Duisburg. Mit Beginn des Winters stieg die Zahl der Armutsflüchtlinge in Duisburg sprunghaft an. Derzeit leben – mehr schlecht als recht – knapp 6200 Rumänen und Bulgaren, darunter viele Roma, in der Stadt. Ein Zwischenbericht zum Handlungskonzept offenbart nun die Machtlosigkeit der Stadt Duisburg.

Die Zuwanderung von Menschen aus Südost-Europa hat sich in den vergangenen Monaten weiter beschleunigt. Alleine in den Monaten November und Dezember registrierte die Stadt Duisburg rund 600 neue Zuwanderer. Die Zahl der Rumänen und Bulgaren hat sich damit auf knapp 6200 erhöht, mehr als zwei Drittel leben in Hochfeld. Duisburg bleibt damit weiterhin einer der Zuzugsschwerpunkte in Nordrhein-Westfalen.

Zwar hat Oberbürgermeister Sören Link das Thema zur vordringlichsten Aufgabe erklärt. Die Umsetzung des Handlungskonzepts, das der Rat im März 2012 beschlossen hatte, stockt aber weiter. An vielen Stellen ist die Stadt mit der Problematik überfordert. Das geht aus einem ersten Zwischenbericht hervor. Die Anstrengungen seien „nachweislich immens“, heißt es, die Akteure und die kommunalen Handlungsmöglichkeiten aber würden „an ihre Grenzen stoßen“. Und obwohl auch eine Vielzahl von Organisationen wie Verbände, Kirchen und Initiativen die Integration der Armutsflüchtlinge durch verschiedene Projekte unterstützen, scheitert die Umsetzung des Handlungskonzepts weiterhin vor allem an den fehlenden Mitteln.

Maßnahmen-Paket würde 18,7 Millionen Euro kosten

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Das in dem Konzept vorgesehene Paket an Maßnahmen würde 18,7 Millionen Euro kosten. Den Großteil der Summe, rund 13,6 Millionen Euro, erfordert allein die Gesundheitsversorgung sowie die Versorgung mit angemessenem Wohnraum. Im kommenden Jahr wird die Last der Kosten für die Stadt voraussichtlich weiter zunehmen: Ab 2014 haben Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien freien Zugang zum Arbeitsmarkt — und damit auch Ansprüche auf staatliche Unterstützung wie Hartz IV-Bezüge. Die Stadt rechnet besonders bei den Kosten der Unterkunft für diese Menschen, die sie anteilig tragen muss, mit „erheblichem“ Mehraufwand. Wie dieser Anteil im ohnehin wackeligen Spar-Haushalt überhaupt gedeckt werden kann, ist noch völlig ungeklärt.

Duisburgs Elend mit den Schrotthäusern 

Duisburg zählt neben Dortmund zu den „beliebtesten Städten“ in NRW für Zuwanderer aus Südosteuropa, denn es gibt viele „Schrottimmobilien“ und die Zuwanderer sprechen häufig türkisch und kommen hier zurecht. „Entspannter Wohnungsmarkt“: So nennt sich die Situation in Duisburg im Fachjargon.

In Hochfeld stehen viele Häuser leer und die Straßen sind in keinem guten Zustand. Unter normalen Umständen würden Eigentümer keine Mieter mehr bekommen, doch für die Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänen gilt dies nicht.
In Hochfeld stehen viele Häuser leer und die Straßen sind in keinem guten Zustand. Unter normalen Umständen würden Eigentümer keine Mieter mehr bekommen, doch für die Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänen gilt dies nicht. © WAZ FotoPool

Das Angebot liegt über der Nachfrage, die Mieten sind günstig. Da steigt die Konkurrenz um potenzielle Mieter natürlich. Es entsteht Leerstand, der ein ganzes Quartier nach unten ziehen kann. Denn hat der Hausbesitzer keine Einnahmen, gibt es keine Instandhaltungsmaßnahmen. Es entstehen Schrottimmobilien, die unter normalen Umständen nicht mehr vermietet werden können. Doch für die Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänen gibt es diese normalen Umstände nicht.

Gegen Überbelegung von Wohnungen gibt es in NRW kein Gesetz

Sie kommen aus dermaßen ärmlichen Verhältnissen, dass selbst solche Schrottimmobilien beinahe paradiesisch anmuten. Das erklärt das städtische Integrationsreferat auch in seinem ersten Zwischenbericht zum Handlungskonzept für diese Zuwanderer. Wörtlich heißt es dort: „Es wurde von Vermietern berichtet, die deutlich überhöhte Mieten in bar fordern. Mieteinnahmen werden in der Regel nicht für Modernisierungen genutzt.“

Schön auch für solche Vermieter: Die Mieter selbst beklagen sich nicht. Beschwerden kommen eher aus der Nachbarschaft und konzentrieren sich auf Lärm, Müll und Zerstörung. Eine konkrete Handhabe hat die Stadt nur in den seltensten Fällen, denn in NRW gibt es keine gesetzlichen Regelungen gegen Überbelegung. Im Gegensatz zu Berlin, das gegen die Matratzenvermietung vorgehen kann.

Bulgaren und Rumänen genießen als EU-Bürger Freizügigkeit 

In wie weit die Zahlen des neuen Zwischenberichts belastbar sind, bleibt fraglich. Denn bei den knapp 6200 Rumänen und Bulgaren handelt es sich nur um die Zuwanderer, die sich auch bei der Stadt gemeldet haben. Sie sind EU-Bürger, für die grundsätzlich das Recht auf Freizügigkeit gilt. In den ersten drei Monaten sind daher keine Überprüfungen möglich, heißt es in dem Bericht. Erst wenn danach ein Anlass besteht, wie zum Beispiel Eigentumsdelikte oder nichtbezahlte Krankenhausrechnungen, wird überprüft, ob weiterhin Freizügigkeit besteht.

