Duisburg. . Pfarrer Dieter Herberth bricht eine Lanze für Roma in Bergheim. Den Anwohnern, die sich belästigt fühlen, erklärt er, warum die Angehörigen des Gurbet-Stammes nach Deutschland kommen und dass diese integrationsbereit und -willlig seien: „Sie brauchen Zeit, werden sich aber anpassen.“
„Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“. Das weiß auch Dieter Herberth aus Rheinhausen. Zum Thema „Roma in NRW, Duisburg und Rheinhausen“ nimmt sich der 46-jährige Pfarrer der evangelischen Christuskirchen-Gemeinde Hochemmerich/Asterlagen die Freiheit, auch einmal quer zu denken, eben die Freiheit des Andersdenkenden. Im Gespräch mit der Redaktion bricht der Geistliche eine Lanze für die Roma in Bergheim, wirbt für Verständnis und Solidarität mit den Zuwanderern, die in Rumänien und Bulgarien diskriminiert werden.
„Diese Roma wandern aus Elendsvierteln aus. Ein Roma, der sein Auskommen in Rumänien hat, sei es noch so gering, wird sich niemals auf das Wagnis Westeuropa einlassen. Der sagt sich: Ich bleibe hier, denn ich weiß, hier komme ich über die Runden. Aber es würden eben nur die Leute hierhin kommen, denen es in Südosteuropa richtig dreckig gehe. Nur ein Mensch, der wirklich große Not habe, wandere aus. „Diese Menschen kommen aus ganz anderen Lebensumständen.“
2012 dokumentierte Herberth Elendsviertel in Rumänien, machte Fotos von Roma-Häusern in Siebenbürgen. „Dort leben 20 Menschen auf zehn Quadratmetern. Kein Strom, kein Wasser, keine Kanalisation. Abends werden die Matratzen herausgeholt und dann liegen sie nachts auf dem Boden.“
Nach Westen mit und ohne Schleuser
Herberth weiter: „Diese Menschen werden durch kriminelle Machenschaften hierhin geschleust oder kommen inzwischen auch ohne Schleuser allein mit dem Zug. Dann sollen sie plötzlich funktionieren“. Diese Leute seien zum Teil Analphabeten. Weil sie aus unterschiedlichen Gründen in ihrer Heimat nicht in die Schule gegangen seien. „Weil sie nicht wollten oder weil sie nicht durften, weil die Kinder in der Schule gemobbt, gehasst, verprügelt wurden. Es gibt Beides.“
Pfarrer Dieter Herberth
Dieter Herberth (46) wuchs im kommunistischen Rumänien auf, bis 1989 unter der Herrschaft des Diktators Nicolae Ceaușescu. Herberths Familie, der Vater war Grundschullehrer, lebte und arbeitete in Siebenbürgen mit seiner deutschsprachigen Bevölkerung, in der Mitte Rumäniens, in Agnetheln bei Hermannstadt. In Agnetheln mit seinen rund 20 000 Einwohnern gibt es rund 2000 Roma, die in einem eigenen Viertel der Industriestadt leben, „im Kommunismus isoliert, aber nicht verfolgt“. Herberth lebte dort rund 19 Jahre, bevor er 1985 nach Deutschland auswanderte.
Hier studierte er an der Universität Bonn Theologie. Seit 2001 ist der Familienvater Pfarrer der evangelischen Christuskirchen-Gemeinde in Rheinhausen-Hochemmerich/Asterlagen. Der Theologe hat sich intensiv mit Kultur und Geschichte der Rom-Völker, zu denen auch die Sinti gehören, beschäftigt.
