Bottrop. Jürgen Jakubeit war einer der letzten Bergleute. Nach dem Ende der Zechen hat er neue Aufgaben gefunden. Doch der Bergbau lässt ihn nicht los.

Er war der Mann, der am 21. Dezember 2018 sichtlich bewegt das letzte Stück deutscher Steinkohle aus einem Flöz tief unter Bottrop an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überreichte. Fünf Jahre später schlägt Jürgen Jakubeits Herz für die Bergbautradition wie eh und je. „Es war für mich nicht nur ein Beruf, es war eine Berufung“, sagt der Reviersteiger im Vorruhestand (55).

Jürgen Jakubeit hält die Bergbautradition in Ehren. Sein Adventskranz besteht aus Original-Kohle vom Bergwerk Prosper.
Jürgen Jakubeit hält die Bergbautradition in Ehren. Sein Adventskranz besteht aus Original-Kohle vom Bergwerk Prosper. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Seine immer noch enge emotionale Bindung zum Bergbau spürt man im Gespräch sofort. Und tatsächlich kann man sie auch sehen: Der glänzend schwarze Adventskranz auf dem Tisch ist geformt aus Original-Kohle vom Bergwerk Prosper Haniel; die Kerzen darauf zieren Schlägel und Eisen. Figuren von Bergleuten und deren Schutzpatronin, der Heiligen Barbara, finden sich im Wohnzimmer. Dazu Grubenlampen in verschiedenen Variationen. Und auf der Kaffeetasse steht „Glück auf Jacke“.

„Jacke“ haben sie Jürgen Jakubeit auf dem Pütt genannt

„Jacke“, so haben sie Jürgen Jakubeit auf dem Pütt genannt, „selbst der Bergwerksdirektor“. Bergmann zu werden, davon hatte sein Vater ihm eigentlich abgeraten. Der sei in den 1970er Jahren selbst vom Bergbau zum Bau gewechselt, unter dem Eindruck der längst krisenhaften Entwicklung in dem Bereich. Doch Jürgen Jakubeits Kumpel gingen in den 1980er Jahren alle zum Pütt, „man verdiente dort gutes Geld“.

Jürgen Jakubeit in seinen jungen Berufsjahren. Das Foto entstand 1992.
Jürgen Jakubeit in seinen jungen Berufsjahren. Das Foto entstand 1992. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Im zweiten Ausbildungsjahr unter Tage 1000 Mark – das war schon eine Ansage. Mit 16 Jahren fing der Oberhausener 1985 auf der Zeche in Sterkrade seine Ausbildung an. „Damals galt noch der Slogan: Mit uns in die Zukunft“, erzählt er. „Wenn mir einer in den 80er Jahren gesagt hätte, dass ich einer der letzten Bergmänner sein würde, das hätte ich nicht für möglich gehalten.“

Doch schon der Ausbildungsjahrgang, der ein Jahr nach ihm angefangen habe, sei nach der Lehre mit 75-Prozent-Verträgen ausgestattet worden – „drei Wochen arbeiten, eine Woche frei“. Beirren lassen habe „Jacke“ sich dadurch nicht, „ich habe das durchgezogen“.

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Auch so genannte „Hau ab-Gespräche“, die in den 90er Jahren begonnen hätten, haben ihn nicht zu einer Umschulung oder einem Branchenwechsel bewegen können. Er war immer verbunden mit seinem Job - und zufrieden mit seiner Bezahlung.

Die Einsatzorte wechselten, bis Jakubeit schließlich auf Prosper landete, doch eines blieb gleich: Er malochte immer unter Tage. „Ein Knochenjob.“ Ganze 33 Jahre im Abbau. Wechselschichten, Feiertagseinsätze. „Angefangen habe ich als normaler Kumpel und mich dann hochgearbeitet zum Reviersteiger.“ Er nennt es eine Berufung, Ehefrau Tanja spricht von Leidenschaft.

„Es hat keine Rolle gespielt, welche Hautfarbe oder Religion jemand hat. Du musstest dich einfach aufeinander verlassen können.“
Jürgen Jakubeit, Bergmann

Dabei erlebte „Jacke“ eben auch den Zusammenhalt unter Tage, der so viel beschworen und geradezu legendär ist: „Es hat keine Rolle gespielt, welche Hautfarbe oder Religion jemand hat. Du musstest dich einfach aufeinander verlassen können.“ Ist ihm denn mal etwas passiert, tief unten im Berg? „Einmal habe ich unter einem Bruch gelegen“, sagt der 55-Jährige. „Ich habe einen dicken Brocken auf den Kopf bekommen.“

2005 war das, und als Folge des schweren Unfalls war sein Rückenmark gequetscht, „Jacke“ zunächst unfähig, sich zu bewegen. „Zum Glück war das Rückenmark nicht durchtrennt, sonst wäre ich heute querschnittsgelähmt.“ Kritisch sei das damals gewesen, aber davon abgesehen seien „alle Finger noch dran“, meint der Ex-Kumpel mit einem etwas schiefen Lächeln.

