Essen-Werden. Bürger setzten sich zur Wehr: Dennoch wurde 2017/18 das historische Kaiser-Friedrich-Haus in Werden abgerissen. Seither klafft dort eine Lücke.

Im Winter vor drei Jahren fraßen sich die Bagger durchs dicke Mauerwerk: Das Jugendstilhaus an der Ecke Forstmann-/Ludgerusstraße wurde abgerissen. Nicht nur vielen Werdener Bürgern blutete das Herz. Der Altbau im Schatten des Kaiser-Friedrich-Denkmals war Teil eines Ensembles: der Gründerzeit-Bauten entlang der Forstmannstraße. Heute klafft dort eine große Lücke.

Der Giebel des Nachbarhauses an der Ludgerusstraße ist mit Planen abgedeckt. Diese haben durch die Witterung der vergangenen Jahre schon an Substanz eingebüßt, lösen sich an einigen Ecken ab. Ein Drahtzaun umgibt das Gelände, auf dem sich Kräuter und Büsche angesiedelt haben. Kaum vorstellbar, dass hier einst ein schmuckes Gebäude stand: Das Restaurant „Kaiser Friederich" (benannt nach dem Standbild des 99-Tage-Kaisers Friedrich III.) war im Viertel über viele Generationen die Adresse für Geselligkeit.

Eine Multicopter-Aufnahmen vom Abriss des Kaiser-Friedrich-Hauses. Das Foto wurde Anfang Februar 2018 aufgenommen.
Eine Multicopter-Aufnahmen vom Abriss des Kaiser-Friedrich-Hauses. Das Foto wurde Anfang Februar 2018 aufgenommen. © Michael Gohl / FUNKE Foto Services

Schild am Drahtzaun ist Hinweis auf Unmut der Bürger

Ein Bauschild gibt es nicht. Dafür einen Zettel, der den Spaziergänger auffordert, doch hier ruhig „seinen Müll" zu entsorgen. „Das ist mein Entgegenkommen für den übereilten, unnötigen Abriss und das hässliche Haus, das ich hier bauen werde", steht dort zu lesen. Dass dies nicht vom Eigentümer stammt, auch wenn dieser als Unterzeichner benannt wird, leuchtet ein.

Dieser Zettel ist an einem Zaun angebracht.
Dieser Zettel ist an einem Zaun angebracht. © Kerstin Kokoska

Vielmehr ist es Ausdruck dessen, was die Werdener auch heute noch, drei Jahre danach, denken: Dass es soweit nicht hätte kommen müssen - hätte das 1907 erbaute Haus mit Stilelementen von der Neorenaissance bis zum Jugendstil (Bauherr war der Gastwirt Wilhelm Pörting) unter Denkmalschutz gestanden.

Im Denkmalverfahren wurde Haus Nr. 27 übersehen

Das Haus Nummer 27 schlichtweg vergessen hatte die Stadt Essen, als sie dem Rheinischen Amt für Denkmalpflege die Forstmannstraße zur Überprüfung vorstellte. Nummer 1 bis 22 wurden untersucht und für schutzwürdig befunden (2010 in die Denkmalliste der Stadt aufgenommen). Nicht die einzelnen Häuser, sondern das Ensemble insgesamt wohlgemerkt mit seinen zeittypischen Gestaltungskriterien, „die in dieser Form unverwechselbar und besonders" seien. Als wesentliche Bestandteile wurden der Straßengrundriss mit dem Rondell und den sternförmig davon ausgehenden Straßen bewertet, die symmetrische Strukturierung des Straßenraumes sowie die beidseitig geschlossene gründerzeittypische Bebauung in durchgehender Fluchtlinie.

Als 2016 der Eigentümer des Kaiser-Friedrich-Hauses durchblicken ließ, er würde gerne dort ein Mehrfamilienhaus errichten, wurde erstmals in der Öffentlichkeit über das Denkmalverfahren diskutiert. Zum Beispiel darüber, dass die Behörde Ende der 1990er Jahre Überlegungen hatte, das Gebäude im Entwurf für eine Denkmalbereichssatzung aufzunehmen. Dort war es aber nicht als Baudenkmal eingestuft, sondern als erhaltenswerte Bausubstanz. Heraus kam, dass fehlendes Personal dazu führte, dass dieses Verfahren nicht eingeleitet wurde - mithin keinerlei Schutz bestand.

