Bottrop. Bottrops Oberbürgermeister Bernd Tischler befürwortet die Merhaba- und Karstadt-Pläne. Im Interview äußert er sich zu seiner Zukunft.
Seit mehr als 14 Jahren ist Bernd Tischler Oberbürgermeister von Bottrop. Bei der letzten Kommunalwahl 2020 ist er mit einem Spitzenwert von 73,1 Prozent der Stimmen zum dritten Mal wiedergewählt worden. Seitdem belastet die negative Entwicklung der Innenstadt sein Renommee. Ein Gespräch über Perspektiven für das Hansa-Center und das Karstadt-Gebäude, über Korruption im Rathaus und Sparmaßnahmen im Nothaushalt sowie seine persönliche Perspektive für eine erneute Wiederwahl.
Herr Tischler, als wir hier vor einem Jahr saßen, sprachen Sie mit Blick auf das Hansa-Center von einem „Besteckschubladenkasten“, mit dem Sie die Entwicklung steuern und blockieren können. Nun wurde sie Ihnen aus der Hand genommen und dort soll ein orientalisches Einkaufszentrum entstehen. Wie bewerten Sie die Planungen?
Das habe ich mir anders vorgestellt. Weil ich lernen musste, dass der Fonds 20 Millionen Euro dem vorherigen Eigentümer (die Fakt AG, Anm. d. Red.) gegeben hatte und der alles andere damit gemacht, nur nicht in Bottrop investiert hat. Im Januar hat mir der Fonds (der Emerald Mezzanine Funds mit Sitz in Luxemburg, Anm. d. Red.) gesagt: Du kannst das kaufen, musst dann den Wert der Immobilie bezahlen, fünf bis sechs Millionen Euro, und die 20 Millionen musst du drauflegen. Das darf ich mit Steuergeldern nicht machen. Damit war ich raus.
Wie ist nun der Stand der Entwicklungen?
Wir sitzen monatlich mit den Projektentwicklern zusammen. Sie haben einen Projektsteuerer beauftragt und erarbeiten den Bauantrag. Sie haben das Konzept so verändert, dass der Veranstaltungssaal nicht mehr dabei ist. Sie haben mir gesagt, dass sie ein Baubüro an den Start bringen werden in der Hansastraße, von wo aus sie das Projekt steuern und in dem sich jeder informieren kann. Der Bauantrag soll Ende Februar eingereicht werden, der Bau soll im Sommer 2024 beginnen.
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Viele halten die Idee des orientalischen Einkaufszentrums für eine Luftnummer, um den Preis der Immobilie zu steigern. Was entgegnen Sie dem?
Ich kann nur das wiedergeben, was mir in den Baubesprechungen berichtet wird. Wenn ich immer skeptisch in Investitionsgespräche ginge, käme ich nie weiter. Es ist nicht mehr weit bis Februar und dann sprechen wir uns wieder.
Zahlreiche Bottroperinnen und Bottroper äußern Bedenken wegen des Publikums, das durch ein solches Einkaufszentrum angezogen werden könnte. Wie berechtigt sind diese Sorgen?
Ich habe diese Sorgen nicht. Wir haben einen Anteil von 15 Prozent von Menschen mit muslimischem Glauben und von über 20 Prozent von Menschen mit Migrationshintergrund. Ich finde es absolut legitim, dass auch diese Gruppen der Bottroper Bevölkerung ihre Bedürfnisse verwirklichen können. Deswegen bin ich ganz offen für solche Investitionen.
Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang den geplanten Neubau der Moschee an der Prosperstraße?
Ich finde das absolut richtig, dass die Ditib-Gemeinde sich ein anderes Gotteshaus bauen möchte. Die aktuelle Hinterhof-Situation ist wirklich eines Gotteshauses nicht würdig.
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Sie haben kürzlich im Wirtschaftsförderungsausschuss gesagt, die Bottroper Innenstadt sei auf einem guten Weg. Woran machen Sie das fest? Es gibt doch viele, die das anders sehen.
