Gelsekirchen. Künstler sind von der Corona-Krise stark betroffen. Ein Gelsenkirchener Regisseur begleitet ihren neuen Alltag. Von Ängsten und Zusammenhalt.

Abstand wahren und trotzdem intime Einblicke geben: Dieser Balanceakt ist Alltag für den Gelsenkirchener Dokumentarfilmer Urs Kessler. In Zeiten von Corona bekommt diese Arbeitsweise für ihn jedoch eine ganz neue Bedeutung. Denn bei ihrem aktuellen Projekt müssen der Regisseur und sein Kameramann Leonard Sanftenschneider plötzlich auch physisch auf Distanz zu den Menschen gehen, die ihre ganz persönlichen Probleme mit ihnen teilen.

Im Rahmen des "Auszeit"-Stipendiums der Stadt Gelsenkirchen nehmen Kessler und Sanftenschneider eine Doku über Künstler in der Corona-Krise auf. Wegen abgesagter Veranstaltungen und geschlossener Galerien, aber auch wegen der Ungewissheit, was die Zukunft bringen wird, haben diese gerade große Sorgen. "Es geht vielen schlecht. Niemand weiß, wie lange die Soforthilfen vom Land reichen müssen. Die Szene in Gelsenkirchen ist bedroht", fasst Urs Kessler die Lage zusammen.

Viele haben Angst, vergessen zu werden

In sehr persönlichen Interviews erzählen Betroffene den beiden Filmemachern, was sie beschäftigt. Das sind nicht nur finanzielle Probleme und die Ungewissheit, wie es weitergeht: "Viele haben Panik davor, vergessen zu werden", sagt Sanftenschneider. Schon nach wenigen Wochen ohne Auftritte, hätten sie berichtet, wie schwer es sei, Jobs für den Herbst zu bekommen. "Manche fürchten, dass sie das nicht überstehen werden."

Es ist die Offenheit der Betroffenen, von der das Projekt lebt. "Ich will zeigen, dass Künstler nicht einfach Paradiesvögel sind. Sie sind Selbstständige, genau wie Gastwirte oder Friseure, die von der Krise eiskalt erwischt wurden. Die Corona-Krise ist deshalb auch eine Künstler-Krise", erklärt Urs Kessler. Doch die Szene sei nach dem ersten Schock spürbar zusammengerückt, habe sich vernetzt. Auch davon berichten die Protagonisten.

Schutzausrüstung als Stilmittel

Der Regisseur und sein Kameramann versuchen, all die verschiedenen Eindrücke einzufangen. Sie treffen Künstler virtuell in Videokonferenzen, begleiten sie in ihrem neuen Alltag und zeigen verlassene Veranstaltungsorte. So hat ihnen der Singer und Songwriter Julian Rybarski bei einem Spaziergang im Park erzählt, wie sehr ihm Live-Auftritte fehlen. Norbert Labatzki haben sie zu einem Balkon-Konzert vor einem Seniorenheim begleitet und im menschenleeren Stadtbauraum sind ungewohnte Bilder entstanden.

Bei ihrer Arbeit tragen die beiden stets Mundschutz und Handschuhen, halten Abstand zu ihren Interviewpartnern. Vorsichtsmaßnahme und Stilmittel zugleich: "Wir wollen beweisen, dass Filmen berühren kann, auch wenn kein Körperkontakt möglich ist", sagt Kessler.

Urs Kessler wollte 2020 richtig durchstarten

Trotz aller Distanz können die Filmemacher die Lage ihrer Protagonisten gut verstehen. "Uns geht es wie den Künstlern", sagt Kessler. Erst im vergangenen September haben sie gemeinsam das Studium abgeschlossen. Dieses Jahr sollte ihr Durchbruch sein. "Ich hatte schon einige dicke Fische an Land gezogen", sagt der 24-jährige Kessler. Nun versucht er, sich mit dem Stipendium über Wasser zu halten. Leonard Sanftenschneider arbeitet zudem an kleineren Livestreaming-Projekten. "Geld kommt dabei nicht wirklich rum, aber sonst sitzt man nur auf der Couch", sagt er.

Die Arbeit an der Doku ist deshalb für die beiden jungen Männer auch eine Art der Krisenbewältigung. Wie das Ergebnis am Ende aussehen wird, ist noch nicht ganz klar. Auch, weil sich die Situation während der Dreharbeiten immer wieder ändert. "Was jetzt gilt, kann nächste Woche längst über Bord geworfen sein", so Sanftenschneider. Dennoch bleiben die beiden positiv. Denn eines steht für sie fest: "Künstler sind Katastrophenbezwinger."

>>> Zur Person

Urs Kessler ist in Gelsenkirchen kein Unbekannter. Bereits während seines Studiums an der Ruhr Akademie verwirklichte er einige Filmprojekte in Gelsenkirchen. Darunter der Kurzfilm "J.", angelehnt an die Batman-Comics.

Außerdem hat Kessler 2019 in einer Doku den Stadtteil Feldmark in Szene gesetzt und mit der Awo ein Filmprojekt zum Thema Mobbing umgesetzt.

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