Werdener Bürgerschaft ging auf die Barrikaden

Die Bürgerschaft ging auf die Barrikaden, Unterschriften wurden gesammelt, die Bezirksvertreter stellten der Verwaltung unangenehme Fragen. Ende 2016 wurde die Fassade von der Stadt dann mit sofortiger Wirkung vorläufig unter Schutz gestellt. Das Denkmal Forstmannstraße 1-22 mit dem Schwerpunkt auf der städtebaulichen Anlage wurde um dieses eine Gebäude ergänzt als Erweiterung aus wilhelminischer Zeit.

Geholfen hat es nicht: Ein vom Eigentümer beauftragter Sachverständiger stellte fest, dass die Fassade zu 70 Prozent geschädigt war. Die Untere Denkmalbehörde hob den vorläufigen Denkmalschutz daraufhin wieder auf. Die Stadt erteilte am 10. November 2017 die Abbruchgenehmigung; Anfang Dezember rückten die Bagger an.

Eine Baugenehmigung gilt für drei Jahre

Bis das Gebäude völlig verschwunden war, vergingen einige Monate. Inzwischen hatte der Eigentümer, ein Werdener Rechtsanwalt, von der Stadt eine Bauerlaubnis zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit neun Wohneinheiten und Tiefgarage auf dem Grundstück Forstmannstraße 27 erhalten. Sie wurde am 29. Oktober 2018 erteilt.

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Nun bestehen solche Genehmigungen nicht für alle Ewigkeiten. Die Baugenehmigung erlischt, so sieht es das Gesetz vor, wenn innerhalb von drei Jahren nach Erteilung mit der Ausführung des Bauvorhabens nicht begonnen wird oder die Bauausführung ein Jahr unterbrochen ist. „Eine Anzeige über den Baubeginn der Neubaumaßnahme erfolgte bislang nicht, so dass die Baugenehmigung noch bis zum 29. Oktober 2021 gültig ist", teilt die Stadt Essen auf Nachfrage dieser Redaktion mit. Und ergänzt: „Gründe, warum mit der Neubaumaßnahme noch nicht begonnen wurde, sind der Stadt Essen nicht bekannt."

Bezirksvertretung IX ist für Erhalt von schutzwürdigen Gebäuden

Inzwischen haben sich der Rat der Stadt Essen, die Fachgremien und die Bezirksvertretungen nach der Kommunalwahl neu konstituiert. Auch innerhalb der Verwaltung haben die Zuständigkeiten für den Denkmalschutz gewechselt. Der Wunsch nach einer Denkmalbereichssatzung poppt dabei wieder auf.

Die Bezirksvertreter im Essener Süden wollen dies weiter verfolgen. „Ein Verlust wie das Kaiser-Friedrich-Gebäude tut weh. Deshalb streben wir für Werden eine Denkmalbereichssatzung an", äußerte jüngst die frisch gebackene Bezirksbürgermeisterin Gabriele Kipphardt in einem Interview mit dieser Redaktion. Und: In der Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP in der Bezirksvertretung IX ist ausdrücklich der Erhalt von schutzwürdigen Gebäuden wie der Villa Ruhnau in Kettwig erwähnt.

Jetzt droht der Abriss der Villa Ruhnau in Kettwig

Auch dort das gleiche Dilemma: Es besteht kein Denkmalschutz für das 1905 errichtete Gebäude, das den Kettwigern mindestens ebenso viel bedeutet wie den Werdenern ihr Kaiser-Friedrich-Haus. Der Nachbarschaftskreis Bögelsknappen fordert deshalb ein neues Denkmalverfahren ein. Der Arbeitskreis Essen 2030 unterstützt das Vorhaben. Inzwischen wurde im Stadtplanungsausschuss ein Antrag für die Aufstellung eines Bebauungsplanes eingebracht. Dieser könnte helfen, den vom Eigentümer im September 2020 angezeigten Abriss doch noch abzuwenden.

„Der Abriss des Kaiser-Friedrich-Hauses wird immer als warnendes Beispiel angeführt. Jeder bedauert es", sagt Dorothee Lehmann-Kopp vom Nachbarschaftskreis Bögelsknappen. „Wir können nur hoffen, dass Politik und Verwaltung nicht diese Fehler wiederholen." Der Bürgerwille sei klar: Mehr als 2000 Unterstützer haben bereits die Online-Petition zum Erhalt der Villa unterzeichnet. Und weitere sind zu erwarten - bis Ende Januar läuft die Frist. In den nächsten Gremiumssitzungen wird die Villa Ruhnau jedenfalls Diskussionsthema sein.