Oft stimmen die Adressen nicht

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Bei den Bescheinigungen für diese Freizügigkeit zeigt sich eines der Probleme: Rund die Hälfte davon konnte die Stadt per Post gar nicht an die angegebene Adresse zustellen. Die Gründe dafür sind nicht im Einzelfall zu ermitteln, die Stadt vermutet, dass den Zuwanderern die melderechtlichen Bestimmungen wie das An- und Ummelden nicht bekannt sind, oder dass es an der Beschriftung der Briefkästen scheitert, wenn Familienangehörige unterschiedliche Namen haben oder Wohnungen überbelegt sind. Zudem würden sich häufig viele Personen in Duisburg aufhalten, die in einer anderen Stadt gemeldet sind, während in Duisburg Gemeldete in anderen Städten unterwegs sind.

Wie eine Aufschlüsselung der Zuwanderer nach Stadtteilen zeigt, betrifft der Zuzug aus Südost-Europa zwar die gesamt Stadt, konzentriert sich aber auf einige Stadtteile.

40 Kinder stehen auf der Warteliste für den Schulbesuch 

Neben der Gesundheitsvorsorge steht Bildung ganz oben auf der Agenda des Handlungskonzepts. Nicht nur, dass viele Bulgaren und Rumänen kein Deutsch können. Sie können häufig auch nicht lesen und schreiben. Die Stadt ist gesetzlich angehalten, jedem Kind einen Schulbesuch zu ermöglichen. Stichwort: Schulpflicht. Doch angesichts des Ansturms ist diese Pflicht eher theoretischer Natur.

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Woher die Lehrer nehmen, die bulgarisch oder rumänische sprechen, woher die Klassenräume, woher passendes Unterrichtsmaterial? Vom Geld mal ganz zu schweigen. Denn es ist niemanden genutzt, wenn ein 14-Jähriger aus Bulgarien in einer regulären Schulklasse sitzt, aber weder Lesen noch Schreiben kann, von mangelnden Deutschkenntnissen mal ganz abgesehen.

Die Stadt möchte möglichst vielen Kindern den Schulbesuch ermöglichen. Zur Zeit gibt es an Duisburger Grundschulen elf Vorbereitungsklassen und eine Klasse an der Realschule Süd, in denen den Kindern grundlegende Kenntnisse beigebracht werden. Hinzu kommen weitere Kinder aus Südosteuropa, die „normalen“ Förderunterricht erhalten.

Seit 2007 wurden rund 1200 bulgarische und rumänische Kinder beschult

Dazu kommen Seiteneinsteigerklassen zur Erstförderung in den weiterführenden Schulen. Insgesamt 369 Jungen und Mädchen in 29 Klassen versuchen, sich für den Start in einer regulären schulischen Laufbahn fit zu machen. Eine Hilfe ist dabei, dass die Bezirksregierung der Stadt trotz klammer Kassen erlaubt hat, Schokotickets für die Kinder und Jugendlichen anzuschaffen. So können die Kinder zu Schulen fahren, an denen noch Plätze in den Seiteneinsteigerklassen frei sind.

All das ändert allerdings nichts daran, dass immer noch Kinder auf einer Warteliste stehen, keinen Schulplatz bekommen. Insgesamt wurden seit 2007 rund 1200 bulgarische und rumänische Kinder beschult. Auf der aktuellen Warteliste befinden sich rund 140 Jungen und Mädchen. Das Integrationsreferat selbst schreibt: „Trotz aller Fortschritte fehlen weiterhin Seiteneinsteigerplätze, Räume, Lehrkräfte und Materialien.“ Außerdem sprechen sie von einem starken Alphabetisierungsbedarf bei Jugendlichen und vielen Erwachsenen.

Kontaktstelle Hochfeld schließt wieder 

Geschlossen wird die im Juni 2012 eingerichtete Kontaktstelle für Bürger und Bürger in Hochfeld, die in den Räumen der EGDU an der Heerstraße jeden Dienstag zwischen 10 und 12 Uhr geöffnet hatte.

Zwei Mitarbeiter des städtischen Außendienstes oder der Abfallberatung waren dort, um sich eventueller Bürgerbeschwerden anzunehmen. Allein, es kamen nicht viele. Die Polizei war ebenfalls für eine dreimonatige Probephase an den Projekt beteiligt, hatte sich aber im September bereits verabschiedet, denn an 13 Terminen kamen zehn Bürger, von denen die Polizei nur in zwei Fällen zuständig war.

Wöchentliche Sprechstunden nur mäßig in Anspruch genommen

Zu wenig Resonanz, um Personal zu binden. Diese Erfahrung teilt mittlerweile auch die Stadtverwaltung. Pro Sprechstunde tauchte im Schnitt bisher ein Bürger auf. Zu wenig, um dafür extra Personal abzustellen. Auch die Anliegen - von Abfallhaufen über Lärmbelästigung bis hin zu Rattenmeldungen - könnten auf anderen Wegen an die Stadt herangetragen werden. Zumal die Mitarbeiter der EGDU vor Einrichtung der Kontaktstelle Beschwerden dieser Art bereits an die entsprechenden Stellen in der Stadt weitergeleitet hatten. Deshalb will die Verwaltung die Kontaktstelle Hochfeld mangels Resonanz wieder schließen.