Das sind immer die, die die Klicks bei Amazon machen. Wenn die Projektentwickler des Merhaba das tun, was sie mir sagen, und wenn dann im Februar die Entscheidung kommt, dass der Bottroper Entwickler (Oliver Helmke, Anm. d. Redaktion) das Karstadt-Gebäude bekommt und so entwickelt, wie wir uns das vorstellen, entstehen zwei Projekte, die genau nach dem Lehrbuch sind: Wir haben gesagt, die Innenstadt wird sich verändern müssen. Jetzt passiert genau das: Die beiden großen Projekte werden in einem gemischten Konzept revitalisiert, mit Kultur, Büros, shoppen, Sport und Fitness. So muss Innenstadtentwicklung funktionieren. Wenn diese beiden Projekte so kämen, und auch Menschen aus anderen Städten nach Bottrop kommen, kann man zurecht sagen, dass diese Stadt auf einem guten Weg ist. Wir brauchen aber noch ein Quäntchen Glück.
Das heißt, sie sehen die mögliche Entwicklung im Karstadt-Haus als durchweg positiv an?
Ja, auf jeden Fall.
Der Name Helmke ist in Bottrop sehr präsent, manche sehen das kritisch. Gerade Oliver Helmke ist jetzt einmal mehr an der Entwicklung der Stadt maßgeblich beteiligt. Legt die Stadt da zu viel Verantwortung in die Hand eines Mannes?
Ich schätze Oliver Helmke sehr, weil er ein strategisch weitsichtiger Immobilienentwickler ist. Insofern sehe ich da nichts Verwerfliches, dass jemand mit einem erfolgreichen Konzept unterwegs ist. Er wird wissen, was er tut.
Wenn Merhaba kommt, das Karstadt-Gebäude entwickelt wird und schließlich noch der Gleiwitzer Platz zu einer Art Viktualienmarkt umgewandelt ist: Können die Bottroper all das überhaupt beleben, so dass es sich trägt?
Der Gleiwitzer Platz wird funktionieren, weil die Menschen, die hier arbeiten, sich dort versorgen wollen. Im Hansa-Center gibt es eher diesen Basar-Charakter, der eine bestimmte Nische versorgt. Wenn dann auch Menschen aus anderen Städten kommen, wird auch das funktionieren. Man wird sehen, wer sich da wie durchsetzt. Aber Bottrop kann eine ganz neue Entwicklung nehmen.
Wie handlungsfähig bleibt Bottrop denn jetzt mit Blick auf die angespannte Haushaltslage?
Wir hatten ja gehofft, wir könnten Sonderleistungen separieren und auf lange Sicht langsam zurückzahlen. Das ist uns nicht mehr möglich. Was auch nicht geklappt hat, ist, dass die Altschuldenregelung in diesem Jahr greift. Also komme ich in die Situation, dem Rat das Haushaltssicherheitskonzept vorlegen zu müssen. Wir müssen alle unsere Leistungen auf den Prüfstand stellen. Wir müssen gucken, welches Niveau von Bürgerservice lassen wir weiterlaufen. Können wir unsere Einnahmensituation noch verbessern? Daraus schnüren wir ein Paket. Zwei Entwicklungen stimmen mich trotzdem optimistisch: Es wird eine Altschuldenregelung kommen. Und ich glaube, dass wir mit den gewerblichen Entwicklungen in einer guten Situation sind. Weil wir freie Bergbauflächen haben, die wir entwickeln können, die andere so nicht haben. Die Gewerbesteuereinnahmen haben sich super entwickelt.
Sie sagen, Sie müssen den Bürgerservice auf den Prüfstand stellen. Was bedeutet das?
