Essen. Die Leiterin der Essener Denkmalbehörde, Petra Beckers, über Möglichkeiten und Grenzen des Denkmalschutzes und die Sehnsucht nach Vertrautem.
Die Wogen schlugen hoch in Werden, als die Nachricht die Runde machte, das Gasthaus am Denkmal „Kaiser Friedrich“ könnte abgerissen werden. Im Fokus der Kritik stand die Untere Denkmalbehörde, denn das 1907 errichtete Gebäude an der Forstmannstraße stand nicht unter Denkmalschutz. Inzwischen ist klar: Zumindest die Fassade bleibt erhalten. Der Konflikt um Abriss und Erhalt wirft die Frage auf nach der Rolle des Denkmalschutzes, nach seinen Möglichkeiten und Grenzen. Ein Gespräch dazu mit der Leiterin der Denkmalbehörde, Petra Beckers.
Sie mussten wegen des drohenden Abrisses viel Kritik einstecken. Haben Sie dafür Verständnis?
Beckers: Es gibt gerade in Werden neben Baudenkmälern viele Gebäude aus der Gründerzeit von guter gestalterischer Qualität, die das Ortsbild prägen. Das Rheinische Amt für Denkmalpflege hat jedoch nicht alle als denkmalwürdig eingestuft. Dazu zählt auch das Gebäude Forstmannstraße 27.
Das Haus am Denkmal Kaiser Friedrich. Warum stand es nicht längst unter Schutz?
Beckers: Ende der 1990er-Jahre gab es Überlegungen in diese Richtung. Wir tragen Gebäude in die Denkmalliste ein, die Begutachtung erfolgt aber durch das Rheinische Amt für Denkmalpflege. Das Gebäude stand schließlich im Entwurf für eine Denkmalbereichssatzung. Ziel einer solchen Satzung ist es, das Ortsbild zu erhalten. Im Entwurf war es aber nicht als Baudenkmal eingestuft, sondern als erhaltenswerte Bausubstanz. Das heißt: Geht sorgfältig damit um. Mehr nicht.
Sie haben sich damit zufrieden gegeben?
Beckers: Ich musste davon ausgehen, dass es sich nicht um ein Denkmal handelt. Da es als erhaltenswerte Bausubstanz definiert war, sah ich keine Veranlassung weiter tätig zu werden.
Die Denkmalbereichssatzung wurde nie verabschiedet.
Beckers: Wir waren bei der Offenlage. Dann wurde das Personal in der Verwaltung immer weiter reduziert. Auch wir waren davon betroffen. Innerhalb eines Denkmalbereichs müssen sie jedes Gebäude bearbeiten. Ich sah dazu keine Möglichkeit mehr. Wir sind mit einer Vorlage in den damaligen Bauausschuss gegangen. Daraufhin ist das ganze Verfahren eingestellt worden.
Gleichwohl wussten Sie, dass es sich um ein erhaltenswertes Objekt handelt, als bei der Stadt die Anfrage für einen Neubau einging.
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Beckers: Ja, aber es gab keine gesetzliche Handhabe, es zu erhalten. Wir können in solch einem Fall nur appellieren.
Nun haben Sie sich mit dem Rheinischen Amt und mit dem Eigentümer auf einen Kompromiss verständigt. Wie ist es dazu gekommen?
Beckers: Das Gebäude ist sicher aufgrund der Aktivitäten aus der Bürgerschaft wieder in den Fokus geraten. Inzwischen haben wir die Fassade mit sofortiger Wirkung vorläufig unter Schutz gestellt. Das Denkmal Forstmannstraße 1- 22 mit dem Schwerpunkt auf der städtebaulichen Anlage wird um dieses eine Gebäude ergänzt als Erweiterung aus wilhelminischer Zeit. Das Gebäudeinnere stufen wir nicht als denkmalwürdig ein.
Bleibt also nur die Fassade stehen und der Rest wird neu gebaut?
Beckers: Das ist noch völlig offen. Dem Eigentümer sind bereits Kosten entstanden. Vielleicht beteiligt sich die Werdener Bürgerschaft ja am Erhalt der gestalterischen Fassadenelemente.
Wie erklären Sie sich die große Aufregung um das Thema?
Beckers: In Werden gibt es noch in großen Zügen ein intaktes historisches Straßenbild. Als Erklärung greift das aber zu kurz. Ich glaube, die Sehnsucht danach, das Vorhandene zu erhalten, entspringt einer wachsenden Angst vor Veränderung. Wir alle spüren, dass sich die Dinge verändern, wir wissen nur nicht, ob zum Schlechten oder zum Guten. Deshalb hält man fest an allem, was einem vertraut ist, was einem lieb gewonnen ist. Das betrifft alle Lebensbereiche, auch die bebaute Umgebung.
Sind Sie der richtige Adressat?
Beckers: Nein. Der Denkmalschutz steht im Fokus, weil er ein starkes Instrument ist, mit dem sich Objekte erhalten lassen. Wenn ich aber die strengen Maßstäbe des Denkmalschutzes anlege, fallen viele Objekte, die an uns herangetragen werden, nicht darunter. Das stößt auf Unverständnis. Ich als Denkmalschützerin bin dann diejenige, die den Menschen die Sicherheit und das Vertraute verweigert. Aber ich kann nicht alles retten.“
Sie sind also dem Zeitgeist ausgesetzt? Wie in den 1960er-Jahren als zum Beispiel die Steeler Altstadt abgerissen wurde?
Beckers: Daraus ist der Denkmalschutz ja entstanden. Nach dem Krieg wurde mehr abgerissen, als während des Krieges zerstört wurde. Man wollte etwas Neues. Vielleicht sind auch die Flachdachkisten, die heute überall gebaut werden, Ausdruck, dass man etwas Neues will.
Diese uniforme Architektur findet aber ihre Käufer.
Beckers: Der Bund Deutscher Architekten hat dazu interessante Gedanken formuliert: „In Zeiten immer schnellerer gesellschaftlicher Veränderungsprozesse wird Vorgefundenes vorschnell als unbrauchbar eingestuft. Architektur verkommt durch schnellen Abriss und Neubau zu einer Modeerscheinung.“ So entstehen Flachdachkisten, die sich vielleicht gut bewohnen lassen, die aber nichts Individuelles mehr haben, die dem Ort keine individuelle Prägung mehr geben.
Gleichzeitig wollen Menschen Bestehendes bewahren. Wie passt das zusammen?
Beckers: Ich denke, der Ruf nach Erhalt ist eine Gegenbewegung. Die Leute merken: Identität geht verloren.
Wer ist gefordert?
Beckers: Wir alle sollten bewusster hinschauen. Architekten sollten sich mehr auf den Umbau von Bestandsbauten spezialisieren. Eigentümer sollten nicht unterschätzen, wie sehr ihre Gebäude zur Identitätsbildung in der Stadtgesellschaft beitragen. Das verlangt eine Menge Altruismus. Damit tun wir uns heute schwer. Vielleicht könnte der Werdener Heimat- und Bürgerverein ja auf Hauseigentümer zugehen und Führungen organisieren und so zur Bewusstseinsbildung beitragen. Denn nicht zu vergessen: Wir reden über das Geld anderer Leute. Die muss man mitnehmen.