Doppelbock von Franz Haniel als Wahrzeichen für die Region

Seit einem Jahr wohnt er mit seiner Frau Tanja im Fuhlenbrock, quasi im Schatten des Doppelbocks von Franz Haniel. Der soll unbedingt als Denkmal stehen bleiben, wünscht sich „Jacke“. „Das ist ja auch ein Wahrzeichen für die Region. Gerade dieser Doppelbock. Wenn du den siehst, weißt du, du bis zu Hause.“ Zudem: „In den 80er Jahren war der Papst hier. Außerdem ist es ein historischer Ort: Hier wurde die letzte Steinkohle gefördert“, unterstreicht der 55-Jährige.

Und heute ist eben längst Schicht im Schacht. „Ob das alles so richtig war, wird die Zukunft zeigen. Meine persönliche Meinung ist: Es war ein großer Fehler. Wir wollen alle saubere Energie haben, aber wir sind noch nicht so weit.“ Man hätte doch, findet „Jacke“, ein, zwei Standorte offen halten können, sodass man in der Not die Kohle-Ressourcen noch nutzen könnte. Stattdessen floss 2021 Beton in die letzten Schächte von Prosper-Haniel.

Jürgen Jakubeit sollte sogar neben RAG-Chef Peter Schrimpf und Oberbürgermeister Bernd Tischler zu denjenigen gehören, die den roten Knopf drückten, damit der Beton floss. „Ich habe meine Hand weggezogen. Ich konnte nicht meinen eigenen Schacht verfüllen.“

Jürgen Jakubeit sammelt Bergbau-Erinnerungsstücke – wie diese Figuren und Grubenlampen.
Jürgen Jakubeit sammelt Bergbau-Erinnerungsstücke – wie diese Figuren und Grubenlampen. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Trotzdem gibt es natürlich auch das Leben nach der Zeche. „Ich habe mir einen Nebenjob gesucht.“ Seit 2019 arbeitet Jürgen Jakubeit dreimal in der Woche als Platzwart bei einem Gerüstbauer. Nichts tun, das liegt ihm nicht. „Ich kenne keinen ehemaligen Bergmann, der nichts nebenbei macht. Wenn das Leben keine Struktur hat, dann bummelt man nur von einem Tag in den nächsten hinein.“

Wobei viele Ex-Kumpel heute körperliche Probleme hätten, im Rücken, in den Knien, in anderen Gelenken. „Mein bester Kumpel hatte mit 54 seinen ersten Herzinfarkt“, erzählt „Jacke“.

Es gebe auch welche, die wollten vom Bergbau heute nichts mehr wissen. Das ist bei dem Wahl-Bottroper anders. Als Ehrenamtlicher macht er regelmäßig Besucherführungen im Trainingsbergwerk in Recklinghausen. „Da fühle ich mich wie zu Hause“, meint er schmunzelnd. Außerdem findet er es wichtig, dass die Bergbau-Vergangenheit des Ruhrgebietes hier lebendig gehalten wird. „Deutschland wäre ohne Bergbau heute nicht da, wo es ist“, sagt er. „Man darf nie vergessen, wo man herkommt. Wenn ich überlege, dass es in den 50er Jahren 500.000 Bergleute gab.“

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Das Trainigsbergwerk bietet Bergbau zum Anfassen, als Besucher könne man die Maschinen sogar selber fahren. „Noch näher kann man die Menschen nicht an den Bergbau heranbringen als bei uns im Trainingsbergwerk.“ Einschließlich „Quasseln aus dem Nähkästchen“.

Hier erklärt er viel – an anderer Stelle weckt er Erinnerungen. Zusammen mit seinem Kumpel Dieter besucht „Jacke“ auch in Bergmannskittel, mit Schüppe und Lederkappe Senioren in Einrichtungen in Oberhausen. „Als beim ersten Mal ein Herr um die 80, der dement war, am Ende das Steigerlied mitgesungen hat, das hat mich sehr berührt.“