Wir werden bestimmte Standards nicht aufrechterhalten können. Zum Beispiel kriegen Sie in Bottrop und zusätzlich in Kirchhellen sehr schnell einen Termin für einen Pass oder eine Auto-Zulassung. Es wird auch Verzögerungen bei Kanalbauarbeiten und Straßenbauvorhaben geben. Aber wir werden keine Mitarbeiter entlassen, keine Kitas schließen und auch nicht beim Thema Schulsozialarbeit oder Sicherheit sparen. Zwischen 30 und 60 Leute scheiden derzeit jährlich aus Altersgründen aus. Das ist ein flexibles Steuerungselement, da kann ich entscheiden, in welcher Stärke oder Schnelligkeit besetze ich solche Stellen nach.
Stichwort Personal: In diesem Jahr gab es gleich zwei Korruptionsvorwürfe im Rathaus, beide im Fachbereich Recht und Ordnung. Die Ermittlungen laufen noch. Wie konnte das unbemerkt bleiben?
Das hat mich sehr getroffen, auch persönlich. Dass jemand so etwas scheint gemacht zu haben, war ein Schock. In einer Verwaltung, in der 2000 Leute arbeiten, kann man nie sicher sein, ob es solche Fälle gibt. Aber alle Abwehrmaßnahmen, die wir installieren konnten, haben wir installiert. Aber wenn jemand mit hoher krimineller Energie etwas macht, kann man das nicht immer erkennen.
Im Nachhinein sind immer alle schlauer, einige sagen, das hätten doch schon vorher viele gewusst. Warum wussten es die Verantwortlichen nicht?
Wusste es jeder? Ich wusste es nicht. Man muss in ein Klima kommen, dass man offen die Sachen auf den Tisch legt und nicht schweigt aus falschem Kollegen-Schutz.
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Übernächstes Jahr sind Kommunalwahlen. Die letzte haben Sie mit einem Spitzenwert gewonnen. Sie haben von Innovation-City profitiert, aber das ist vorbei. In den vergangenen Jahren überschatteten vor allem die negativen Innenstadt-Entwicklungen ihren Ruf. Bröckelt seitdem Ihr gutes Ansehen?
Natürlich gibt es in einer solchen Stadt nicht nur gute Nachrichten. Von den Menschen, die ich treffe, kriege ich eigentlich eine gute Rückmeldung. Ich werde aus zwei Richtungen, von normalen Bürgern und aus der SPD auf regionaler und Landesebene, angesprochen nach dem Motto: Sie können doch jetzt nicht aufhören in so schwierigen Zeiten. Ein Ergebnis von 73 Prozent kann man in diesen Zeiten wirklich nicht wiederholen. Insofern sollte ich mir gut überlegen, ob ich das nochmal wage. Stand heute bleibt es dabei, dass ich nicht noch mal kandidiere.
Das klingt vager als Sie es letztes Jahr ausgedrückt haben. Vor einem Jahr hatte Sie eine erneute Kandidatur ausgeschlossen.
Ich weiß nicht, was in den nächsten Monaten passiert. Aber wahrscheinlich höre ich auf.
Wer folgt Ihnen dann?
Das ist eine gute Frage, da bin ich gespannt. Im Frühjahr gibt es erste Vorentscheidungen. Und dann habe ich auch die Aufgabe, dass ich die- oder denjenigen promoten werde. Aber jetzt halte ich mich mit einer Aussage bewusst zurück, das gehört sich auch nicht.
Wie erleben Sie derzeit das politische Klima?
Das Klima hat sich verändert in letzter Zeit. Ich habe das erste Mal eine Strafanzeige gestellt wegen einer Falschbehauptung auf Facebook. Im Moment kriege ich nächtlichen Besuch, der nicht zufrieden ist mit städtischen Entscheidungen, und der immer Papiere in den Briefkasten und in den Vorgarten legt. Ich gehe da professionell mit um. Ich habe keine Angst und lasse mich da auch nicht einschüchtern. Aber ich merke, dass die Diskussion härter und ruppiger wird.