Dagegen blieben Roma in ihrer Heimat, die ihr Auskommen hätten, als Kupfer-, Silber- oder Goldschmied oder Löffelschnitzer ihr Handwerk ausübten oder als Musiker, Auto- oder Pferdehändler arbeiteten. Doch die Zuwanderer in NRW seien oft Clan-Angehörige des Gurbet-Stammes. „Die werden in Rumänien, Bulgarien oder Ungarn, wo die wirtschaftlichen Verhältnisse ohnehin schwierig sind, als erste entlassen.“ Wobei der Anteil der Roma an der Gesamtbevölkerung Rumäniens nur bei 2,5, in Bulgarien bei 4,7 und in Ungarn bei 2 Prozent liege, weiß Herberth: „Dort sind sie eine echte, diskriminierte Minderheit, die unter Rassismus leidet.“
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Nach NRW kämen nur Menschen aus ganz schwierigen sozialen Verhältnissen. Die wohnten dann in so einem Haus wie In den Peschen in Bergheim, so Herberth. „Sicher, die Menschen in der Nachbarschaft dieses Hauses haben sehr zu leiden. Gar keine Frage“, räumt er ein. „Aber mir wäre es sehr wichtig, dass die Nachbarn diesen Roma eine Chance geben, hier anzukommen. Das wird Monate, vielleicht sogar Jahre dauern, bis sich alles einspielt.“
Beispiel: Der Sperrmüll: „Woher sollen die Roma wissen, dass man als Bürger bei der Stadt anrufen kann und der Sperrmüll kostenlos abgeholt wird?“ Herberth: „Die Wohnungen in dem so genannten Problemhaus waren bereits vermüllt, als die Roma dort untergebracht wurden. Die Roma haben ja nur eine Tasche mitgebracht. Dieses Haus war nie einfach, auch vorher nicht. Dieses Haus ist schon lange überbelegt. Zehn Menschen wohnen dort auf 40 Quadratmetern. Natürlich mussten die Roma den vorhandenen Sperrmüll herausschmeißen. Jetzt ist der Müll entsorgt und das Problem erledigt. Und auch die Roma haben dazu gelernt.“
Pfarrer fordert konzertierte Aktion zum Spracherwerb für Roma-Kinder
Der Pfarrer weiter: „Ich wünsche mir, dass den Kindern bei der Einschulung rasch geholfen wird. Es muss eine konzertierte Aktion zum Spracherwerb geben.“ Bei der Hilfe sieht Herberth die EU und die Bundesregierung in der Pflicht. Er ist optimistisch: „Die Kinder werden Deutsch lernen. Das ist überhaupt keine Frage. Denn die Roma sind Fachleute im Anpassen an eine andere kulturelle Umgebung.“ Das zeige die historische Erfahrung. „Jeder Roma ist mehrsprachig. Denn mit seinem eigenen Romanes kommt er nicht weit. In einem Jahr werden die meisten der Roma-Zuwanderer hier so gut Deutsch sprechen können, dass sie zumindest im Arbeitsleben zurecht kommen. Aber wir müssen ihnen diese Zeit geben, sich anzupassen.“
Zwar wollten die Roma ihre kulturelle Identität nicht aufgeben. „Wenn sie aber lernen, dass sie hier lesen, schreiben und rechnen lernen und trotzdem ihre Art bewahren können, werden sie ihre Kinder auch hier auf die Schulen schicken. Wenn Staat und Gesellschaft ihnen signalisieren: „Ihr könnt hier bleiben und wir helfen Euch“, werden sie sich hervorragend anpassen“, hat der Geistliche keine Zweifel.
Zum Beispiel hätten Roma in ihrer rund 700-jährigen Geschichte in Mitteleuropa immer die Religion ihrer Gastländer angenommen. Die rumänische Clan aus dem Volk der Gurbet, der In den Peschen lebe, gehöre einer evangelischen Freikirche an, hat Herberth im Gespräch mit Bewohnern des Hauses recherchiert. „Religion definiert die Gemeinschaft der Roma.“
Frauen dürfen betteln, Männer nicht
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Natürlich gebe es im Umfeld der Roma mehr Diebstähle, weiß auch der Pfarrer, aber: „Das ist alles Elendskriminalität. Das geschieht aus reiner wirtschaftlicher Not.“ Grundsätzlich lehnten die Roma, die Herberth sprach, Kriminalität aber ab. In der gesamten wissenschaftlichen Literatur, die der Pfarrer las, gab es nicht einen Hinweis, dass ein Rom-Volk seinen Leuten Diebstahl erlaube - Bettelei dagegen aber schon: „Eine Romni, eine Frau, darf betteln, der Mann, der Rom, dagegen nicht.“ Herberth hofft: „Wenn die Roma ab Januar 2014 hier legal arbeiten dürfen, ihr Auskommen haben und nicht nur Kindergeld beziehen, werden sie sich sozial anpassen und wirtschaftliche Nischen finden. Die Roms müssen das lernen!“