Gelsenkirchen-Buer. Marc Vogler aus Gelsenkirchen-Buer komponiert ein Corona-Requiem für Chor und Orchester. Ein alter Text aus 1350 ist dabei aktueller denn je.
Es ist fast so, als hätte da jemand eine Vorahnung gehabt, was die Menschen im 21. Jahrhundert mit Ausbruch der Corona-Pandemie und den daraus resultierenden Folgen erwarten wird. Marc Vogler aus Gelsenkirchen-Buer greift für sein Requiem „Chorvid19“, das er innerhalb des von der Stadt geförderten Auszeitstipendiums komponiert, auf einen Text von Giovanni Boccaccio zurück.
Das Dekameron ist eine Sammlung von 100 Novellen, die der italienische Schriftsteller von 1350 bis 1353 geschrieben habe, wie Marc Vogler nach seinen Recherchen erzählt. „Er beschreibt darin den Pesteinfall in Florenz zu dieser Zeit“, erklärt der junge Komponist, der sich für seine Arbeit eingehend mit dem Werk beschäftigt hat: „Es hat nicht an Aktualität verloren. Es ging zum Beispiel um Unklarheit zu dieser Zeit und darum, dass die Ärzte mit der Situation nicht klargekommen sind.“ Auch Boccaccio habe den Text während des Lockdowns damals geschrieben - wie nun Vogler sein Requiem in der Corona-Zwangspause komponiert hat.
Gelsenkirchen: Vogler komponiert bei seinen Eltern
Als er von dem Auszeitstipendium gehört hat, sei er gleich auf die Idee gekommen ein Corona-Requiem zu schreiben. „Ein Requiem ist schon eine große Form, das hat man als Komponist nicht oft“, sagt der 21-Jährige, der sich auch mit dem Roman „Die Pest“ von Albert Camus befasste, diesen Gedanken zugunsten der deutschen Übersetzung von Boccaccio jedoch verwarf. Corona sei für alle ein so einschneidendes Erlebnis gewesen, dass er den Zeitpunkt dafür als richtig empfand und zuhause bei seinen Eltern - Vogler studiert eigentlich an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln Komposition und Orchesterleitung und schreibt gerade seine Bachelorarbeit - damit loslegte.
Das Requiem für Chor und Orchester sei inzwischen annähernd fertig, berichtet Vogler: „Zum Komponieren war der Lockdown komfortabel. Ich habe mich im stillen Kämmerlein in den Noten vergraben.“ Ob das Werk aber jemals uraufgeführt werden kann, wisse er noch nicht.
Pläne mit dem Autokino scheitern
Ursprünglich war angedacht, im Autokino zusammenzukommen. Die Musiker sollten im Fahrzeug spielen und er auf der Leinwand als Dirigent zu sehen sein. Die Pläne für ein Autokino in Gelsenkirchen scheiterten allerdings. Also suchte Vogler nach anderen Ideen.
„Ich kann mir gut vorstellen, die Noten als stumme Ausstellung im öffentlichen Raum zu zeigen und die Partitur auf ein Plakat zu drucken. Es wäre ein Zeichen einer durch Corona verstummten Kultur“, betont er. Dann könne jeder über einen QR-Code an das Requiem rankommen und es musikalisch umsetzen. Weil er gerne mit Menschen zusammenarbeitet, hofft er trotzdem auf eine Live-Präsentation - wann immer die auch sein mag: „Das wird wahrscheinlich frühestens im Sommer 2021 etwas.“
Aus der Zeit des stillen Komponierens nimmt er für sich eine besondere Erkenntnis mit: „Ich habe gemerkt, wie schön ein Klang in der Phantasie sein kann.“ Passend zur Übersetzung des Begriffs Requiem. „Ich habe nachgeforscht und es heißt Totenstille“, verrät Vogler. Chor und Orchester setzen sein Werk erst einmal nicht um, aber was nicht ist, kann ja noch werden, wenn ein Ton fernab der Vorstellung auch wieder in den Ohren real wird.
>>>Info: Zur Person
Marc Vogler, der in Witten geboren wurde und in Gelsenkirchen-Buer aufgewachsen ist, bekam im Alter von vier Jahren seinen ersten Klavierunterricht. Als 16-Jähriger komponierte er die Oper „Streichkonzert – Con brio ohne Kohle“, die im Januar 2016 im Musiktheater im Revier Gelsenkirchen mit 12 Sängern und Orchester uraufgeführt wurde.
Marc Vogler ist außerdem Preisträger der Berliner Philharmoniker (Opus One 2020) und wurde beim internationalen Kompositions-Wettbewerb „Artistes en Herbe“ im Jahr 2020 mit dem Sonderpreis "Pianissimo" für die beste Klavierkomposition ausgezeichnet.
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