine Einkreisung zu erreichen. „Es gab sogar Geheimverhandlungen auf Wittringen“, weiß Röken. Der Durchbruch kam im Mai 1976, als der Landtag entschied, dass Gladbeck selbstständige Stadt bleiben sollte.
Hilfreich war die Aktion „Selbstständiges Gladbeck“, die am 18. Dezember 1975 startete. Initiatoren waren u.a. Pfarrer Klaus Heienbrock und Burchard Strunz. Ende Januar 1976 hatte man 42 000 Unterschriften (70 % Wahlberechtigte!) für die Selbstständigkeit gesammelt und kurz drauf im Innenministerium übergeben.