Gelsenkirchen. Zehn Gelsenkirchener Künstler widmen der Corona-Krise Projekte und erhalten dafür ein Stipendium. Welche neuen Wege sie dabei gehen.

Konzerte sind abgesagt, Museen geschlossen: Die freischaffenden Künstler gehören zu den Berufsgruppen, die unter der Corona-Krise am stärksten leiden – nicht nur finanziell. „Uns wird durch die Maßnahmen, die ich dennoch für absolut wichtig halte, die Möglichkeit genommen, zu kommunizieren“, sagt der Gelsenkirchener Komponist Michael Em Walter. Doch es gibt Hoffnung: Walter ist einer von zehn Auserwählten, die sich in diesen Tagen über ein Arbeitsstipendium der Stadt freuen können.

Unter dem Titel „Auszeit – Shut Down als Chance für die Kultur“ unterstützt die Stadt Gelsenkirchen ansässige Künstler von April bis Juni mit 1000 Euro monatlich. In dem Zeitraum sollen sie Projekte entwickeln, die vorrangig digital umgesetzt werden und die Auswirkungen der Krise als Gegenstand haben. Beworben haben sich Künstler aus den verschiedensten Bereichen. „Die Vielfalt der Projekte zeigt, wie stark die lokale Szene ist“, freut sich Andrea Lamest, Leiterin des Referats Kultur.

Weniger Sorgen, dafür Zeit für Kreativität

Komponist Michael Em Walter plant eine virtuell umgesetzte Text-Musik-Komposition (Archivfoto).
Komponist Michael Em Walter plant eine virtuell umgesetzte Text-Musik-Komposition (Archivfoto). © FUNKE Foto Services | Thomas Schmidtke

Die Kreativen hinter den zehn Projekten, die im Auswahlverfahren überzeugen konnten, freuen sich alle sehr über die Chance, in der schweren Zeit etwas schaffen zu können. „Jetzt muss ich mir weniger Gedanken über ausgefallene Gagen machen“, sagt Linus Friedmann, der die Gitarrenschule an der Küppersbuschstraße leitet. Er will die kommenden Wochen nutzen, um ein Soloprogramm zu erarbeiten. „Den Wunsch, mich da reinzuarbeiten, hatte ich bestimmt schon zehn Jahre“, sagt er. Ob am Ende ein Konzert vor Publikum stehen wird oder ein virtueller Auftritt, ist aber noch unklar.

Komplett virtuell ist das Projekt des Fotografen Thomas Hoppe angelegt. Unter dem Arbeitstitel „Lebensumstände – Zustand, Veränderungen und Perspektiven in Zeiten der Pandemie“ plant er eine Collage aus Video- und Fotosequenzen, in denen Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen ihren neuen Alltag darstellen. Das Material dafür wird durch die Protagonisten und Hoppe erstellt.

Chor und Orchester, die nie zusammen gespielt haben

Komponistentalent Marc Vogler schreibt ein Stück, das Hoffnung verbreiten soll.
Komponistentalent Marc Vogler schreibt ein Stück, das Hoffnung verbreiten soll. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Einen ähnlich partizipatorischen Ansatz verfolgt Komponist Marc Vogler. Er möchte ein Stück mit dem Titel „Requiem Chorvid19“ schreiben. Ein virtueller Chor, bei dem jeder Passagen einsingen kann, soll das Werk zum Leben erwecken. Vogler möchte so „eine Musik der Hoffnung und Zuversicht“ schaffen.

Auch Michael Em Walter plant ein musikalisches Projekt. „Corona-Antikörper“ soll die Text-Musik-Komposition in Zusammenarbeit mit Schauspieler André Wülfing heißen. Walter wird dazu kleine Stücke für Musiker schreiben, die diese dann einspielen und ins Netz stellen sollen. So entsteht ein virtuelles Orchester. Wülfing liefert die Texte. „Es geht darum, die Krise innerhalb der Krise zu verstehen“, erklärt Walter.

Eine Dokumentation der Krise

Zeigen, wie die Einschränkungen den Alltag verändern, will das Duo von Geki-Film. Christian Meyer und Merlin Jahn möchten einen inszenierten Dokumentarfilm drehen. „Wir planen einen künstlerischen Kurzfilm, der die aktuelle Situation einfängt“, erklärt Meyer. Auch Urs Kessler plant ein Filmprojekt. Er möchte den Fokus dabei auf Kleinkünstler legen, deren derzeitige Lage einfangen und die Frage nach den Auswirkungen der Krise stellen. Sich dem Thema Krise lyrisch nähern will der Autor Olufemir Atibioke. Er hat das partizipatorische Projekt „Der Vorplatz zur Neustadt“ eingereicht.

WAZ begleitet Prozess

Noch sind die meisten der Projekte eine Vision der Künstler. In den kommenden Wochen und Monaten soll aus den zum Teil noch recht vagen Ideen Kunst werden.

Die WAZ-Serie „Kunst interpretiert Krise“ wird diesen Prozess begleiten, den Künstlern im Atelier, am Schreibtisch oder im Probenraum über die Schulter blicken und dokumentieren, wie die Ideen Gestalt annehmen.

„Aus der Not geboren.“ So beschreibt die Sängerin und Pädagogin Chris Seidler ihr Projekt. Die Leiterin der Opera School ist dabei, ihr gesamtes Angebot komplett auf Online-Streams umzustellen. Wegen des Kontaktverbots unterrichtet sie nun virtuell und will das mithilfe des Stipendiums ausbauen, auch wenn es „am Anfang für alle etwas gewöhnungsbedürftig“ gewesen sei. Ähnlich gelagert ist Melody Reichs „digitaler (Erzähl-)Märchenraum“.

Die Frage nach der Bedeutung der Künstler

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Neue Wege will auch Claudia Tebben gehen. „Ich war in den letzten Wochen länger als sonst im Atelier. Es ist mein sicherer Ort“, sagt die Malerin. Dabei haben sie, angesichts geschlossener Galerien, Zweifel an den großen Bildformaten, denen sie sich sonst widmet, überkommen. Tebben möchte sich in den kommenden Wochen deshalb damit beschäftigen, Skulpturen mittels 3D-Druck zu vervielfältigen. Ein philosophischer Ansatz, wirft er doch die Frage auf, inwieweit der Künstler damit überflüssig wird.